Ein-Parteien-Staat?

Von Stefan Sasse
Veit Medick und Philipp Wittrock haben im Spiegel die These aufgestellt, dass der neue Atomkonsens den Ein-Parteien-Staat begründe, da die letzte große ideologische Barriere weggefallen ist. Die vier etablierten Parteien würden sich auf einen gemeinsamen Nenner berufen können, was die wichtigsten Politikfelder angeht (Auslandseinsätze, Sozialpolitik, Energiepolitik, Familienpolitik). Unterschiede bestünden nur in Details. Diese Beobachtung ist keineswegs neu, und sie ist sicher nicht erst seit dem Ausstiegsausstiegausstieg Merkels valide. Das Ende der ideologischen Konflikte ausgerechnet am Atomstreit auszurufen, hat aber eine perverse Logik und innere Gerechtigkeit in sich, legt es doch offen, dass der Aussteigsausstieg von 2010 nur eines war, Ideologie, und dass das Gerede von der drohenden Energiearmut Quatsch war. Medick und Wittrock zitieren im Artikel auch gleich einen Politikwissenschaftler, der diese Verwischung von Konturen für keine allzu schlechte Sache hält. Tatsächlich reduziert sich auf diese Art und Weise das Potential für politisch motivierten Hass; andererseits aber steigt die Gleichgültigkeit gegenüber politischen Entwicklungen und öffnet allen möglichen Extremismen innerhalb und, vor allem, außerhalb des etablierten Parteiensystems Raum.
Dass der SpOn-Artikel nur am Rande, in den letzten beiden Sätzen, überhaupt auf die Existenz der LINKEn als Gegenpartei eingeht, ist nur konsequent. Seit der Wahl 2009 hat sich die LINKE ebenso selbst zerlegt wie die FDP, nur dass die FDP mehr im Scheinwerferlicht stand. Wäre 2009 eine rot-rot-grüne Koalition gebildet worden - mittlerweile wäre sie wohl Geschichte, oder zumindest eine ähnlich lahme Ente wie Schwarz-Gelb es gerade ist. Glücklicherweise ist die Entideologisierung und Vertauschbarkeit der Parteien nicht ganz so weit vorgedrungen, wie es Medick und Wittrock überspitzt darstellen. Zwar ist es richtig, dass sich alle Parteien der Haushaltskonsolidierung verschrieben haben - aber die Vorstellung, dass je eine Partei öffentlich gefordert hätte, den Haushalt NICHT zu konsolidieren und stattdessen einfach permanent Schulden zu machen ist absurd. Wichtig ist eigentlich nur, welche Priorität der Konsolidierung im Vergleich zur Konjunkturpolitik beigemessen wird und mit welchen Mitteln die Konsolidierung erreicht werden soll. So sind Sparmaßnahmen und höhere Steuern zwei völlig andere Konzepte.
Gleiches gilt für die Energiewende und die Sozialpolitik. Ja, alle vier etablierten Parteien stehen inzwischen mehr oder weniger hinter dem Atomausstieg, aber was soll danach folgen? Hier besteht überhaupt kein Konsens und viel Raum für Profilierung. Gleiches gilt für die Sozialpolitik. Die Parteien stehen alle irgendwie hinter Hartz-IV und mäkeln nur an Details, und auch die Teilprivatisierung des Rentensystems ist eigentlich unumstritten. Hier sind die Überschneidungen in der Tat am Größten, aber mit einem geschickten Parteistrategen und einer klareren Linie ließen sich auch hier Unterschiede ausmachen, ohne dass man von diesem Gemeinschaftskonsens abrücken müsse. Noch einmal: damit ist keine Aussage gemacht, ob dieser Vier-Parteien-Konsens gut oder schlecht ist. Er ist unzweifelhaft in verschiedenen Ausprägungen vorhanden und von allen Parteiführungen derzeit auch gewünscht. Die Strategie der LINKEn dagegen scheint es zu sein, diesen Konsens auf möglichst breiter Front anzugreifen. Auch hier ist keine Wertung enthalten.
Es gibt aber, und dies übersehen Medick und Wittrock, auch andere Politikfelder, auf denen ein solcher Konsens noch überhaupt nicht besteht. Dummerweise sind es gerade diese Felder, die nur bedingt wahlkampftauglich sind. Darunter fällt etwa die Integrationspolitik, die Innere Sicherheit oder die Verkehrspolitik (Stichwort Stuttgart21). Auch die Neuordnung der Finanzmärkte fiele darunter; eine CDU-FDP-Zustimmung zu Finanztransaktionssteuern jedenfalls ist bisher nicht bekannt geworden. Auch die Ordnung des Arbeitsmarkts beinhaltet, besonders um die Streitfrage des Mindestlohns, noch zahlreiche offene Fragen, in denen sich die Parteien keineswegs einig sind.
Ich halte die Vorstellung, dass die Entideologisierung eine gute Sache per se sei, für falsch. Die Parteien müssen verschiedene Meinungen und Positionen abdecken, andererseits machen sie sich nicht nur teilweise überflüssig, sie machen auch Raum für möglicherweise schädliche Einflüsse, sei es in extremistischer Form, sei es in Form von One-Issue-Parteien, die letzten Endes die Politikfindung zu einem Roulettespiel werden lassen und eine Große Koalition der Etablierten geradezu erzwingen. So sehr ich auch begrüße, dass die CDU inzwischen eine halbwegs moderne Familienpolitik vertritt, dass sie große Schritte zum Islam gemacht hat - vermutlich sind Ausfälle wie der Friedrichs irgendwo notwendig, um Aufstiege von Parteien wie der von Geert Wilders oder der Wahren Finnen zu verhindern. Es ist ein kleines Wunder, dass wir noch keinen Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in Deutschland hatten, und wenn der Preis dafür einige Stammtischausfälle von CDU-Granden sind, ist das vielleicht nicht einmal das Schlimmste. Der Aufstieg einer solchen Partei, die dann mit CDU und FDP ein Bündnis eingeht und beide scharf nach rechts drückt wäre wesentlich schlimmer und erschreckenderweise wahrscheinlich sogar mehrheitsfähig.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Vernunft und Toleranz herrschen. Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, ohne solche Dinge miteinander auszukommen und eine gemeinsame Republik zu bilden. Leider haben wir eine solche Gesellschaft nicht. Stattdessen scheint der Trend zu sein, Intoleranz zu fördern, Abgrenzung und Hass. Liberale und sozialdemokratische Bewegungen danken überall in Europa und Nordamerika ab, werden ersetzt durch konservative oder rechtspopulistische Regierungen. Bisher ist uns dieses Schicksal weitgehend erspart geblieben. Vielleicht hat die Entideologisierung der Politik dabei geholfen, vielleicht bereitet sie erst den Weg. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir nicht sicher bin. Eines aber weiß ich: Merkels Wunsch, die "Kanzlerin aller Deutschen" zu sein, ist irreal. Eine solche Einigkeit unter der Führung gab es nicht einmal zu den Glanzzeiten der Monarchie. Eine Kanzlerin ist meist entweder für bestimmte Themen gewählt, polarisiert und wird von einem Teil der Bevölkerung genauso leidenschaftlich gehasst wie vom anderen geliebt. Oder aber sie laviert sich so in eine "pragmatische"  Beliebigkeit, dass sie den meisten Deutschen einfach gleichgültig ist. Gleichgültigkeit aber ist eine gefährliche Haltung. Gleichgültig waren die Deutschen gegenüber den Verwerfungen und Kabinettsumbildungen ihrer Republik bereits einmal, und damals bewahrheitete sich das alte Sprichwort, dass diejenigen, die sich nicht für Politik interessieren von denen regiert werden, die sich für Politik interessieren. Ich stehe lieber für etwas und verliere im Zweifel einen Kampf, als für nichts zu stehen und am Ende alles an die zu verlieren, die für das Falsche stehen.

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