<zorn>
Jetzt will des Mädels Mutter doch tatsächlich einen Rollstuhl!
</zorn>
Die wahre Geschichte geht so:
Die junge Ukrainerin tat mir leid, weil: Sie ist behindert und hässlich, schielend wie Heidi, ohne Internet lebend und Deutsch nicht könnend, umzingelt von einer dominanten Mutter, (noch) ohne Freunde in Deutschland und doch erst Anfang Zwanzig – das Leben noch vor sich habend. Dies Mädel hat wahrlich andere bessere Lebensumstände verdient, finde fand ich, zumindest ein Minimum an Grundversorgung und jemanden, der sich hin und wieder kümmert.
Da Jemand nicht verfügbar, bleibe ich.
OMG – bist Du heute wieder witzig!
Okay. Spaß beiseite.
Also:
“Sie brauchen einen Rollstuhl und Internet!”
So lautete meine Diagnose, in Folge derer ich mich in einen Autohändler verwandelte, der eine Probefahrt in Aussicht stellt. Auf des Vaters Rollstuhl.
Der Sonntag schien mir aufgrund des Wetters als geeigneter Termin, auch später fürs Internet. Vorher wollten wir noch telefonieren, sie sollte mich anrufen.
Doch der Anruf blieb aus, des Mädels Handy abgestellt und als ich schließlich nach 10:00 Uhr [sic!] an der Haustür stand, sah ich der Mutter vorwurfsvolle Augen.
“Wir schlafen noch!”
Das steckte ich weg. Ebenso wie den bescheuerten Umstand, dass sich das Mädel später nicht einmal probeweise in den Rollstuhl setzen wollte – das sei ihr zu doof. So zottelten ich durch den Babelsberger Park, einen leeren Rollstuhl schiebend, an meiner Seite ein humpelndes Kind.
Es führte trotz zahlreicher ermunternder Worte kein Weg “rein”, den Stuhl wenigstens zu probieren. Und der Hund blieb angeleint – sie hat nämlich a bissel Angst vor Hunden.
Doch das Wichtigste:
“Nie werde ich mich in einen Rollstuhl setzen!”
Auch Internet brauche sie nicht, sagte das Mädel hinterher. Und zwar als sie erfuhr, dass zwischen offline und online drei Etagen liegen – der Weg über die Treppe bis in unserer Wohnung, in welcher meine Frau zu diesem Zeitpunkt bereits für das Mädchen Mittagessen bereitete. Plinsen, Deruni und Salate – Alles vom Feinsten.
Sie brauche auch deshalb kein Internet – O-Ton! – weil sie Internet habe. Nur sei ihres zu langsam. Zu langsam, um Fernsehen oder Filme zu gucken. Was – lerne ich – gleichbedeutend sein muss, wie ein Leben ohne Internet. Text allein zählt nicht.
Abgehakt.
Mein Zorn war bereits verflogen, da höre ich am darauf folgenden Montag zufällig, wie die dominante Mutter einen meiner Kollegen anspricht. Sie habe gehört, Rollstühle gäbe es in Deutschland umsonst, ein Arzt müsse einfach nur das zugehörige Rezept ausstellen. Ob mein Kollege so nett sei, bei einem Arzt anzurufen ….
WAS? WOZU? oder besser WOOOZU?
Nicht alles was man umsonst kriegen kann, muss man auch nehmen! Und – schwupps! – erwische ich mich dabei, wie für das Bruchteil einer Millisekunde meine latente Ausländerfeindlichkeit dominant ward.
* * *
Nurmalnebenbei: Ich lerne derzeit kyrillische Buchstaben zu tippen und schreibe ähnlichen Text für ein Posting in russischer Sprache. Dabei komme ich zur Formulierung “на халяву” (geschnorrt, kostenlos bezogen) und frage in eile nach dem “х” auf dem Keyboard.
Lenchen kennt sich aus:
“Das “х” ist oben rechts!”
“Danke. – Und wo, bitteschön, finde ich das “у”?”
Da verändert sich ihr Tonfall. Sie zornt aus der Ferne:
“Du wirst doch nicht etwa? – Untersteh dich! – So etwas schreibt man nicht!”
Einsortiert unter:По-украински, Mentalität Tagged: Ramschen, Schmarotzen, Schnorren