Der Ritt durch den Todesgarten

Nach dem Fressen ist vor dem Fressen, sagte wer, wissen Sie nicht, ich auch nicht, sagen wir also, es ist von mir, wir also raus aus dem Lokal, Kippe ins Maul, Remus ist heute nicht dabei, gut so, gut so, sagt die Frau an meiner Seite, ich schwenke den Kopf, schließe die Augen kurz, sehe die Soldatenfrau mit ihrem Gefangenen an der Hundeleine, da kann man mal sehen, so Bilderverseucht sind wir schon, besser ich, denn ich bin Spiegelonlineverseucht, da gibt es doch bessere Startseiten, sag ich mir, reiße die Augendeckel auf, Fuck, Sonnenlicht kann ich nicht ausstehen, ich bin das künstliche Licht in meinem Arbeitszimmer gewöhnt, der Remus, heute ist Sonntag, ermahnt mich die Frau an meiner Seite, das ist die Seraphe, die erwähne ich täglich in meinem Blog, lebe nämlich kein Leben, sondern lebe meinen Roman, den muss ich dann nur noch abschreiben, also das Leben muss ich abschreiben, Gott und Fuck klingt das verwirrt, also zünde ich mir erst mal meine Nach-dem-Essen-schmeckt-sie-besonders-gut-Zigarette an, was machen wir jetzt, ich würde gerne noch mal auf den Friedhof, hin zum Grab meiner Mama, sagt die Seraphe, klar, gebe ich zur Antwort, ein verliebtes Paar schlendert stumm an uns vorüber, jeder von denen hängt seinen Gedanken nach, da müsste man jetzt mal rein klettern können, wo, fragt die Seraphe, denen müsste man ins Hirn klettern, sage ich, oder in die Seele, auf der anderen Seite, ja, fragt die Seraphe, auf der anderen Seite soll es die ja gar nicht geben, wer, fragt sie, die Seele natürlich, sage ich, klopfe mit dem Zeigefinger auf meine Zigarette, die Asche fällt auf ein Blatt, sah nicht gut aus, was, das Blatt halt, es wird Herbst, sagt die Seraphe, sie schubst mich zum Auto hin, nach dem Fressen ist vor dem Fressen, denke ich, die Kippe wird von meinem rechten Fuß um die Ecke gebracht, ein Kick, kein Tor, die Kippe landet im Graben, so schlecht war der Schuss gar nicht, sage ich zur Seraphe, da sind wir bereits los gefahren, immer den Berg rauf, dann wieder ins Dorf runter, ich wohne in der Provinz, habe ich das schon erzählt, die verscharren hier noch Urlauber, die nur einmal die falsche Abfahrt genommen haben, die Seraphe biegt ab, jetzt wieder einen Berg hoch, bis man zum Friedhof kommt hat man eine Achterbahnfahrt hinter sich, aber keine der Gefühle, aus dem Radio dudelt eine Version von diesem Song, habe jetzt vergessen wie der Titel von dem bekannten Song lautet, wurde gesungen von, ach, vergessen wir das, Musik kann ich eh nicht ausstehen, doch, der Boss live in Dublin, das war eine Riesennummer, wo ist denn die CD vom Boss, die müsste doch da irgendwo liegen, sagt die Seraphe, ich sage zu ihr, konzentrier dich lieber auf den Verkehr, sonst besuchen wir heute nicht nur den Friedhof, sondern wir müssen da auf Dauer hin, Unsinn, sagt die Seraphe, sie bremst ab, wir steigen aus, öffnen die Gittertür, ja, Gefangene und Tote müssen hinter Gitter, die Tür quietscht sich in den Himmel der Hammer-Studios, wir tappen über das nasse Gras, ich bleibe vor einem Steinbrocken stehen, ist kein Fels, ist ein Monument, da hängt eine Tafel, drauf zu lesen ist, es wird erinnert an die Toten des Ersten Weltkrieges, und was ist mit den Toten des Zweiten Weltkrieges, da waren die Gemeindekassen scheinbar leer, und die Juden, schreie ich den Stein an, die Zigeuner, die Schwulen, die Kommunisten, verflucht, schreie ich den Stein an, könnte man hier nicht an alle verschissenen Toten aller verschissenen Kriege erinnern, mein Spiegelonlinebewusstsein aktiviert sich, der Irak springt in meine Vorderschläfe, dann hätten wir den idealen Stein geschaffen, ein Stein des Anstoßes müsste da hin, sage ich zur Seraphe, ich denke kurz an meinen Freund Remus, was der wohl gerade treibt, die Seraphe zieht mich weiter, da geht es an lauter Leben entlang, da Helmut Müller, 1912 – 1956, Heinrich Zierl, 1888 – 1944, ich bleibe stehen, das ist ja ein Buch, sage ich zur Seraphe, Buch, fragt die, klar, sage ich, da liegen lauter Geschichten, die müsste man nur ausgraben und aufschreiben, die warten förmlich darauf, dass man sie aus ihren Gräbern reißt und in eine Datei packt, du scheinst das Essen nicht vertragen zu haben, sagt die Seraphe, ein herrlicher Ort, sage ich, atme mal die Luft ein, die Seraphe schüttelt den Kopf und geht weiter, ich gehe noch ein paar Gräber ab, ist eine Riesennummer für einen Autoren hier, ich fühl mich großartig, ja, so einen Herbst sollte man auf den Friedhöfen verbringen, da hin, auf eine Bank setzen, Laptop raus und tippen, die Blätter beschreiben, die alten Frauen, die langsam zu den Gräbern ihrer Männer schlurfen, die Gesichter sind von der Kälte zerschnitten, ist das die Lebenskälte, frage ich mich, ich drehe mich um, die Seraphe ist verschwunden, da habe ich wohl zu lange über den Tod nachgedacht, ich nehme die Füße in die Hand, nicht wirklich, Sie wissen schon, das ist so ein, ach, was rede ich da, ich habe schon wieder Hunger bekommen, denn nach dem Fressen ist vor dem Fressen, sagte wer, wissen Sie nicht, ich auch nicht, sagen wir also, es ist von mir.

(Erschienen bei Getidan)



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