Heute las ich in der Jungen Welt den Artikel Linke unter Generalverdacht – ein wirklich lesenswerter Hintergrundartikel über das ideologische Kampfinstrument des Konservatismus schlechthin: Die Extremismustheorie und die mit ihr verbundene Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus.
Aktuelles Beispiel für den von meiner derzeitigen Lieblingsministerin Kristina Schröder neu aufgelegten Kreuzzug gegen allen Extremismus, der gerade den Linken ganz ausdrücklich mit einschließt, war die Ablehnung einer Anti-Extremismuserklärung, die künftig zur Pflicht werden soll, wenn entsprechende Organisationen eine Förderung mit Geld aus Bundesmitteln erhalten wollen. In diesem Fall ging es aber „nur“ um einen Preis der sächsischen Landesregierung, für den das Alternative Kultur- und Bildungszentrum (AkuBIZ) aus Pirna nominiert wurde. Das AkuBIZ hatte die Courage, den mit 10.000 Euro dotierten Sächsischen Demokratiepreis abzugelehnen. Durch diese demonstrative Verweigerung hat das AkuBIZ es immerhin geschafft, darauf aufmerksam zu machen, dass bürgerliches bzw. ziviles Engagement zwar sehr wohl gefordert wird, gleichzeitig aber linke, antifaschistische und überhaupt kritische Initiativen mit verstärktem Argwohn betrachtet werden.
Die Extremismus-Klausel im Wortlaut:
Hiermit bestätigen wir, dass wir
• uns zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und
• eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.
Als Nominierte bzw. Preisträger des Sächsischen Förderpreises für Demokratie haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Vereinen/Trägern sowie Behörden, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.
Daraufhin habe ich mir das Grundgesetz mal wieder angesehen.
Vielleicht sollte auch die Regierung das Grundgesetz ab und zu mal lesen. Denn es ist höchste Zeit zum Widerstand! Mir sind nämlich auf Anhieb eine ganze Reihe von Grundgesetzen aufgefallen, die von der aktuellen Regierung gebrochen werden. Luxus wie Freizügigkeit oder eine freie Berufswahl gelten längst nicht mehr für jeden. Eigentum verpflichtet – von wegen! Höchstens zum noch Reicherwerden. Und ich habe auch keinen Artikel gefunden, der festschreibt, dass die Wirtschaftsordnung in Deutschland eine kapitalistische sein müsste.
Dafür hab ich was anderes gefunden: Art 20 „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ „sozial“ steht da, nicht „freiheitlich“! Auch nicht sozialdemokratisch, nebenbei. Ich gebe aber zu, dass ich die Kombination „freiheitlich demokratisch“ auch gefunden habe, unter anderem in Art 21: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Mir fallen auf Anhieb sowohl in SPD, CDU/CSU und FDP Politiker ein, deren Forderungen um die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik durchaus fürchten lassen. Dagegen erscheinen Grüne und die Linke geradezu als Stützen des Systems – was ja auch nicht unbedingt erfreulich ist. Die Grünen sind zu sehr auf eigentlich konservative Besserverdiener und die Linke auf frustrierte Sozialverlierer als Zielgruppen fixiert, anstatt sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie man den Laden hier tatsächlich zum Laufen bringen könnte, so dass wirklich alle was davon haben.
Um zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Unsere Regierung ist auffällig bemüht, Rechts- und Linksextremismus in einen Topf zu werfen. Dazu kommt, dass es inzwischen ja schon als linksextrem gilt, auch nur sozialistische Positionen zu vertreten, die durchaus vom Grundgesetz gedeckt werden. Wirklich linke Positionen vertritt ja nicht mal mehr die Linke. Deshalb darf sie nach diversen exorzistischen Riten auch im Demokratiezirkus mitmachen. Obwohl das Deutschland, aus dem ein Teil der Linken kommen, sich sogar Deutsche Demokratische Republik nannte. Nicht einfach bloß Bundesrepublik oder gar Schland oder ähnlich triviales.
Dafür vertreten auch einzelne Sozialdemokraten rechtsextreme Positionen und bekommen dafür auch noch Beifall. Egal, was Kristina Schröder und die Extremismus-Theoretiker behaupten: Rechts und links ist keineswegs dasselbe! Auch wenn ihr glaubt, dass die Leute sich dermaßen dran gewöhnt haben ein X für U vorgemacht zu kriegen, dass sie das ohnehin nicht mehr kapieren. Da habt ihr euer PISA-Problem, hindert die Leute nicht von klein auf am Denkenlernen!
Es ist ein gigantischer, ein unüberbrückbarer Unterschied, ob einer das Grundgesetz ablehnt, weil er meint, dass der Stärkere immer Recht hat und ein Deutscher immer der Stärkere sein muss, egal ob er eigentlich ein Vollidiot ist oder ein Nobelpreisträger, den man aber auch nicht ernst nehmen muss, wenn er Angst hat, einen aufs Maul zu kriegen. Oder ob einer das Grundgesetz infrage stellt, weil es nicht nachdrücklich festlegt, dass alle Menschen vom Wohlstand der Gesellschaft, in der sie leben, profitieren müssen. Ich persönlich finde diese Position überhaupt nicht extremistisch: Warum gibt es keine Festlegung, dass alle an dem Reichtum, der geschaffen wird, beteiligt werden müssen? Warum muss Eigentum mit Gewalt durchgesetzt werden, statt allen zugute zu kommen? Warum ist „freiheitlich“ so viel höher zu bewerten als „sozial“? Warum wird immer so getan als seien „Gleichheit“ und „Freiheit“ Dinge, die sich gegenseitig ausschließen?
Wenn es einen Extremismus gibt, vor dem man sich hüten sollte, ist das der Extremismus der Mitte. Der hat tatsächlich in den Faschismus geführt – und der schielt eher nach rechts. Auch wenn unsere Extremismus-Ministerin auf dem linken Auge schärfer sieht.