Der im November 2007 in den Kinos gelaufene Animationsfilm ‚Persepolis‘ zog eindeutig das Interesse des Kinovolks auf sich. Es handelte sich nicht etwa um ein buntes Popcorn Abenteuer in 3D – was zu damaliger Zeit auch noch nicht so populär war wie heute – sondern um Marjane Satrapis Aufarbeitung ihrer Kindheit im Iran. Der Film basierte dabei auf einem gleichnamigen Comic der im Iran geborenen Comiczeichnerin, die heute in Paris lebt. Dort wurde ‚Persepolis‘ in vier Bänden veröffentlicht, die für den amerikanischen Markt zu zwei Sammelausgaben zusammengefasst und auch in Deutschland in dieser Form veröffentlicht wurden. Aber über ‚Persepolis‘ hinaus erschuf Satrapi noch weitere Werke. Neben ‚Marie und die Nachtmonster‘ sowie ‚Sticheleien‘ ist ihr neuestes Werk ‚Poulet aux prunes‘, welches 2006 unter dem deutschen Titel ‚Huhn mit Pflaumen‘ veröffentlicht wurde. Eben diesen Titel behält auch die Filmversion bei. Erneut hat sich Marjane Satrapi mit Vincent Paronnaud zum Regieteam zusammengetan. Dabei ist dieses Mal jedoch kein Animationsfilm, sondern ein Spielfilm mit Mathieu Amalric und Isabella Rossellini herausgekommen.
Lange Zeit bevor sie als Filmemacherin und Comickünstlerin aktiv war, lebte sie mit ihrer linksorientierten Familie in Teheran. Dort waren sie Anhänger von kommunistischen und sozialistischen Bewegungen. Satrapi besucht das Lycée Français in Teheran und wurde in dieser Zeit Zeuge der immer größer werdenden Unterdrückung des Volkes und den Auswirkungen der iranischen Politik auf den Alltag. Auch die ersten Jahre des Irak-Krieges musste sie noch miterleben, inklusive einem Luft- und mehreren Raketenangriffen. An dieser Stelle kann ein Blick auf ‚Persepolis‘ geworfen werden, wo geschildert wird, wie eine Scud-Rakete im Nachbarhaus einschlägt und einen ihrer Freunde tötet. Aber Vorsicht! Auch wenn diese Episode aus ‚Persepolis‘ wahr ist, gibt Marjane Satrapi zu bedenken, dass der Film keinesfalls autobiografisch sein soll. Es handele sich weder um ein politisches Statement, noch um einen Dokumentarfilm, sagte sie damals im Interview mit der ZEIT. Satrapi interessiere sich nicht für die Realität, sondern für die Eindrücke, die von der Realität hinterlassen werden.
Marjane Satrapi
Erst 1983 entgeht sie diesem Wahnsinn, als ihre Eltern sie im Alter von vierzehn Jahren nach Wien schicken, wo sie weiterhin das dortige Lycée Français besucht. ‚Persepolis‘ beschreibt, wie sie lange Zeit in Wien bleibt, teilweise bei Freunden, zwei Monate lang aber auch auf der Straße lebt. Nach einer fast tödlichen Lungenentzündung kehrt sie 1987 in den Iran zurück, wo sie in „Visual Communication“ ihren Magister an der Islamic Azad University in Teheran machte. Während dieser Zeit ließ Satrapi sich auf mehreren illegalen Partys blicken, die von ihren Uni-Freunden veranstaltet wurden. Dort traf sie auf einen Mann namens Reza, einem Veteran aus dem Irak-Krieg. Sie heiratete ihn im Alter von 21 Jahren. Drei Jahre später folgte jedoch bereits die Scheidung und 1994 emigrierte sie dann nach Straßburg in Frankreich. Dort landete sie zuerst in einer Wohngemeinschaft mit Cartoonisten – und auch wenn man aus heutiger Sicht meinen möchte, dass das der schicksalsträchtige Moment war, der uns ihre Comics bescherte, so dachte Satrapi damals, dass Comics zeichnen nur etwas für Besessene wäre. Es war ganz und gar nicht ihre Welt. Im Iran gibt es ihrer Aussage nach auch keine Tradition des Comics, sondern eher persische Manuskripte mit Miniaturabbildungen.
Trotzdem wurde sie von ihren damaligen Mitbewohnern in die Welt der Comics entführt und entwickelte eine eigene Passion für diese künstlerische Ausdrucksform. Sie fühlte sich schnell in ihr Handwerk ein, rechnete Bildgrößen aus, füllte Seiten mit ihren Rahmen und den darin enthaltenden Bildgeschichten. Schnell wurde Satrapi zur Verfechterin des Comics. Sie sah die Problematik, dass in der Schule zwar gelehrt wird, wie man Texte erörtert und interpretiert, nicht aber wie Comiczeichnungen als ein erzählerisches Mittel genutzt werden können. Satrapi selbst setzt Humor als Mittel in ihren Comics ein. Da wird über harte Männer gelacht, denn Humor ist laut der Comiczeichnerin etwas, was Menschen viel mehr verbindet als das Weinen. Die Tränen sind eine persönliche Sache, die oft auch mit dem Tod oder Krankheit in Verbindung gebracht werden. Bei ihr soll aber miteinander gelacht werden, weil das die Menschen viel mehr verbindet.
'Persepolis' (2007)
Ihre Comickarriere wurde so richtig in Schwung gebracht, als sie David Beauchard traf, einen französischen Comiczeichner, der Werke wie ‚Der Tengu‘ oder ‚Die heilige Krankheit‘ erschuf. Er wurde zu Satrapis Inspiration, zu ihrem Mentor und Lehrer. Marjane Satrapis Hauptwerk ‚Persepolis‘ wurde 2001 mit dem Angoulême International Comics Festival Prize für das beste erste Comicbuch ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt der zweite Band die Auszeichnung für das beste Szenario. In Deutschland wurde ‚Persepolis‘ 2004 auf der Frankfurter Buchmesse zum Comic des Jahres ernannt und erhielt auf dem Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis in der Kategorie „Beste deutschsprachige Comic-Publikation Import“. Der darauffolgende Film debütierte auf dem Cannes Filmfestival 2007 und teilte sich dort den Preis der Jury mit ‚Silent Light‘ von dem mexikanischen Regisseur Carlos Reygadas. Außerdem erhielt ‚Persepolis‘ eine Nominierung für den besten Animationsfilm bei den 2007er Academy Awards, musste sich dort jedoch Pixars ‚Ratatouille‘ unter der Regie von Brad Bird geschlagen geben. Dafür konnte der Film den César – dem französischen Äquivalent zum Oscar – mit nach Hause nehmen, den er als „Best First Film“ 2008 erhielt.
Coverbild vom Comicbuch zu 'Poulet aux prunes' ('Huhn mit Pflaumen')
Nun folgt mit ‚Huhn mit Pflaumen‘ also der zweite Film von Satrapi, der bei seiner Premiere im September 2011 bei den Filmfestspielen in Venedig – wie bereits ‚Persepolis‘ 2007 in Cannes – mit Standing Ovations geehrt wurde. Der Film spielt in Teheran im Jahre 1958 und handelt von Nasser-Ali Khan, einen der größten Geiger seiner Zeit. Als in einem Ehestreit seine geliebte Violine zu Bruch geht, bricht auch sein Herz. Sein musikalischer Lehrer hatte ihm das wertvolle Instrument Jahrzehnte zuvor geschenkt, nachdem die große Liebe zu der schönen Irâne sein Spiel auf dem Instrument bereichern konnte. Nasser-Ali macht sich auf die Suche nach einer neuen Geige und reist dafür nach Rasht, wo ein alter Freund seines Bruders ihm eine Stradivari anbietet, die angeblich von Mozart selbst stammt. Nasser-Ali kauft sie und setzt zum erneuten Spiel an, doch auch die wertvolle Violine kann den alten Zauber nicht wieder aufleben lassen. Der verzweifelte Musiker sinkt auf sein Bett nieder und blickt auf sein bewegtes Leben zurück: die letzten Tage seiner geliebten Mutter, seine zerrüttete Ehe mit einer Lehrerin, auf seine Ausbildungszeit in Shiraz und auf die erste Begegnung mit Irâne, deren Vater darauf bestand, seine Tochter mit einem Offizier zu verheiraten und nicht mit Nasser-Ali. Die unglückliche Liebe zu ihr hat ihn durch sein ganzes Leben begleitet und ihn zu seinen schönsten Werken inspiriert. Während er diese schönen und tragischen Momente noch einmal erlebt, erscheint ihm der Tod als attraktive Alternative zu einem Dasein ohne seine Musik.
Trailer zu ‚Huhn mit Pflaumen‘
Der Film läuft ab dem 5. Januar 2012 in den deutschen Kinos.