Mit den frischen MRT-Bildern auf CD stehe ich ein paar Wochen später wieder in der Praxis von Dr. Wunderarzt. Wie gehabt ist er nett und wie gehabt klickt er sich mit jeder Menge „hm“s und „hmmm“s durch meine Akte. Dann dreht er sich zu mir um und verkündet: „Liebe Frau Logan, Sie haben doch gar keinen Kreuzbandriß!“
Wer die ganze Geschichte kennt, kann vielleicht nachvollziehen, wie ich mich in diesem Moment fühle: Als hätte mir jemand ein Brett vor den Kopf gehauen, als wäre ich in der Truwomen Show, als würde gleich hinter mir ein Depp hinter einem Schrank hervorkommen und was von einer versteckten Kamera brüllen.
Alles, was ich sagen kann ist: „Hä?“
„Sehen Sie doch selbst!“ Dr. Wunderarzt zeigt auf meine Knieaufnahmen. „Das hier ist das vordere, das hier das hintere Kreuzband. Beide vollständig intakt, kein Riß zu sehen!“
„Aber, aber …“ In meinem Hirn rotiert es. „Das haben die doch gesagt? Alle? der Orthopäde und auch die Chirurgen, die DRIN waren! Die haben sich das doch angesehen und meinten …?“
Dr. Wunderarzt schüttelt den Kopf. „Sehen Sie hier doch selber, liebe Frau Logan (haha), ist alles wunderbar in Ordnung.“
Ich fühle mich, als wäre ich kurz vorm ausrasten.
Wie durch Nebel höre ich mich selbst fragen: „Aber was habe ich denn dann?“
„Das kann ich so hundert prozentig genau nicht sagen, Frau Logan, aber ich vermute eine Plica, eine Art Schleimhautfalte, die da ist, wo sie nicht hingehört. Aber Genaues kann ich erst sagen, wenn ich reingehe. Einverstanden?“
Ich nicke benommen. „Und dann?“
„Wenn ich sie sehe, schneide ich sie weg“, verkündet der Arzt fröhlich.
„Und dann?“, frage ich.
„Nix dann.“ Dr. Wunderlich strahlt. „Dann ist alles wieder in Ordnung.“
Ich schüttele den Kopf. „Wie meinen Sie das?“
„Na ja, dann ist Ihr Knie wieder so wie früher.“
„Wie vor dem Unfall?“
„Ganz genau.“
„Äh …“ Ich lasse die neuen Informationen kurz die restlichen, wenigen noch aktiven Gehirnzellen passieren. „Aber wie entsteht denn so etwas durch einen Unfall?“
„Gar nicht“, lautet die Antwort. „Sehen Sie, etwa die Hälfte der Menschen hat solche Falten im Knie, und die meisten stören sich nicht dran.“
Der Arzt zeigt auf den MRT-Bildern hierhin und dahin und auch auf die schlauen Zeichnungen, die er von Knien an der Wand hängen hat. Erklärt und erklärt und ich versuche, das alles zu erfassen.
„Heißt das, der Unfall hat diese Falte, die ich vorher schon hatte und die mir nie Probleme bereitet hat, einfach nur ‚angestubst‘?“, frage ich.
„So ungefähr“, nicht Dr. Wunderarzt. „Ich habe schon viele Menschen gesehen, die solche Falten im Knie haben und ihr Leben lang keine Beschwerden damit haben. So wie Sie früher. Und dann gibt es solche, bei denen die Falten so gelegen sind oder sich plötzlich so verschieben, dass große Schmerzen und Bewegungseinschränkungen die Folge sind.“
„Aber ich habe doch extra so viel Sport gemacht“, sage ich schwach.
Der Arzt schüttelt bedauernd den Kopf. „Es tut mir leid, das sagen zu müssen, Frau Logan, aber bei ihrer Diagnose war das das Falscheste, was Sie machen konnten.“
Ich überlege, ob ich losheulen oder losschreien soll.
Der Arzt scheint mir anzusehen, was in mir vorgeht. „Na na na, Frau Logan, jetzt passen Sie mal auf! Wir machen die OP und ich kann Ihnen eine 80%ige Heilungsschance garantieren, wenn nicht sogar 90%!“
„Ehrlich?“, fiepe ich.
„Oh ja!“ Der Arzt lächelt selbstbewusst.
Fortsetzung folgt …
Kleiner Nachtrag: Eine Woche später sitze ich bei einem mir bis dato unbekannten Orthopäden. Dieses Mal will ich es schlauer anstellen und eine Zweitmeinung einholen.
Der neue Orthopäde klickt sich durch die neuen Bilder, untersucht kurz mein Knie, schaut mich an und sagt: „Ich tippe auf eine Plica. Die kann ich Ihnen ganz einfach wegschneiden und dann wird alles wieder wie vorher. Wollen wir einen Termin machen?“
Einsortiert unter:Das Knie-Epos
