Der perfekte Schriftsteller

Alle seien sie Lügner. Das erklärt er. Grinst in die Runde. Streicht sich eine goldene Haarsträhne aus der Stirn. Niemand hört ihn. Er kann mit seinen Gedanken sprechen. Das hat ihn ein tibetischer Mönch gelehrt. Das wissen die hier nicht. Die wissen eh nichts von ihm, von seinen Geheimaufträgen, von seinem Privatjet, seinem Segelboot, kein Segelboot, lacht er in Gedanken auf, es ist eine Yacht, wie man noch keine gesehen hat. Ausgestattet mit bekannten wie auch mit unbekannten (noch geheimen) Navigationssystemen.
Wenn er Urlaub hat, dann fliegt er nicht einfach in den Süden, wie all die anderen hier in dieser Runde, sondern dann rettet er ein bisschen die Welt. So wie Indiana Jones im Kino, würde er jetzt gerne laut sagen, lässt es aber, dampft es nur mit seinen Gedanken in den Raum hinein.
Ein Lügner sei er, sagen die Leute, er würde sich nicht waschen, er würde stehlen; auch betrunken wäre er oft. Darüber kann er nur lachen.
Er zündet sich eine Zigarette an, die hat er von einem Scheich bekommen, teure Zigaretten, die er in eine billige Packung quetschte, damit der Neid die Neider nicht völlig um den Verstand bringt.
Früher sei er anders gewesen, aber dann irgendwann, so erzählen die Leute, die für ihn nur Narren sind, da sei er aus dem Ruder gelaufen.
Er kann über all die Verdächtigungen, die Falschaussagen, nur lächeln, denn er hat alles, was man sich ersinnen kann. Seine neue Freundin ist ein Topmodel, er hat in seinem Keller das so lange vermisste Bernsteinzimmer, Wein trinkt er aus dem Heiligen Gral, warum sollte er sich, bei seinen Beziehungen, mit weniger zufrieden geben.
Und natürlich sind sie hinter ihm her, denn einer wie er, der hat stets Gegner. Sie stellen ihm Fallen. Behaupten, er würde stehlen, und dies nur, weil sie ihn einmal an der Jacke eines Kollegen erwischten, an der er sich festhielt, stürzte er doch unglücklich gegen die Schranktür, die sich dann öffnete; seine Hand hielt sich am Sakko, denn sonst wäre er ja gestürzt. Anschließend log der Sakkobesitzer, warf ihm vor, Geld gestohlen zu haben. Eine dreiste Unterstellung, die er empört von sich wies.
Denn einer wie er, der hat es nicht nötig zu stehlen, der verfüge über mehr Geldkoffer, so erklärte er stumm seiner erzürnten Gemeinde, als es Koffer überhaupt auf der Welt gäbe.

Ich sehe ihn an. Ich betrachte ihn. Er ist es. Der Messias. Der perfekte Schriftsteller, einer, der in seinen Fantasien, die für andere Lügen sind, verschwunden ist. Als könne er meine Gedanken lesen (und bestimmt glaubt er auch daran), hebt er den Kopf und lächelt mich an.
Jetzt muss er dies alles nur noch zu Papier bringen, muss es mit Worten bändigen. Die Worte müssen ihm zu einer Peitsche werden, die er den erstaunten Ideen präsentiert.
Aber für ihn sind es keine Ideen, er schwimmt in einem Reich aus abertausend Realitäten.
Was denkt der da, denkt er jetzt über mich. Und Schriftsteller, so sinnt er weiter, bin ich eh. Schrieb unter vielen Namen, da ich ein Unsterblicher bin.
Wieder einmal rückt die Menge von ihm ab. Sie könnten ihn nicht riechen. Er könnte sich jetzt unsichtbar machen. Das macht er aber nicht. Er sitzt das aus. In diesem Augenblick steht er es aus.
Das, was sie als Gestank bezeichnen, ist der Duft der großen weiten Welt. Einer wie er, der war immer gerade unterwegs. Tiger zähmen, Wale reiten. Irgendetwas gibt es stets zu tun.
Wissend nicke ich ihm zu, ihm, dem perfekten Schriftsteller, der alle Eitelkeiten hinter sich gelassen hat, der nicht einmal mehr schreiben muss, um sich als Dichter zu betrachten. Seine Romane, die schreibt er im Kopf. Ganze Bände hat er inzwischen schon gefüllt. Ein solches Werk wird niemals mehr geschrieben werden.
Einsamkeit unterstellen sie ihm. Dabei unterhält er ein Harem in den eigenen vier Wänden, die, so böse Zungen, von Schimmel befallen wären.
Er kann darüber nur lachen. Ich lache mit ihm, denn ich weiß um seine Kraft, um seine poetische Begabung, die ihn heute Nacht wieder einmal bis nach Moskau tragen wird.
Ja, denkt er mir zu, du weißt es.
Schreib weiter an deinen Büchern der Stille, denke ich zurück. Ich verlasse den Raum. Nicht wirklich natürlich, denn so etwas wie Füße benötigen wir nicht.

(Erschienen bei Faust-Kultur)



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