Erste bayerische Fliegerin starb verarmt und vergessen

Erste bayerische Fliegerin starb verarmt und vergessen
Waldmünchen / Bad Heilbrunn (internet-zeitung) – Warum gibt es bisher in ganz Bayern keine Christl-Marie-Schultes-Straße, keinen Christl-Marie-Schultes-Weg und auch keinen Christl-Marie-Schultes-Platz? Diese Frage werfen die Autoren Ernst Probst und Theo Lederer auf, die soeben das Taschenbuch „Christl-Marie Schultes. Die erste Fliegerin in Bayern“ (GRIN Verlag) veröffentlicht haben.
Christl-Marie Schultes (1904-1976) hat 1928 vor so berühmten Frauen wie Liesel Bach, Elly Beinhorn, Vera von Bissing, Hanna Reitsch, Melitta Gräfin Schenk von Stauffenberg und Beate Uhse, geborene Köstlin, das Fliegen gelernt. Wegen ihrer Herkunft aus einer Försterfamilie wurde sie „Förster-Christl“ genannt. In ihrem abenteuerlichen Fliegerleben gab es Höhen und Tiefen.
Maria Rosalia Schultes kam am 6. November 1904 als eines von vier Kindern aus der zweiten Ehe des bayerischen Forstverwalters Otmar Schultes zu Friedensfels mit Theresia Schultes, geborene Koller, in Geigant bei Waldmünchen (Oberpfalz) zur Welt. Ab 1907 lebte die Familie Schultes in Oberenzenau bei Bad Heilbrunn (Oberbayern), wohin der Vater versetzt worden war.
1928 lernte die abenteuerlustige Christl-Marie ohne Wissen ihrer Eltern in Berlin-Staaken das Fliegen. Nach dem so genannten A-Schein erwarb sie bald darauf den Kunstflug-Schein. Mit einer von ihrer Flugschule geliehenen Maschine trat sie bei Flugtagen in der Provinz auf und wurde als erste bayerische Fliegerin umjubelt.
Im März 1929 kaufte Christl-Marie mit finanzieller Unterstützung der Stadt Tölz und ihrer Eltern in England ein eigenes Flugzeug, mit dem sie für Bad Tölz und seinen Bäderbetrieb Reklame fliegen sollte. Diese Maschine wurde am 4. August 1929 auf den Namen „Bad Tölz“ getauft. Damit trat sie neben den deutschen Fliegeridolen Ernst Udet und Gerhard Fieseler im In- und Ausland auf. Allein beim Flugtag in München bestaunten schätzungsweise 50.000 bis 150.000 Zuschauer/innen ihre Flugkünste.
Im Sommer 1930 wurde das Flugzeug „Bad Tölz“ während eines Fluges über dem Fichtelgebirge von einer Gewitterbö zu Boden gerissen und zerschellte. Christl-Marie und ihr Begleiter blieben unverletzt. Bald danach erhielt sie ein zweites Flugzeug namens „Bad Tölz“.
Der Absturz von Christl-Marie im Fichtelgebirge verhinderte ihre geplante Teilnahme am Europa-Flug im Sommer 1930, bei dem sie die einzige deutsche Pilotin gewesen wäre. Nicht zustande kam auch ein für November 1930 geplanter Fernflug nach Japan.
Im Frühjahr 1931 wollte Christl-Marie zusammen mit dem Jungpiloten Gustav Sackmann aus Cannstatt den kühnen Plan eines Fluges um die Welt verwirklichen. Doch die Beiden stürzten am 21. Mai 1931 während eines Unwetters bei einer versuchten Notlandung in Schaibing bei Passau (Niederbayern) ab und wurden schwer verletzt. Bei diesem Unglück verlor Christl-Marie ihr linkes Bein und musste fortan eine Beinprothese tragen.
Ab April 1933 gab Christl-Marie eine eigene Zeitschrift namens „Deutsche Flugillustierte“ heraus. Weil sie nicht der „NSDAP“ beitrat und einen jüdischen Verlobten hatte, wurde sie von den Nazis enteignet. In der Folgezeit wurde sie von der „Gestapo“ überwacht.
Nach dem Tod des deutschen Staatspräsidenten Paul von Hindenburg, der ihr Gönner gewesen war, emigrierte Christl-Marie im August 1934 in die Schweiz, 1936 zunächst nach Spanien, wo bald der Bürgerkrieg ausbrach, dann nach Portugal und schließlich nach Frankreich.
In Frankreich half Christl-Marie armen Kindern und Verfolgten, bis man sie verhaftete und ins Internierungslager Brens brachte. Nach 14 Monaten in diesem Lager wurde sie 1942 nach Deutschland deportiert, kam ins KZ Ravensbrück, wurde aber dank der Hilfe eines offenbar in sie verliebten SS-Mannes wieder freigelassen. Ihre Arbeit in der Flugzeugindustrie verlor sie im März 1943 wegen „politischer Unzuverlässigkeit“.
Im Frühjahr 1944 kritisierte Christl-Marie vor dem Postamt in Bad Tölz und anschließend bei der Fahrt von Bad Tölz nach Bad Heilbrunn im vollbesetzten Omnibus die „Nazis“ und forderte Soldaten dazu auf, nicht mehr in den Krieg zu ziehen. Danach irrte sie in Deutschland umher, ehe sie sich im Oktober 1944 freiwillig den Behörden stellte.
Dass Christl-Marie nicht wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet wurde, verdankte sie den Amerikanern, die am 1. Mai 1945 mit Panzern in den Gefängnishof von München-Stadelheim rollten. Christl-Marie hat sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder für andere Menschen eingesetzt. Zum Beispiel für deutsche Kriegsgefangene oder für Erdbebenopfer in Marokko.
Am 9. März 1976 starb Christl-Marie Schultes im Alter von 71 Jahren verarmt und vergessen in München. Ihr abenteuerliches Leben böte reichlich Stoff für Romane oder Filme, meinen die Autoren Ernst Probst, ein gebürtiger Bayer aus Wiesbaden, und Theo Lederer aus Bad Heilbrunn. Beide treten dafür ein, dass die Leistungen der ersten bayerischen Pilotin, die sich mit ihrer „reichen Phantasie“ manchmal schadete, endlich gebührend gewürdigt werden.
Eine Kurzbiografie von Christl-Marie Schultes findet man auch in den Taschenbüchern „Königinnen der Lüfte von A bis Z“, „Königinnen der Lüfte in Deutschland“ und „Königinnen der Lüfte in Europa“ von Ernst Probst sowie „Drei Königinnen der Lüfte in Bayern“ von Ernst Probst und Josef Eimannsberger (München).


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