Die Lächerlichkeit einer künstlichen Empörung

Grabmal Benito Mussolinis am Friedhof von San Cassiano mit Touristen (Bild: Marzia Bisognin auf flickr.com)

Grabmal Benito Mussolinis am Friedhof von San Cassiano mit Touristen (Bild: Marzia Bisognin auf flickr.com)

Eine ita­lie­ni­sche EU-Abgeordnete hat den Staatsfeind Nummer Eins aus­ge­macht. Ein Wiener Lokal, das Panini mit den Namen berühm­ter Mafiosi und berühm­ter Mafia-Opfer ver­kauft. Sie for­dert jetzt im EU-Parlament, dass nie­mand mehr mit dem Namen Mafia Geld ver­die­nen darf. Ein Paradebeispiel künst­li­cher Empörung. In Italien gera­dezu lächer­lich.

Bei Sonia Alfano hat die Betroffenheit wohl den Verstand außer Kraft gesetzt. Die Liberale (oder was auch immer in Italien so genannt wird) ist EU-Parlamentarierin, Vorsitzende des Anti-Mafia-Ausschusses des EU-Parlaments und Vorsitzende des ita­lie­ni­schen Verbands der Mafia-Opfer. Dass sie es nicht beson­ders wit­zig fin­det, wenn ein (angeb­li­ches) Lokal in der Wiener Innenstadt Panini ver­kauft, die nach Mafia-Opfern benannt sind, ist mensch­lich eini­ger­ma­ßen nach­voll­zieh­bar. Noch dazu, wenn auf der Homepage dar­auf hin­ge­wie­sen wird, ein Panino mit Huhn heiße so, weil das Mafia-Opfer bei einem Bombenattentat gegrillt wor­den sei wie ein Huhn. Das ist in der Tat wider­lich und geschmack­los. Einen Boykottaufruf hätte sich das Lokal alle­mal ver­dient.

Allein, das Ganze war ein Werbegag, wie Recherchen der ita­lie­ni­schen Nachrichtenagentur ANSA zei­gen, die die öster­rei­chi­sche Tageszeitung Der Standard auf­ge­grif­fen hat. Das macht die Namensgebung weder bes­ser noch geschmack­vol­ler und es wirft Fragen nach der geis­ti­gen Verfasstheit von Auftraggeber und Werbeagentur auf. Es macht die emo­tio­nale Reaktion von Sonia Alfano nur etwas, naja, weni­ger ver­ständ­lich. Von den poli­ti­schen Schlüssen, die sie aus der Sache zieht, ganz zu schwei­gen. Die Gute hat am Dienstag im EU-Parlament allen Ernstes gefor­dert, die Mitgliedsstaaten der EU soll­ten Initiativen star­ten, damit der Name “Mafia” nicht mehr kom­mer­zi­ell genutzt wer­den. Das gibt der Sache eine lächer­li­che Note. Nicht nur wegen der Tatsache, dass das Ganze offen­bar ein zuge­ge­ben wider­li­cher Hoax war. (Zur Ehrenrettung Alfanos sei gesagt: Auch die ita­lie­ni­sche Botschaft hat lächer­li­cher­weise eine Protestnote ans öster­rei­chi­sche Außenministerium geschickt.)

Lächerlich und zugleich tra­gisch wird die Sache, wenn man sie durch­denkt. Keine Pizzeria in der EU dürfte mehr “Al Capone” hei­ßen. Streng genom­men müss­ten auch sämt­li­che Mafia-Filme ab sofort ver­bo­ten wer­den. Allen voran die groß­ar­tige Trilogie “Der Pate”. Mario Puzos Erben wür­den auch keine Tantiemen mehr aus sei­nem lite­ra­ri­schen Schaffen erhal­ten, zumin­dest nicht aus Europa. (Hatte er über­haupt Erben? Muss mal recher­chie­ren). Da stellt man sich die Frage: Geht’s noch, Frau Alfano? Oder sollte man Ihnen nicht lie­ber ein paar Baldriantropfen rei­chen? Wahlweise auch eine Zigarette, aber das traut man sich der Politikerin eines Landes, das zu den ers­ten in der EU zählte, die Raucher kri­mi­na­li­sier­ten, gar nicht erst anzu­bie­ten.

Wirklich: Geht’s noch, Frau Alfano?

Nicht bes­ser wird es, wenn man bedenkt, dass die Mafia für sich selbst nie den Namen Mafia benutzt hat und stets mit­tel­schwer ver­schnupft rea­giert, wenn jemand ande­rer das tut. Alfanos Verbots-Fantasien wür­den also die Falschen tref­fen. Gegen das Mafia-Unwesen, das in ihrer Heimat gedeiht, würde es gar nichts aus­rich­ten. Da wür­den Initiativen gegen die Vatikanbank mehr hel­fen, auf der seit eh und je Schwarzgeld der Mafia liegt. Oder mehr Druck auf Länder wie Öster­reich, das Bankgeheimnis aber jetzt auch wirk­lich abzu­schaf­fen. Von dem pro­fi­tie­ren aus­schließ­lich Steuerhinterzieher und Geldwäscher. Zum Beispiel von der Mafia.

Eine künst­li­che Aufregung, die leicht­fer­tig fun­da­men­tale Freiheiten infrage stellt, ja gera­dezu mit einem Furor abschaf­fen möchte, den man in ande­ren poli­ti­schen Richtungen eher ver­mu­ten würde. Hier steht nicht weni­ger auf dem Spiel als die Freiheit der Kunst, der Meinung und – so kri­tisch ich das auch als Linker sehe – der Wirtschaft. Zumindest, wenn es durch­ge­dacht wird. Wirklich: Geht’s noch, Frau Alfano?

Widerwärtig wird die künst­li­che Empörung in Italien, wenn man sich ansieht, was süd­lich des Brenner tag­täg­lich pas­siert. Da muss ich etwas sagen, das man mich nur sehr sel­ten sagen hört: Kehrt gefäl­ligst vor eurer eige­nen Tür, bevor ihr andere Leute gän­geln wollt.

Millionengeschäft Mussolini

Der Ort Predappio in der Emiglia Romagna lebt prak­tisch von Faschisten, die zum Geburtshaus Benito Mussolinis pil­gern. Dort gibt’s sogar ein Museum, das die Taten des faschis­ti­schen Verbrechers (eigent­lich ein Pleonasmus) ver­herr­licht. Auch der Friedhof San Cassiano im Ort zieht die Faschistenbrut an. Dort liegt die Krypta Mussolinis. Da wird Geld gemacht mit dem Namen eines Verbrechers. Mitten im Heimatland Alfanos. So zer­ris­sen Italien sein mag, es kann mir nie­mand erklä­ren, dass eine Frau aus Messina nichts von dem faschis­ti­sches Spuk mit­be­kommt, der bis heute in Norditalien betrie­ben wird.

Sollte das der Fall sein, hätte Frau Alfano aller­dings in der EU-Politik nichts ver­lo­ren und sollte ihr Dasein im Regionalparlament ihrer enge­ren Heimat fris­ten.

Bis heute offi­zi­elle Faschismus-Denkmäler

Auch der ita­lie­ni­sche Staat leis­tet sich hoch­of­fi­zi­ell bis heute, den Diktator zu ver­eh­ren. Den Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung">Mussolini-Obelisken in Rom hat man erst vor weni­gen Jahren mit Steuergeld reno­viert. Bis heute prangt dort der Schriftzug “MVSSOLINI DVX”. Wenigstens den hätte man über­tün­chen kön­nen. Von einer Erklärungstafel – keine Rede.

In Bozen steht bis heute das Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung"> Kleine Zeitung">faschis­ti­sche Siegerdenkmal samt Mussolini-Fries. Die Südtiroler Landesregierung kann nicht durch­set­zen, dass es abge­ris­sen wird. Ein paar Veränderungen soll es bald geben, die eine klei­nere Distanzierung zulas­sen. Erkämpft gegen den jahr­zehn­te­lan­gen Widerstand jenes Staates, in des­sen Namen Sonia Alfano die Gängelung von 500 Millionen Europäern for­dert. Und Repräsentanten eben die­ses Staates mar­schie­ren in regel­mä­ßi­gen Abständen vor die­sem Siegerdenkmal auf, wenn wie­der mal ein Jahrestag des Ersten Weltkriegs gefei­ert wird.

Wie viele Mussolini-Denkmäler sonst noch in Italien ste­hen und zwei­fel­hafte Touristen anzie­hen, weiß ver­mut­lich nie­mand.

Die Klassiker des Fascho-Tourismus

Für deut­sche und öster­rei­chi­sche Touristen ein­schlä­gi­ger Gesinnung hat Italien seit 1945 stets sei­nen eige­nen Charme gehabt. Bis heute denkt man nicht daran, das auf­zu­ge­ben. Ganz legal gibt’s in den vie­len “Erinnerungsorten” “Mein Kampf” auf Italienisch. Halblegal auf Deutsch. Die deut­schen Ausgaben fal­len auch in Italien unter Produktpiraterie. Der Freistaat Bayern hat bis 2015 das Copyright und ver­bie­tet aus nach­voll­zieh­ba­ren Gründen Nachdrucke. In den Augen der Carabinieri offen­bar weni­ger schlimm als sich in einer Bar eine Zigarette anzu­zün­den.

In ein­schlä­gi­gen Kreisen berühmt und kaum geschmack­vol­ler als die Panini des angeb­li­chen Wiener Lokals ist ein Klassiker für den anspruchs­vol­len Italienurlauber der Großvätergeneration und seine kaum anspruch­lo­se­ren Wiedergänger: Der Hitler-Wein, mitt­ler­weile auch online erhält­lich. Lieferzeit zwei bis drei Tage. Wegen der gro­ßen Nachfrage auch als “Führer-Wein” erhält­lich. Das Ganze gibt’s auch als Bier. Mussolini kann man natür­lich auch haben.

Die öffent­li­che Aufregung möchte man sich nicht vor­stel­len

Die öffent­li­che Aufregung in Italien möchte ich mir gar nicht vor­stel­len, wenn die öster­rei­chi­sche und die deut­sche Botschaft eine – völ­lig berech­tigte – Protestnote wegen des Hitler-Weins ans Außenministerium schi­cken wür­den. Oder wie die halbe ita­lie­ni­sche Abgeordneten-Riege (min­des­tens) gei­fern würde, wenn öster­rei­chi­sche und deut­sche EU-Abgeordnete eine Initiative star­ten wür­den, dass man in EU-Mitgliedsländern nicht Abermillionen im Namen des ver­bre­che­rischs­ten Regimes der Geschichte und auf den Rücken sei­ner Abermillionen Opfer schef­feln darf. Wenn sich Alfano dafür stark machen würde – meine Unterstützung hätte sie.

Sie beschäf­tigt lie­ber wegen EINES, noch dazu fik­ti­ven, Wiener Lokals das halbe EU-Parlament und setzt – kon­se­quent gedacht – die Meinungsfreiheit in der EU ernst­haft aufs Spiel set­zen. Da kann der faschis­ti­sche Dreck, der Italien seit 1945 besu­delt, ruhig lie­gen­blei­ben. Immerhin ver­die­nen ja die eige­nen Geschäftsleute daran. Manchmal fragt man sich wirk­lich, wie man­che Leute das wahr­neh­men, was man gemein­hin als Wirklichkeit bezeich­net.


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