Ein Flüstern in der Nacht
Moya Simons
cbj, 2012
978-3570153314
12,99 €
Leipzig 1943: Durch Kinderaugen sieht die Welt immer ganz anders auch! Das merkt auch Rachel. Als ihre Familie deportiert werden soll und alle Angst haben, versteckt ihr Vater sie unter der Spüle. Ein Blick und noch ein Satz, dann ist ihre Familie verschwunden. Und was bleibt, ist der Satz: “Denk daran, du rührst dich nicht, egal was du hörst. Du musst still sein wie ein Mäuschen.” Von da an redet Rachel kein Wort mehr und niemand weiß warum….
Rachel ist ein Mädchen mit wachen Augen und beobachtet alles. Ihr Blickwinkel als Kind ist eine schöne Art, die Zeit um 1943 zu verarbeiten. Mit ihrer kindlichen Sichtweise findet sie manche Dinge wichtiger als andere. Ich selbst hätte auf solche Kleinigkeiten, wie die Toilettenteilung, fehlende Feiertage und Menschen, die plötzlich nicht mehr miteinander reden, nicht geachtet. So bekommen aber unscheinbar Dinge einen ganz anderen Stellenwert.
Außerdem lässt Rachel den Leser sehr weit in ihre Gefühlswelt hinab, und auch wenn ihre Worte fehlen, bekommt der Leser einen tollen Eindruck von “Innen” und “Außen”.
Ihre Familie ist eigentlich ein lieber Haufen und vor allem ihre Mutter hat mir sehr gut gefallen. Leider bleiben manche Figuren sehr blass, denn der Fokus liegt auf Rachel. Ihr Vater zum Beispiel ist ein fröhlicher Mensch und glaubt an das Gute. Leider erfährt man nicht mehr von ihm. So lieb, wie sie sind, wollte ich unbedingt wissen, ob es ein Happy End gibt oder nicht.
Die “Gegner”, Soldaten, Braune werden eigentlich kaum gebraucht. Wir wissen zwar, dass es sie gibt, aber sie werden nur am Rand erwähnt und treten zwei-dreimal auf. Das ist nicht schlimm, denn durch Gespräche und Rachels Gedanken sind sie trotzdem immer präsent.
Das Buch beginnt sehr früh 1933. Allerdings werden nur die großen Schritte der Judenverfolgung angesprochen und bald darauf ist es 1943 und Rachel muss sich im Schrank verstecken. Das ist nicht weiter schlimm, denn es geht ja um Rachels verlorene Worte und um den Kampf mit dem Verlust und dem Leben danach.
Verliert jemand im Krieg einen geliebten Menschen, ist es schon schlimm genug. Rachel ist aber erst 10 Jahre alt und hat plötzlich niemanden mehr. Der Verlust ist riesig für so ein kleines Mädchen. Genau deswegen können sich jüngere Leser sehr gut mit Rachel identifizieren und nebenbei noch viel lernen.
Am Ende bin ich positiv überrascht, denn ich weiß, was damals alles passiert ist. Und mag es nicht einfach ein 0815- Ende zu lesen. Das wirkt meistens unecht und macht mich wütend. Diese Geschichte schafft es, aber auf seine eigene Art, ein Ende für Rachel zu finden. Und man merkt, wie wichtig die richtigen Worte sein können.
Das Buch hat ein tolles Cover. Es erinnert mich ein bisschen an “Der Zauberer von Oz”. Außerdem ist es eins der wenigen Bücher, die mit einem tollen Glossar zur NS-Zeit aufwarten. Alle schwierigen Begriffe werden erzählt. Allerdings muss der Leser selbst auf die Idee kommen, im Verzeichnis nachzuschauen. Die Wörter sind im Text nicht extra markiert. Für mich war es völlig in Ordnung, weil ich keine Wortprobleme hatte. Andere, jüngere Leser wären vielleicht besser mit einem Hinweis auf die Erklärung bedient.
Rachel ist ein guter Charakter, in den der Leser super “rein gucken” kann. Leider verblassen neben ihr die anderen Menschen. Ansonsten kann ich dieses Buch nur empfehlen, weil es Dinge aus der NS-Zeit sehr gut erklärt und keine Frage offen lässt.