[Erstveröffentlichung: 15. Juli 2009]
Es ist das ein nicht allzu häufig beschriebenes Thema. Und gerade auch für den Ort, aus dem ich herstamme, kein uninteressantes: waren doch drei der wenigen erfolgreichen Tunnelfluchten von Ost nach West von dort ausgegangen.
Allerdings muss ich gleich beginnend anmerken: so spannend das Thema, so hervorragend die Recherche und Dokumentation diverser Tunnel… so einseitig wertend sind die von den Autoren getroffenen Aussagen. Die machen das Buch für mich an manchen Stellen kaum lesbar.
Ein Beispiel? Angehörige der Grenztruppen der DDR, die auf Flüchtlinge oder Fluchthelfer schießen, werden generell als Mörder bezeichnet. Fluchthelfer, die auf Grenzposten schießen, werden zu Helden stilisiert. Diese Art und Weise der völligen Subjektivität empfinde ich als den großen Mangel des Buches.
Das klingt für mich alles nach RIAS in der Zeit des kalten Krieges.
Es wird nicht berichtet (aber gewertet), weshalb die Tunnelgräber von Ost nach West gruben; aber dafür, weshalb und für welche Summe in der Gegenrichtung. Möglicherweise bin ich doch zu sehr DDR-sozialisiert; aber ich kann keinen Heldenmut darin sehen, wenn man für eine durch den Tunnel geschleuste Person 4.000 DM kassiert hat. Das hat für mich den Ruch der Käuflichkeit. Und der Freiheitsbegriff wird zu einem fadenscheinigen Mantel, mit dem da Geldgier kaschiert werden soll.
Das wird dann im letzten Kapitel, in dem es um die (juristische) Aufarbeitung der Zeit der deutschen Teilung geht, besonders gravierend. Jedwede juristische Begründung einzelner Urteile wird bestritten: “weil es ein Unrechtsstaat war” – das genügt den Autoren als (im wahrsten Sinne) Totschlag-Argument. Für mich klingt das leider sehr nach der Mentalität der selbsterklärten “Sieger der Geschichte”, die dem geborenen “DDR-Bürger” erklären wollen, wie dieser 40 Jahre lang lebte.
Ich werde aus dem Buch nicht viel zitieren; aber dies muss sein, um zu erkennen, wes Geistes Kind die Autoren sind:
An dieser Grenze wurde scharf geschossen, wurden mehr als 130 Menschen getötet, nur weil sie der Herrschaft der SED entrinnen und ihr Leben in Freiheit leben wollten. (Seite 10)
Einmal davon abgesehen, dass jeder, der sich der Grenze näherte, wusste, welches Risiko für Leib und Leben er einging, brauchen die Autoren doch nicht so zu tun, als gäbe es nur an der ehemaligen innerdeutschen Grenze Tote. Ich empfehle einen Blick über den großen Teich, zwischen den – nach Lesart der Autoren sicherlich nicht zu bestreitenden – Demokratien USA und Mexiko gibt es eine gut befestigte Grenze… ebenso zwischen Israel und dem Gazastreifen. Und ich glaube, niemand kann bestreiten, dass gerad die letztgenannte zu überwinden äußerst tödliche Folgen haben kann…
Zudem ist sogar anhand der im Buch aufgeführten Beispiele kaum einmal die Rede von “in Freiheit leben wollen” – es geht um simple, persönliche Dinge. Einer will mit seiner Familie zusammen sein; ein anderer hält dem Druck nicht stand und hat die Hoffnung, im Westen “etwas zu werden” (es wäre interessant gewesen, zu erfahren, wie es den Tunnelflüchtlingen ergangen ist nach der Flucht), der nächste hat Angst, in der DDR nicht mehr arbeiten zu können, nachdem er jahrelang im anderen Teil Berlins tätig war. Die großen Freiheitssprüche machte keiner in den Interviews von sich aus.
Doch ich will nicht ablenken; schließlich bietet das Buch auch einiges an Informationen; nennt Namen, Orte und Zeiten. Und erklärt, weshalb es an manchen Orten eine Häufung von Tunneln und -versuchen gab; weshalb andere aufgegeben wurden vor Vollendung und – wenn man zwischen den Zeilen zu lesen vermag und sich nicht von der einseitigen Sympatie der Autoren irritieren lässt – welch ein Klima in der “Grenzstadt Berlin” in den Zeiten des kalten Krieges herrschte. Es wimmelt nur so von Spionen, Verrätern (wobei Arnold und Kellerhoff immer nur in schwarz-weiss denken können: z.B. Stasi = böse; militärischer Geheimdienst der US-Army = gut)
Ach, hätten sich die Autoren an ihre Dokumentationsabsicht gehalten: es hätte ein gutes, interessantes Buch werden können. Da sie sich aber nicht enthalten konnten und – so wie die früheren Oberen ihre rote – ihre schwarze Soße über den Text gießen mussten… so ist das Buch wirklich nur eingeschränkt zu empfehlen.
Nic