Hamed Andel-Samad / Foto © Evelin Frerk
BERLIN. (hpd) Gast der zweiten ATHventslesung des EHBB e.V. war Hamed Abdel-Samad. Obwohl so angekündigt, las er nicht aus seinem aktuellen Buch „Krieg oder Frieden: Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens“.
Wie einer der oft kolportierten orientalischen Geschichtenerzähler saß Samad auf der Bühne und erzählte dem fachkundigen und wirklich gebanntem Publikum von seinen Erlebnissen in Kairo. Er war während des Sturzes der Mubarak-Diktatur zu Beginn es Jahres selbst auf dem Tahrirplatz. Aber Hamed Abdel-Samad wäre nicht er selbst, wenn er nur als Beobachter berichten würde. Er wertet. Er klärt auf.
Der Wechsel von einer Diktatur zu einer Demokratie braucht Zeit. Zeit, die das ägyptische Volk bisher nicht hatte. Für Demokratie braucht es Strukturen; es müssen Parteien entstehen, Haltungen und Meinungen. Eine Parteienlandschaft aus inzwischen immerhin 55 Partei ist erst im Werden. Einzig die Muslimbrüderschaft hat gewachsene, historische Strukturen.
Er sitzt vorn auf der Bühne, schaut manchmal wie ins Leere wenn er sich konzentriert, oft aber auch den Zuhörern in die Augen. Auch damit zieht er sie in seinen Bann. Doch sind es vor allem seine ruhig vorgetragenen Worte, die fesseln.
Als wirklich die Demokratisierung des Landes gefährdend sieht Hamed Abdel-Samad die von Saudi-Arabien finanzierten Wahabiten. Dieses Geld kann Stimmen kaufen und es hat Stimmen gekauft. Menschen, die arm sind, seien schnell bereit, für den Gegenwert von 5 Euro ihre Stimme für die Wahabiten zu geben.
Er warnt vor Urteilen und Vorraussagen. In Ägypten ist derzeit alles offen; niemand kann voraussagen, wie die Zukunft des Landes aussehen wird. Er bittet um Geduld. Wenn die USA weiterhin Saudi-Arabien mit Waffen beliefert, wenn die erste Ladung, die aus einem Schiffsbau nach der Revolution entladen wird, Tränengas enthält, dann sind alle Versprechungen des Westens, einem demokratischen Staat Ägypten zu helfen, Makulatur.
Als er die Zuhörer auffordert, Fragen zu stellen, lassen diese sich nicht lang bitten. Die Fragen zeigten zum einen, wie wenig wir hier in Deutschland über die ägyptischen Strukturen wissen. Zum anderen zeigten sie aber auch ein überaus großes Interesse, Dinge aus berufenem Munde zu erfahren. Geduldig und wissend antwortet Abdel-Samad. Manchmal blitzt der Schalk in seinen Augen. So, als er einem Fragesteller sagt: „Sie sagen das, was ich eben vorgetragen habe. Was also ist ihre Frage?“
Fachwissen, gepaart mit einer hervorragenden Fabulierlust, ernsthaft aber nicht oberlehrerhaft. Der Nachmittag war für alle ein Gewinn. So wie Hamed Abdel-Samad ein großer Gewinn für die Giordano-Bruno-Stiftung sein dürfte.
Jan Weber