Ich hab mich dazu entschlossen, bei der aktuellen sechsten Staffel von Doctor Who etwas anders zu verfahren als bisher und zu allen Episoden direkt Beiträge zu schreiben statt nur am Ende eine Besprechung der gesamten Staffel. Hauptsächlich, um die ganzen Gedanken loszuwerden, und auch ein bisschen den Frust zu teilen, den man bei den aktuellen Moffat-Staffeln so hat. Deswegen ist dieser Beitrag auch keine geordnete Review, sondern nur ein Haufen Stichpunkte.
Den Auftakt macht die Doppelfolge “The Impossible Astronaut/Day of the Moon”, in der sich der Doctor, Amy, Rory, River und Canton (ja, es wird kuschelig eng in der Tardis) in Amerika 1969 mit den Silence konfrontiert sehen. Diese Besprechung ist nur für Leute, die die Folgen schon gesehen haben, mit jeder Menge SPOILER. Aber auch nur Spoiler zu dieser Doppelfolge, nicht darüber hinaus – und ich bitte euch auch, in den Kommentaren auf Spoiler zu folgenden Episoden zu verzichten.
Im Großen und Ganzen eine gute Doppelfolge, vielleicht etwas zu düster und komplex für einen Staffelbeginn, aber als alte Fans sollte uns das nicht stören. Allerdings wirkt es ein wenig so, als ob sich die Story von rätselhafter Szene zu WTF-Moment zu unerklärten Mysterium hangelt und dabei nicht der normale Spannungsaufbau der Geschichte darunter verloren geht. Es wird sich zeigen, wie das ganze wirkt, wenn man diese ganzen Rätsel erklärt bekommen hat.
Ich denke, dass diese Konzentration auf aufgestellte Fragen mit daran schuld ist, dass ich zwar die Folgen beim Gucken unterhaltsam finde, aber danach nicht ein seeliges “Hach, war das toll”-Gefühl hab wie zu RTD-Zeiten, sondern eher ein unentschlossenes “Hmja” – wie schon in der fünften Staffel bei den meisten Folgen. Ich mag die Folgen trotzdem (hab ihnen im GB-Forum 8/7 Punkte gegeben), bin aber etwas distanziert… Nun ja, auf zu einer detaillierteren Betrachtung, geordnet in “The Good, the Bad and the Ugly”-Weise – mit dem Ugly-Teil als WTF-Teil für die ganzen Rätsel der Folgen.
The Good
- Canton Delaware III. Ein ganz wunderbarer “Gastcompanion” gespielt von Mark Sheppard – ich hatte anfangs die Befürchtung, dass der nur als Identifikationsperson für das neue amerikanische Publikum da sei, aber Canton ist so ein sympathischer und netter Charakter, dass man sich da keine Sorgen machen muss.
- Die Rückkehr der Gay Agenda! Die hab ich in der letzten Staffel ja schon so vermisst, dass ich ihr einen extra Beitrag gewidmet hab – Moffat hat uns anscheinend erhört, und sie ist wieder da. Und das auch noch auf ziemlich schicke Weise.
- Jede Menge gut geschriebener Dialoge mit viel, viel Witz. Darauf kann man sich bei Moffat nach wie vor immer verlassen, und hier wird man nicht enttäuscht
- Amy: Man will zwar nicht zu früh jubeln, aber es sieht so aus, als ob Amy seit dem Finale der fünften Staffel tatsächlich etwas erträglicher wird – weil ihre Charakterisation sympathischer ist, und weil Karen Gillan besser spielt. Es scheint etwas weniger aggressives Sprücheklopfen und mehr ehrliche Emotionen von ihr zu geben – ich hoffe, das bleibt so, und ist nicht nur ein Eindruck den ich hab, weil Amy zum ersten Mal Hosen trägt.
- Die Silence: Sehr schöne und effektive Monster, die gruselig und faszinierend genug sind, dass man gern darüber hinwegsieht, dass man von ihnen etwas wenig erfährt. Detailsquee: Ich mag die Kostüme, vor allem den Stoff von ihren Anzügen… Und damit zusammenhängend, die generelle Gruselatmosphäre – die wurde wirklich gut hinbekommen, gerade auch die Szenen im Waisenhaus in der zweiten Folge.
- Die wunderbar traurige Szene von River, in der sie meint, dass sie der Moment, in der der Doctor sie nicht mehr erkennt, wahrscheinlich umbringen wird – wir wissen ja, was in Silence in the Library/Forest of the Dead passiert…
- Das ganze Amerika-Setting macht Spaß und war schön gestaltet, und Stuart Milligan war überraschend gut als Nixon, welcher auch eine ganz interessante Figur abgegeben hat. Und einem nun etwas leid tut, nachdem der Doctor quasi Watergate eingeleitet hat…
- Und natürlich Dinge, die man kaum zu erwähnen braucht, weil sie eh klar sind: Matt Smith ist klasse als Doctor, gerade auch dabei einen feinen Unterschied zwischen dem jetzigen und dem zukünftigen Doctor darzustellen; Arthur Darvill als Rory ist wie immer eine Freude, auch wenn er etwas wenig zu tun bekommt
The Bad
- KÖNNEN WIR ENDLICH AUFHÖREN, CHARAKTERE “UMZUBRINGEN”? Charaktere, die natürlich ein paar Szenen später wieder leben. Das ist ein Punkt, der mich letzte Staffel schon genervt hat, und der mir in dieser Doppelfolge erneut richtig lästig wurde, mit vier (!) “Sterbeszenen” von Hauptcharakteren. Das ist kein Spannungseffekt, weil wir wissen, dass diese Personen nicht einfach so umgebracht werden – also hört gefälligst damit auf.
- Rivers Zeitlinie in Relation zu der des Doctors. Das kann Moffat schon noch richtig hinbiegen, aber momentan sieht es so aus, als ob er sich da verheddert hat: River meint, dass sie und der Doctor sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen und er sie also immer weniger kennt. Das impliziert, dass sie sich nie in die gleiche Richtung bewegen – und DAS macht die ganze Idee von Rivers Tagebuch völlig sinnlos, denn so gibt es NIE ein Abenteuer, dass beide schon miteinander erlebt haben. Der Doctor kennt immer nur ihre Zukunft, und River immer nur seine Zukunft, und sie haben nie eine gemeinsame Vergangenheit. Das ist natürlich extra tragisch, aber storymäßig ziemlich unpraktisch und widerspricht einigen bisher etablierten Dingen, wie eben dem Tagebuch, oder dem Treffen als der Doctor ihr den Sonic Screwdriver gibt…
- Wo wir schon bei Zeitproblemen sind: Natürlich hat auch diese Doppelfolge wieder eine Ladung Moffatsches timey-wimey, das mich inzwischen schon etwas stört. Die Zeitreisen in Doctor Who sind eine großartige Ausgangslage um Abenteuer in verschiedensten Zeiten spielen zu lassen, aber nicht unbedingt geeignet um ständig seine Handlungsbögen darum aufzubauen, weil da automatisch etwas Logik auf der Strecke bleibt. So Dinge wie die vom Hochhaus gesprungene River mit der Tardis aufzufangen wirken clever, stellen aber zuviel der ganzen Serie in Frage (wenn der Doctor dazu in die Vergangenheit reisen kann, warum macht er das nicht öfter bei anderen Personen/Dingen?)
- Mit dem Handlungsbogen macht Moffat auch wieder den gleichen Fehler, der mich letzte Staffel gestört hat: Es sind so offensichtliche Fragen offen, die den Doctor eigentlich wirklich kümmern sollten und denen er nachgehen sollte – und er ignoriert sie einfach (siehe das Mädchen). Das irritiert.
- Etwas gar viele Handlungspunkte, die nicht erklärt werden. Und damit meine ich nicht die Dinge, die ganz offensichtlich in späteren Episoden nochmal aufgegriffen werden, sondern so Sachen wie die Auflösung des Cliffhangers (wie sind River und Rory von den Silence weggekommen? Wann haben sie diesen Plan geschmiedet, dass Canton das Tardisteam verfolgt? Warum dauert das drei Monate?). Das wirkt schlampig und dürfte nicht ganz so aufmerksame Zuschauer verwirren (im GB-Forum liest man eh erschreckend viele “meine mitguckende Familie hat nichts verstanden”-Posts)
The Ugly/WTF?
Sehr, sehr viel ungeklärte Fragen nach dieser Doppelfolge, die die Grundlage für den Handlungsbogen liefern – etwas zu viele für meinen Geschmack, man tut sich schwer für alle richtiges Interesse aufzubringen…
- Die ganz offensichtlichen großen Fragen: Wer hat den Doctor umgebracht, warum und wie verhindern wir das wieder? Und wer und was ist das kleine Mädchen und wie kann es regenerieren?
- Dazu kommen noch die alten Rätsel, die wir aus der fünften Staffel oder von noch früher mitbringen: Wer ist River Song? Wie konnten die Silence die Tardis im letzten Staffelfinale kontrollieren, und warum bringt ihnen das irgendwas, das Universum zu vernichten? Wie kommt der Tardis-Verschnitt der Silence auf das Wohnung von Craig Owens?
- Und dann haben wir einen neuen Rätselkomplex um Amy mit ihrer mysteriösen Schwangerschaft, ihrer Verbindung zu dem kleinen Mädchen und dieser wirklich tollen, sehr David-Lynch-mäßigen Szene im Waisenhaus mit der Frau in der Augenklappe: “No, I think she’s just dreaming.”
Ausblick: Die nächste Folge “The Curse of the Black Spot” hat eigentlich viele vielversprechende Elemente: Seefahrt und Piraten, gruselige Meerjungfrauen, wohl nach dem bewährten “Fabelwesen die sich als Aliens entpuppen”-Rezept und potentiell eine normale, geradlinige Story statt Moffatsches Timey-Wimey-Handlungsbogenzeug. Andererseits bin ich nicht hundertprozentig von Autor Steve Thompson überzeugt, dessen Sherlock-Episode ja nicht sooo umwerfend war. Aber ich bin definitiv optimistisch.