1986 und heute

Letzten Sonntag vor fünfundzwanzig Jahren, da lief der Scheibenwischer nicht über die Mattscheibe des Bayerischen Rundfunks. Tschernobyl war noch keine vier Wochen her und das politische Kabarett der ARD-Anstalten RBB und BR, wollte sein Programm nuklear auffüllen. "Der verstrahlte Großvater" sollte das Stück heißen, an dem der BR Anstoß nehmen würde. Dem Fernsehdirektor des BR war das ganze Konzept der geplanten Sendung suspekt, Tschernobyl war schließlich nicht die Sorge der westlichen Hemisphäre und deutsche Atomkraftwerke waren schon damals die sichersten der Welt - jedenfalls dann, wenn man in Deutschland lebte, denn in Frankreich waren von jeher französische AKWs die sichersten und in Japan waren es japanische... aber sprechen wir nicht von Japan.

Den "verstrahlten Großvater" bekamen bayerische Fernsehzuschauer nicht zu Gesicht. Der Bayerische Rundfunk blendete sich aus und der Scheibenwischer galt ein Weilchen als Unterschlupf subversiver Elemente. 1986 war das - seither hat sich nicht viel geändert. Gut, es ist schon wahr, heute haben wir den Satire Gipfel und der ist ungefähr so subversiv wie der Verfassungsschutz - wobei der wiederum witzigere Sketche liefert. Der Satire Gipfel läuft nicht Gefahr, ausgeblendet zu werden. Dies wäre ohnehin vergebliche Arbeit, denn die drei Hansel, die den noch verfolgen, stellen keine Gefahr mehr dar. Inhaltlich bewegt man sich sowieso zwischen Zahn- und Harmlosigkeit. Den Biss, den der Scheibenwischer in seinen letzten Jahren schon - gedankt sei Bruno Jonas! - verloren hatte, den hat der Satire Gipfel nie aufgewiesen.

Viel geändert - viel gleich geblieben. Verstrahlte Großväter sieht man auch heute nicht. Als Japan zu strahlen begann, da trieb es die Medien reihum zu diesem Thema. Verständlicherweise! Nun schweigen sie dazu, manchmal eine Fußnote oder Randnotiz. Mehr schon nicht. Japan wird medial nicht mehr ausgestrahlt, obwohl es sich dort noch lange nicht ausgestrahlt hat. Berichte über verstrahlte Großväter und Gr0ßmütter, Eltern, Enkel und Enkelinnen? Keine! Zwar dominiert der Atomausstieg seither das agenda setting, aber mit schonungsloser Offenheit geht man an das Thema nicht heran. Man wagt es nicht, Bilder aus dem Kriegsgebiet in deutsche Wohnzimmer zu liefern - aus einem Kriegs-, nicht Krisengebiet, denn die Atommafia hat die dortige Menschheit nicht in die Krise gestürzt, sie führt täglich einen Krieg gegen die gesamte Menschheit.

Im Ergebnis gleichen sich 1986 und heute. Die Verfahrensweise ist aber tatsächlich eine andere. Damals blendete sich eine Sendeanstalt aus, machte das Kabarett mundtot. Heute muß nicht mehr gedroht werden, man tötet das zu lose Mundwerk schon ganz von alleine ab. Damals konnte man noch von Zensur sprechen, heute kommt es dazu gar nicht mehr. Über die Risiken und Nebenwirkungen der Atomkraft, und das in aller Ausführlichkeit, spricht man in der heutigen Öffentlichkeit auch nicht. Ersatzweise ideologisches "Raus aus der Atomenergie!"-Parolieren oder "Atomenergie ist lebenswichtig!"-Skandieren - keine Grundlagen, kein Basiswissen, das man den Menschen vermittelt. Wie funktioniert ein Reaktor? Wie baut man Uran ab... gibt es überhaupt noch ausreichend Uran? Wiederaufbereitungsanlagen - was sind die Gefahren? Können regenerative Energien den Strombedarf abdecken? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum? Weshalb ist der deklarierte Energie-Mix eine Bremse für erneuerbare Energien? Und aus gegebenen Anlass: Welche Folgen hat ein GAU? Wie sieht es in einer Gegend aus, die unter Strahlung steht? Wie sehen dort Meere aus? Menschen? Menschlicher Nachwuchs? Tiere? Nichts! Das Atom-Pack verhindert und grenzt ein, schmiert und untergräbt...

Funkstille. Keine Bilderflut in einer ansonsten so bilderreichen Gesellschaft. Programmdirektoren müssen hierzu keine Leitung mehr kappen lassen. Es reicht ein absolutistisches Wort - wenn überhaupt, wenn nicht die kleinen Informationsangestellten aus den Medienbetrieben von selbst schweigen, weil es bequemer ist und den Arbeitsplatz nicht antastet. Zwar kann man heute im Kabarett gegen Atomenergie aufbegehren und aufklären - unter Arschloch!-Rufen zwar, wie es neulich Georg Schramm widerfuhr -, aber das liegt auch daran, dass politisches Kabarett als Stiefkind im späten Abendprogramm angesetzt ist. Und mehr als die Hälfte des Kabaretts ist, man denke nochmals an den Gipfel der Impertinenz, der auch Satire Gipfel heißt, überhaupt nicht zur Aufklärung gedacht. Und was dann von Neues aus der Anstalt beim Betrachter haften bleibt, wird später beim abendlichen oder nächtlichen Politgequassel wieder vergessen gemacht - bis nichts mehr im Kopf zurückbleibt.

Damals schützten Programmaussetzer den Betrachter vor Aufklärung - heute können sie ohne Programmunterbrechung geschützt werden. Das nennt sich fortschrittlich! Aber geändert hat sich relativ wenig...


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