Der Rechtsruck und seine tiefe Sinnkrise

Der Rechtsruck und seine tiefe Sinnkrise

Die Neurechten und Neocons kommen
über uns.

Der New Conservatism ist in der westlichen Welt im politischen Aufschwung. In Europa gewinnt er Wahlen oder rückt als neue Kraft (in Form von »patriotischen Alternativen«) in die Parlamente ein. In Südamerika stellt er wieder Regierungsoberhäupter und in den Vereinigten Staaten schickt er populistische Hardliner ins Präsidentschaftsrennen. Der Rechtsruck ist spürbar. Und doch steckt der New Conservatism in einer herben Sinnkrise, was sich an Personal und Gefolgschaft deutlich ablesen lässt. War er in den angelsächsischen Achtzigern und Neunzigern (und mit einiger Verspätung auch in den Zehnern des 21. Jahrhunderts in Mitteleuropa) noch am neoliberalen Glaubensbekenntnis ausgerichtet, so fehlt ihm heute Orientierung und Sinnstiftung. Er wird von einer geschmacklosen Bewegung des modernen Konservatismus zu einem esoterischen Zirkel und einer Teepause für Leute mit verschwörungstheoretischer Konditionierung. Der New Conservatism ist in dieser neuen Form gefährlicher denn je.

Donald Trump dreht am Rad. Sein Mitkonkurrent um den Posten als republikanischer Präsidentschaftskandidat, Ben Carson heißt der Mann, ist vielleicht noch schlimmer. Er hat einen komischen Weltblick. Zuletzt sagte er, dass der Holocaust nur geschehen sei, weil in Deutschland die Waffengesetze so streng seien. Hätten Juden Waffen gehabt, hätten das alles verhindert werden können. Als Schwarzer weiß er außerdem, dass man es schaffen kann, wenn man nur will. Es gibt keine Ausgrenzung; es gibt keinen Rassismus. Hierzulande nennt sich dieser Wahn Pegida oder AfD. Auch sie glänzen durch krude Thesen und kuriose Annahmen. Die Leute aus deren Kielwasser sind für solche Gedanken offen. Berühmtes Beispiel ist Xavier Naidoo, der schon in der Bibel das Auto als potenzielle Erfindung herauslas. Die Front Nationale wittert auch überall Verschwörung und Niedertracht. Wie die CSU und andere Konservative auch. Ja, man könnte das auf alle neuen (und neue alten) Konservativen ummünzen. Das ist das ganz neue am neuen Konservatismus: Er macht seine Hirngespinste zum Programm.
Dahinter stecken natürlich auch die Restbestände bürgerlicher Moral, die so viele Jahre lehrte, dass es die Anständigen und Aufrichtigen schaffen würden. Und eine Weile sah es ja auch so aus. Wer arbeitete, erlangte ein Häuschen in einer Vorstadt und das Leben ging seiner angenehmen Wege. Oh Wirtschaftswunder, oh Hochkonjunktur! Da hatte die bürgerliche Moral, die immer ja auch ein Abziehbild religiöser Moralvorstellungen mit ökonomischer Untermalung war, einen Präzedenzfall für »Wohlstand durch Anstand« geschaffen. Aber all das ist in Schieflage geraten. So einfach klappt es nicht mehr. Und nun wittern diese anständigen Damen und Herren natürlich Verrat, Verschwörung, Unterwanderung. Das sind ja auch die einfachsten Erklärungsmuster. Wenn es die Anständigen zu nichts mehr bringen, dann nur, weil es die Unanständigen auf sie abgesehen haben. Dass es eine Systemfrage sein könnte, blenden sie als Quintessenz aus. Denn gerade sie haben dieses System ja gewollt und postuliert und immer wieder verteidigt.
Ja, man hat an den Neoliberalismus geglaubt. An den harten und heiligen Kapitalismus. An Fressen und Gefressenwerden. Den Markt und seine Mechanismen. An Yuppie-Style und Leistungsträgerschaft. Scheiße war dann nur, dass diese Ökonomie und Glaubensschule nicht ohne Umgereimtheiten über die Bühne ging und sich in eine Krise manövrierte. Es gibt halt eben doch Grenzen der Maximierung, Geld macht nicht nur Geld, sondern auch Not und das trifft dann auch die, die sich vermeintlich anständig wähnen. Man schwört dem Bekenntnis freilich nicht ganz ab, aber man reichert es eben mit Erklärungsmustern an, damit das Weltbild intakt bleibt. Das haben Menschen in Glaubenskrisen immer getan. Gott sei zwar gut, aber er lässt Kinder sterben, zweifelte man. Man schwor diesem Gott nicht ab, sondern verklärte solche Tragiken zu Prüfungen. Der New Conservatism hat diese Flexibilität in seine Agenda aufgenommen. Jetzt sind eben Flüchtlinge, Muslime, sinkende Arbeitsmoral, Linke, Homosexuelle, Gewerkschafter und alle möglichen anderen Gruppen die Prüfung, die das ansonsten gute System für die Neocons bereithält.

So bleibt das Weltbild noch einigermaßen intakt und Gut und Böse verschmelzen nicht. Alles bleibt wohl geordnet. Die Nöte und Schattenseiten der Gierökonomie werden hierzu verschwörerisch betrachtet. Mit kruden Thesen gerät die Welt nicht zu einem komplexen Vorgang mit Abermillionen von Dynamiken, die ergebnisoffen in Ereignissen kulminieren, sondern sie verbleibt als ein Raum, in dem alles ganz einfach nach dem Muster »Ursache-Wirkung«, nach »Wenn-A-dann-B« - und das innerhalb gewisser ideologischer Kritierien – funktioniert. Denn nach so einfachen Regeln hat der Neoliberalismus die Welt beschrieben. Als stupiden Markt eben, auf dem alles kalkulierbar sei. Aber nichts davon traf zu. Jetzt braucht man eben Erklärungen, die das Vakuum ausfüllen, benötigt man etwas Putz, um die Lücke im Gedankengebäude dieser ökonomischen Lehre zu stopfen. Einen Synkretismus aus Angebotsökonomie, chicagoboyeskem Sozialdarwinismus und irrationalen Impulsen, Wahnvorstellungen und krankhaft anmutenden Welterklärungsversuchen, in denen für allerlei Atavismen Platz ist. Sei es nun Rassismus, Frauen- und Schwulenverachtung, Kulturimperialismus, Chauvinismus und der gute alte Hass auf Minderheiten oder Randgruppen.
Dieses Gedankengut ist im Aufwind. Die Massen feiern Trumps irre Auftritte, Carson wird von seiner Partei bevorzugt. Die AfD könnte in den Bundestag rutschen und die Front Nationale wird mehr und mehr ein Machtfaktor. Das klingt für den New Conservatism nach Sieg, klingt so, als hätte er sich durchgesetzt. Als habe die Wahrheit endlich obsiegt (»Lügenpresse« Lügenpresse!«) und die Lebenslügen des Liberalismus (nicht des Neoliberalismus, der ja nie eine freiheitliche Weltsicht war) seien endgültig vom Erdboden getilgt worden. Mag sein, dass sich diese obskure Weltanschauung gerade durchsetzt und die erkalteten Herzen der Menschen weiter herunterkühlt. Aber man sollte sich notieren, dass die Neocons in einer tiefen Sinnkrise stecken. Politisch haben sie weniger zu bieten denn je. Daher probieren sie es nun überall auf der emotionalen Schiene, ersetzen den letzten Rest der Rationalität durch Wahnwitz und Irrsinn und bringen Gefühle wie Wut, Stolz und Hass auf die Agenda. Das ist kein Aufschwung – das ist Crisis; eine Krise, die sich wie ein Aufschwung anfühlt.

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