Die Ehre der Kopisten

Schon der erste Satz ist schlecht kopiert, immerhin aber fährt das für seine lebensechte Fremdübernahmen bekannte Magazin"Der Spiegel" diesen Stil in seinem Enthüllungsbericht über die Plagiatsaffäre Guttenberg mit dem Titel "Eher ein Scheinheiliger als ein Heiliger" bis zum Ende konsequent durch. "Das Ende wirkt überstürzt", heißt es auf der Internetseite. Der "Spiegel" macht das nur leicht elegantere "die Erklärung wirkte etwas überstürzt" daraus. Und so geht es weiter: "Am Vormittag trat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor handverlesene Journalisten", beobachtet das Hamburger Magazin, was auch auf der Seite Suite101 fast wörtlich so steht. Wie Guttenberg Texte anderer flüchtig umschrieb, dabei aber die Kommafehler übernahm, so wird hier Journalismus betrieben.
Nicht einmal der Name der Affäre, die auf "Schummel-Vorwürfe" getauft wurde, ist eine Eigenleistung der Enthüller. Mit dem Satz "Nach seiner Abwahl durch die Zuschauer hatte Lopes Schummel-Vorwürfe gegen RTL erhoben", erfand der "Stern" schon 2003 die prägende Vokabel, ohne die die Guttenberg-Geschichte kaum erzählbar wäre. Doch wie wird sie genutzt? Wie gehen die Aufdecker mit dem Zitatrecht um? Wo sind die Fußnoten?
Nirgendwo auch nur eine einzige, die auf die fast sieben Jahre alten Rechte des unbekannten "Stern"-Autors am zusammengesetzten Substantiv hinweisen. Natürlich, denn hier sind die Schamlosen bei der Arbeit: Der "Spiegel" gefällt sich immer wieder darin, fremde Federn als Schmuck zu tragen, die einzige deutsche Nachrichtenagentur dpa verbreitet Pressemeldungen von Firmen und Institutionen als "Nachrichten", nur die Süddeutsche Zeitung beschäftigt mit Hans Leyendecker einen Reporter, der sich seit einem Besuch in Bad Kleinen alles selbst ausdenkt.
Meist aber wird dergleichen Manufakturarbeit abgelehnt. Auch der aktuelle "Spiegel"-Satz "Eine bewusste Täuschung wies er aber zurück", scheint nur neu, stammt aber eigentlich aus einer Ausgabe des Hamburger Abendblattes, in der es hieß Ex-US-Präsident George Bush den deutschen Ex-Kanzler Gerd Schröder beschuldigte, ihn vor Beginn des Irak-Krieges bewusst getäuscht zu haben.
Kein Einzelfall, wie eine Initiative engagierter Internetnutzer herausfand: Sowohl der "Spiegel"-Satz "Die CSU stellt sich anschließend demonstrativ hinter den Verteidigungsminister", der eigentlich vom ZDF stammt, als auch die Formulierung "es muss jetzt Schluss sein" wurden zitiert, letzterer direkt von Franz Beckenbauer, der vor etwa einem Jahr mit denselben Worten in der Halterner Zeitung Ruhe an der Fußballfront gefordert hatte. Zitate, wohin man schaut: Der Schriftsteller Ralph Giordano lieferte in seiner Empörung über eine inzwischen vergessene Rede des inzwischen ebenso vergessenen Ministerpräsidenten Oettinger eine Vorlage für Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, der Giordanos Formulierung von der "Brüskierung der Öffentlichkeit" voller Inbrunst zitiert, nur den Hersteller des Originals unerwähnt lässt. Genauso verhält es sich bei dem Halbsatz "die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf", den der "Spiegel" indirekt zitiert, ohne den urhebenden Fußballschiedsrichter Markus Merk zu nennen.
Warum auch. Hier zitiert jeder jeden: Dass die "SPD weitergehende Konsequenzen" fordert, wie der "Spiegel" schreibt, stand zuletzt als Forderung nach Konsequenzen bei Stuttgart 21 in der Süddeutschen. Doch das passt, denn auch die Spiegel-Schlagzeile selbst ist fremdinspiriert. Der Originaltext heißt "Die Ehre des Kopisten" und stammt aus dem Jahre 2007.
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