Die “Sommer”-Episode von “Gilmore Girls: Ein neues Jahr” mag coole Outfits für Lorelai und Rory bereit halten, aber dann ist da auch “Stars Hollow – Das Musical”. Was haben sich die Autoren Amy Sherman-Palladino und Daniel Palladino denn bitteschön dabei gedacht? Dieses viel zu lang geratene Intermezzo mitten in der Story wird für immer in der Erinnerung der Netflix Revival-Serie bleiben – und das keinesfalls im guten Sinne.
Taylor (Michael Winters) gibt bei einem seiner legendären Town Hall Meetings gleich zwei Dinge bekannt: zum einen besagtes Ungetüm von einem Musical, zum anderen die Schließung der Stars Hollow Gazette. Während die Gazette-Story zwar auch nirgendwo hin führt, aber immerhin für ein wenig Unterhaltung sorgt, ist das Musical das schrecklich scheußlichste, was eine “Gilmore Girls”-Episode je zu Gesicht bekommen hat. Und ja, jede Rory Gilmore / Logan Huntzberger Liebesszene war leichter zu ertragen.
Weshalb das Musical so wichtig ist, erschließt sich auch nicht so recht. Wir durchleiden gemeinsam mit Lorelai eine unsäglich lange andauernde Probe. Erst später gibt es noch eine kleine, kurze Musical-Szene, in der bei Lorelai die Tränen fließen. Dieser Moment ist tatsächlich emotional und stark und hätte als einziger Einblick in “Stars Hollow – Das Musical” vollkommen ausgereicht. Aber man glaube es, diese Gräueltat einer Handlungsvergewaltigung wird leidig in Erinnerung bleiben.
Lorelai und Rory in ihren feschen Sommer-Outfits
Während Lorelai also dieses Musical durchsteht, entschließt sich Rory dazu, die Zeitung zu retten, die ihr ihre ersten Begegnungen mit dem Journalismus ermöglicht haben. Sie bietet Taylor an, den Posten der Chefredaktion anzunehmen und die Gazette weiterzuführen. Ein schöner Sommerjob, der allerdings mehr als nur einen Haken hat. Die Zeitung ist nicht unbedingt modern, sämtliche Versuche Rorys ihre Großstadt-Erfahrungen in Sachen Berichterstattung in die Gazette einfließen zu lassen, werden von den Stars Hollow-Bewohner boykottiert. Das traditionsreiche Gedicht von der ersten Seite streichen? Was für ein Frevel! Außerdem bekommt es Rory mit einer Redaktion aus zwei über 60jährigen Urgesteinen zu tun, mit einer Ausstattung die sicherlich noch ein paar Jahre mehr auf dem Buckel hat und als es um die Frage geht, wie die Gazette überhaupt in der Stadt verteilt wird, fallen die Blicke natürlich auch auf sie als Chefredakteurin. Mit etwas Hilfe von Lorelai und Nancy Sinatras “These Boots Are Made For Walkin’” gibt es dann eine kleine Gazette-Verteil-Montage.
Man könnte nun anbringen, dass hier recht seicht die Stories um Lorelai und Rory weitererzählt werden. Durch einen ganz bestimmten Song des Musicals erkennt Lorelai, wohin ihre Reise gehen soll. Das Engagement Rorys bei der Gazette zeigt wiederum, wie verzweifelt die Gilmore-Tochter nach einem Sinn – ganz gleich welchen – in ihrem weiteren Leben sucht. Dennoch kommen die “Gilmore Girls” mit der “Sommer”-Folge ins Schwanken. Während der “Winter” und noch nostalgisch nach Stars Hollow zurückholte und der “Frühling” die Geschichte in Gang brachte, scheint der “Sommer” diese ‘Filler-Episode’ zu sein, diese Schwachstelle und Spannungskurve nach unten zugleich, die jede Staffel jeder Serie irgendwo einmal abliefert.
Ist die verstaubte Stars Hollow Gazette noch zu retten?
Am spannendsten wäre es, mehr Zeit mit Michel (Yanic Truesdale) zu verbringen. Dieser stellt Lorelai vor die Wahl. Sie solle das Dragonfly ausbauen, ein größere Angebot schaffen, ihm mehr Verantwortung übertragen, ihm mehr Geld zahlen. Ihm liegt ein Angebot eines anderen Hotels vor, das er auch annehmen möchte. Das treibt Lorelais Verzweiflung natürlich noch weiter in die Höhe. Erst hat Sookie sie verlassen, nun scheint auch Michel zu gehen. Das Dreigestirn des Dragonfly Inn geht gänzlich zu Bruch. Anstelle soviel Zeit mit Taylors Schabernack zu verbringen, hätte “Gilmore Girls: Ein neues Jahr” vielleicht einen größeren Blick auf Michel werfen sollen. Hier liegt eine Story verborgen, die nicht erzählt worden ist, aber mit jedem Auftritt Michels das Interesse an seinem Leben zu wecken vermag.
Als Gastauftritte bekommen wir Lukes Tochter April (Vanessa Marano) zu sehen, als auch die Rückkehr von Jess (Milo Ventimigila), bei dem sich Rory einmal so richtig über all ihre Fehltritte im Leben ausheulen darf – wenn auch ohne Tränen. Rory ist seltsam unemotional in allen vier Episoden dieser Serie, was böse Zungen dem schauspielerischen Talent von Alexis Bledel zusprechen würden. Jess hält aber auch den besten Rat für seine ehemalige Flamme parat: sie soll ein Buch über sich selbst und Lorelai schreiben, über diese einzigartige, best-friends Beziehung von Mutter und Tochter. Rory ist begeistert, Lorelai hasst die Idee.
Es kommt zum Streit zwischen Lorelai und Rory, gleich danach legt sich Lorelai auch noch mit Luke an. So viel muss man “Sommer” eingestehen, die letzten 20 Minuten der Folge, sind absolut stark, weil hier die Emotionen hochkochen, weil Lorelai, Rory und Luke einmal etwas mehr zu tun bekommen, als in nostalgischen Sketchen aufzutreten. Die Folge endet mit der Ankündigung Lorelais, einmal auf “Wild” machen zu wollen – natürlich dem Buch, nicht dem Film. Entsprechend entschließt sie sich, den Pacific Crest Trail zu gehen, möge es noch so lange dauern. Weg von Luke, weg von Rory, ein Selbstfindungstrip in der Natur, fern von allem was Lorelai Gilmore ausmacht.
Die Folge endet. Der Streit war cool, ist es doch auch ein netter Cliffhanger zum großen Finale. Aber in Erinnerung bleibt trotzdem “Stars Hollow – Das Musical”.
Review zu „Gilmore Girls – Ein neues Jahr“: Folge 1, Winter
Review zu „Gilmore Girls – Ein neues Jahr“: Folge 2, Frühling