Die Vergangenheit ist in der Gegenwart

Wenn wir uns mit unserer Vergangenheit beschäftigen, dann kann das viele Formen annehmen. Je nach Stimmungslage und Verfassung kann diese, unsere Vergangenheit eher positiv oder negativ ausfallen. Wir sehen entweder, wie erfolgreich wir waren, in der Familie, dem Beruf und den Hobbys. Oder, wir malen unsere Vergangenheit in dunklen Farben, können wirklich nichts Schönes darin erkennen und wundern uns, wie wir es bis hierher geschafft haben. Wir benötigen dabei nicht immer solche extremen Unterschiede in der Betrachtung, um eines zu verdeutlichen:  Es gibt in unserem Erleben nicht “die eine” Vergangenheit sondern viele, unzählige “Vergangenheiten”. Und das besondere daran ist, diese gestalten und erleben wir im “Hier und Jetzt”, d.h. in der Gegenwart.

Die moderne Hirnforschung zeigt auf, dass wir das Erleben unsere Vergangenheit immer wieder neu konstruieren müssen. Wir bringen somit Energie dazu auf, unsere Vergangenheit in einer für uns als Wahrheit empfundene Form zu erleben. Wenn das so ist und wir der Forschung sowie der Jahrtausend alten Erfahrung der Achtsamkeit (Buddhismus) Glauben schenken wollen, dann erklärt das, warum wir unsere Vergangenheit immer wieder anders erleben können. Das führt uns auch zu einer anderen Erkenntnis: Es geht weniger darum, was wir erleben, sondern viel mehr darum, was wir daraus machen.

Um jeglichen Missverständnissen gleich zu Beginn vorzubeugen: Es wäre töricht und unverantwortlich, schwere Schicksalsschläge, Gewaltakte oder Missbrauchsfälle auf die leichte Schulter nehmen zu wollen. Diese lassen sich nicht ungeschehen machen und ich möchte auch nicht zum Ausdruck bringen, dass es leicht ist, die Sichtweise auf das Erlebte zu verändern. Die Erfahrung vieler tausender Einzelfälle und auch unser ganz normaler Alltag zeigt gleichzeitig etwas ganz Besonderes auf.

Es gibt nicht die eine Wahrheit

“Erfahrung ist nicht das, was Dir widerfährt. Erfahrung ist vielmehr, was Du mit dem tust, das dir widerfahren ist.” (Aldous Huxley)

Über das, was wir erleben gibt es keine Wahrheit. Ein und dieselbe Situation wird von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen. Eine Person kann daraus ein Chance formen, eine andere sieht sich eher als Opfer der Situation und erstarrt in einer Art Handlungsunfähigkeit. Wir schenken der Situation eine Bedeutung. Diese Bedeutung und Sichtweise speichern wir. Sie ist aber weder wahr noch die einzig mögliche Bedeutung, die wir einer Situation geben können. Es ist also niemals das Ereignis, sondern immer das was wir daraus machen, was uns zu einem bestimmten Erleben führt. Und dieses Erleben kann uns entweder stärken (in Form von Erfahrungen, Wissen, Fähigkeiten, etc.) oder eben schwächen, je nachdem, wo wir unsere Aufmerksamkeit hinwenden.

Möglicherweise eine verwirrende aber entscheidende Ergänzung: Wir müssen – der Hirnforschung folgend – dem Erlebten diese Bedeutung auch immer wieder neu geben und das, nicht nur einmal, sondern immer wieder aufs Neue. Die Bedeutung der Vergangenheit muss also immer wieder neu erzeugt werden. Würden Sie heute einem Erlebnis der Vergangenheit eine andere Bedeutung geben, verändert sich sofort Ihre Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit und damit ihr Erleben der Vergangenheit in der Gegenwart. Bitte erinnern Sie sich an meine ersten Sätze. Wir erleben alles in der Gegenwart, auch die Vergangenheit. Eine veränderte Sichtweise der Vergangenheit, kann sich somit auch nur auf die Gegenwart auswirken. Durch eine veränderte Gegenwart entsteht allerdings auch die Chance für eine als positiv wahrgenommene Zukunft.

Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf einen Moment richten, den Sie bis heute noch als für sich negativ wahrgenommen haben und für den Sie sich möglicherweise beschuldigten, sich verurteilen oder in irgend einer weise nicht stolz darauf sind, dann bestehen zu diesem Erlebnis auch immer wieder andere Sichtweisen.

Ein Beispiel aus der Burnout-Beratung:

Herr Müller wurde vor 5 Jahren mit Burnout krank geschrieben, hat unzählige Versuche unternommen seine Leistung wieder zu bekommen. Er war für mehrere Wochen in der Klinik und konnte erst nach über drei Jahren langsam wieder an die frühere Leistung anknüpfen. Diese Zeit war voll von persönlichen Krisen, die ihn zusätzlich noch sehr viel Kraft gekostet haben. Er war immer sehr müde uns schlapp. Sein Leben wurde von ihm zu Beginn mehr als Last wahrgenommen und er konnte mit der Last nur schwer umgehen.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie diese Sätze lesen? Spüren Sie selbst auch eine gewisse Schwere oder eine Betroffenheit? Welche anderen Gefühle kommen bei Ihnen auf?

Lassen Sie mich einen neuen Anlauf nehmen: Herr Müller hat die letzten 5 Jahre intensiv genutzt, sich mit seinem Leben und den eigenen Möglichkeiten und Wünschen auseinander zu setzen. Er hat die ihm zur Verfügung stehenden Chancen genutzt und immer mehr Einsicht in die für ihn gesunde Lebensweise zu bekommen. Heute schaut er mit Stolz auf eine herausfordernde Zeit zurück, die er als für ihn wichtige Erfahrung in sein zukünftiges Leben integrieren wird.

Wie geht es Ihnen mit diesen Sätzen? Fühlen Sie sich positiv animiert, freuen Sie sich über den Erfolg von Herr Müller? Welchen Unterschied nehmen Sie zwischen den Formulierungen war?

Schönfärberei oder doch eine Chance?

Eine spontane Reaktion könnte auch sein, dass es ich hier doch nur um Schönfärberei handelt. In gewisser Weise würde ich der Meinung sogar zustimmen. Nur, schauen wir doch einmal auf die Auswirkung der beiden Formulierungen. Wenn wir etwas tun oder lassen, dann hat das immer eine Auswirkung. Und die zweite Darstellung von Herrn Müller trägt sicherlich dazu bei, dass er sich und seine Erfahrungen positiver bewertet und damit für sich eine positivere Gegenwart schafft als im ersten Beispiel. Sie können das sofort erkennen, die Körperhaltung, die Ausstrahlung, die Selbstakzeptanz und das Selbstbewusstsein verändern sich sofort. Denn niemand erzählt einfach irgend etwas, ohne dass es ich über die damit verbundenen Bilder in Gefühle und damit Körperreaktionen verwandelt (positiv als auch negativ). Ich möchte an dieser Stelle aber auch erwähnen, dass es sich hier nicht einfach um eine Umformulieren handelt. Das würde meistens als “nicht stimmig” abgelehnt werden. Um diesen neuen Ansatz erlauben zu können, braucht häufig Zeit und sehr viel Einfühlungsvermögen.

Eines gilt meiner Ansicht nach immer: “Was Sie denken und worauf Sie Ihre Aufmerksam richten, wird zur gelebten und erlebten Realität.”

Verstärkt wird diese positive Gegenwartserfahrung durch die Reaktionen im Außen. Versuchen Sie es selbst, nehmen Sie ein Beispiel aus Ihrer Vergangenheit (das sicherlich nicht so dramatisch sein muss). Wenn Sie Ihren Freunden, der Familie oder in der Arbeitswelt in der geänderten Form davon erzählen, werden Sie feststellen, dass Ihr Gegenüber die dahinter liegende Energie sofort erkennt. Das Resultat ist, dass Sie auch eher Menschen anziehen, die eine ähnliche Energie bevorzugen, d.h. z.B. auch versuchen das Beste aus der Vergangenheit zu machen ohne die damit verbunden Erfahrungen weg zu wischen.

Sie können die gleiche Erfahrung auch machen, wenn Sie sich gerade bewerben. Würden Sie Ihre Vergangenheit eher angelehnt an die erste oder an die zweite Version erzählen? Welchen Unterschied würden diese Varianten auf den Zuhörer machen?

Zusammenfassung

Es geht ausdrücklich nicht darum etwas positiv zu reden. Vielmehr, um die Erkenntnis, dass wir zu jedem Zeitpunkt das Erleben unserer Vergangenheit neu bewerten, erzählen und damit erleben können. Wir können somit den Fokus und damit die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt legen. Wir können dabei auch nicht die Fakten verändern, z.B. aus 5 Jahren Berufserfahrung 10 Jahre zu machen! Aber allzu häufig werden die Fakten mit den Bewertungen der Situation verwechselt. Die Beschreibung der Situation wird schnell zur Bewertung und allein schon eine Veränderung der Beschreibung kann somit das Erleben der Vergangenheit und damit Ihre Gegenwart maßgeblich verändern.

Wenn das nun so einfach ist, warum machen wir es nicht? Die Gründe sind vielschichtig und anerkennenswert. Ich bin zunehmend der Meinung, dass wir zum einen die Möglichkeit oft nicht wahrnehmen (oder einfach nicht kennen) und dass wir auch einen Preis dafür zu bezahlen haben, wenn wir die Bedeutungsgebung verändern. Der Preis ist uns häufig Regel klar und verhindert unbewusst die geänderte Sichtweise. Beides lässt sich i.d.R. durch eine entsprechende Achtsamkeit erkennen und in ein neues Lösungsmuster überführen.

Für unseren Alltag der Achtsamkeit können wir aber vieles mitnehmen. Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen:

Nutzen Sie die Skala von 1 (sehr schlecht, ) bis 10 (unglaublich schön, so passt es für mich)

  • Wie erleben Sie gerade jetzt Ihre Vergangenheit (als Ganzes)?
  • Wie erleben Sie heute Ihre Kindheit?
  • Wie erleben Sie heute Ihre Schulzeit?
  • Wie erleben Sie heute Ihre erste Beziehung?
  • Wie erleben Sie heute Ihre Ausbildung/das Studium?
  • Wie erleben Sie heute Ihren ersten Arbeitsplatz, Ihren damaligen Chef?
  • Wie erleben Sie heute die Erinnerung an Ihr erstes Fahrrad?
  • usw.

Welche Erlebnisse würden Sie eher am unteren und welche eher am oberen Skalen-Ende ansiedeln? Was unterscheidet diese Erlebnisse? Wie erzählen Sie von diesen Erlebnissen, eher in der ersten oder zweiten Variante (aus dem Beispiel)?

Und hier schließt sich der Kreis. Ergebnisse und damit ihre Bewertung der Vergangenheit kann morgen oder in einer Woche schon wieder ganz anders aussehen. Sie haben die Möglichkeit – Schritt für Schritt, dort wo es hilfreich ist eine andere Wahrnehmung zu erlangen, wenn Sie das überhaupt wünschen.

Zitate:

  • “Es ist häufig nicht was wir tun, sondern wie wir damit umgehen, was unser Leben so erschwert” (asiatische Weisheit)
  • “Wer vor der Vergangenheit fliegt, verliert immer das Rennen” ( Thomas Stearns Eliot, 26.09.1888 – 04.01.1965)
  • „Die Vergangenheit ist im Grunde genommen ebenso ein Produkt der Phantasie wie die Zukunft.“ (Jessamyn West (*1902), amerik. Schriftstellerin)
  • “Nichts ist so wandelbar wie die Vergangenheit.” (Markus M. Ronner)
  • “Erfahrung ist nicht das, was Dir widerfährt. Erfahrung ist vielmehr, was Du mit dem tust, das dir widerfahren ist.” (Aldous Huxley)
  • „Das Leben besteht zu 10% daraus was man macht und zu 90% was man daraus macht.” (Irving Berlin)

Weiterhin eine achtsame Zeit, Ihr Olaf Karwisch


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