Der wahre Wohlstand

Ich gehöre einer Generation an, die bislang Glück gehabt hat. Noch größeres Glück dagegen gehörte der Generation meiner Eltern, die – aus meiner Sicht zumindest – eine goldene Zeit erlebt haben: Als Kinder noch den mittelbaren Folgen des zweiten Weltkrieges und der Armut ausgesetzt, erlebten sie Jahr für Jahr, wie das Leben besser wurde. Mir ihnen wuchs Deutschlands Wohlstand und schließlich auch Deutschland selbst wieder zusammen. Meine Eltern kannten noch genügend Genügsamkeit, um sich (im Gegensatz zu uns, fürchte ich) noch immer am unverschämten Luxus unserer Zeit erfreuen zu können.
Sie sahen mit der ganzen Welt zu, wie der Eiserne Vorhang fiel, durften erleben, wie durch ihrer eigenen Hände Arbeit Wohlstand kam. Zumindest war dies bei meinen Eltern der Fall und bei den Eltern vieler Freunde ebenso.

Wir wuchsen dann in einer Blase der völligen Ahnungslosigkeit heran. Und in einer Blase der Hoffnung: Wohl wissend, das es schlimme Dinge auf der Welt gibt, wurde mir auch von der Gesellschaft beigebracht, dass es kein Übel gibt, das nicht bekämpft werden könne. In Afrika hungern Kinder? Wir schicken (haltbares) Essen in Schuhkartons hin! Du möchtest Einhornzauberfeeprinzessin werden, wenn Du groß bist? Kein Problem: Wenn Du hart genug arbeitest, kannst Du alles werden, was Du möchtest! Jemand ärgert Dich in der Schule? Geh zum Vertrauenslehrer oder zum Schulmediator. Überhaupt löst man Konflikte nicht mit Gewalt, sondern mit Worten und wenn sich jeder Mühe gibt, findet sich immer ein Weg!

Versteht mich nicht falsch: ich werfe niemandem vor, naiv gewesen zu sein oder eine Wahrheit verschwiegen zu haben. Doch ich denke, dass meine Eltern und viele andere Menschen auch nach dem Schrecken und Irrsinn, den die Nazis und andere über die Welt gebracht haben, nach Mahatma Gandhi und Mutter Theresa, nach Martin Luther King und dem Ende der Kubakrise, dachten, dass wir es endlich geschafft hätten. Dass zumindest unser Teil der Welt endlich und endgültig für immer und alle Zeiten Vernunft angenommen hätte.

Ja, „wir“ waren noch an Kriegen beteiligt bzw. entsendeten Truppen in „Krisengebiete“. Aber das ist nichts hier, nichts vor der eigenen Haustür. Das ist Hilfe, damit andere Länder den Frieden und Wohlstand bekommen können, den wir auch haben.

Ich kannte als Kind keine Arbeitslosigkeit, keinen Hunger, keine Hoffnungslosigkeit, kein Aufgeben und erst recht keinen Krieg. Meine Eltern hatten den Luxus, uns absolut sorgenfrei aufwachsen zu sehen.
Ganz sorgenfrei?
Nein, nicht ganz: Tschernobyl und seine fürchterlichen Folgen haben meine Eltern eine sehr lange Zeit in Panik versetzt. Schließlich rangen sie sich dazu durch, diese Angst aufzugeben.
„Wenn es passiert, können wir sowieso nichts daran ändern“, sagte meine Mutter. „Wir können alles daran setzten, von der Atomkraft loszukommen und das sollten wir auch tun. Aber ich weigere mich, in Angst davor zu leben, denn das ist kein leben.“

Ein kluger Satz. Die Angst vor etwas zu verweigern bedeutet nicht, nicht zu handeln. Also handeln wir.
Handeln wir weiter mutig und entschlossen, seien wir weiter das Deutschland und die Menschen, in dem und unter denen ich aufgewachsen bin: Frei. Gleich. Unter Brüdern.
Der Rest der Welt mag verrückt geworden sein, aber das glaube ich nicht. Das sind die selben finsteren, bösen, verkorksten Menschen, die uns seit Menschengedenken Übles wollen. Menschen, die Soziopathen und Mörder sind, Sadisten und anderes Gesocks. Früher wurden hierzulande Dörfer überfallen und alle Einwohner niedergemetzelt – Warum? Habgier, Machtgier, perverse Freude an Gewalt, man suche es sich aus – heute sind die Verbrechen anders gelagert, aber da sind sie noch immer und waren wohl auch nie weg. Weil es böse Menschen einfach gibt.
Das heißt nicht, dass man sich damit abfinden muss. Im Gegenteil, ich rufe jeden dazu auf, sich und seine Mitmenschen zu verteidigen!
Hier in Deutschland – und da können sich sämtliche Selbstmordattentäter und sonstige Gewalttäter auf den Kopf stellen – herrschen Vernunft, Brüderlichkeit und Nächstenliebe. Das ist die Gesellschaft, wie ich sie kenne. In der es nicht zählt, wer man ist, sondern was man mit seinem Leben anfängt.
Böses wird es immer geben und manchmal gibt es keinen Trost. Das merke ich jedes Mal aufs Neue, wenn es irgendwo zu einer sogenannten „Familientragödie“ gekommen ist: Mann tötet Exfrau und gemeinsame Kinder, Frau tötet Kinder und sich, der Onkel schießt den Neffe nieder, der Schüler bastelt eine Bombe. Die Welt ist verrückt geworden, so scheint es.

Das ist ein Grund für Wut und Zorn. Ein Grund sogar, achtsamer zu sein, nach Ursachen zu suchen, zu präventieren. Dass das nicht zu 100% funktionieren kann, lässt uns ohnmächtig und hilflos zurück. Doch das sind wir ganz uns gar nicht. Jedes freundliche Lächeln, jede gute Tat, jede kleinste Hilfe, die wir unserem Nächsten erweisen bringt Licht in diese Welt.
Es reicht nicht, um die Toten widerzuerwecken. Und auf die Frage „Warum?“ gibt es oft keine Antwort. Warum musste jemand sterben? Weil der andere dessen 50 Euro haben wollte? Oder gerne mal jemanden so richtig zusammmenschlagen wollte? Oder eine völlig kranke Weltsicht hat? Weil jemand dem anderen das Leben missgönnt hat?

Es wird immer böse und schlechte Menschen geben und ihre Opfer sind zu beklagen. Ich hoffe sehr, dass sich die Verletzten in Berlin alle erholen werden, so dass die Anzahl der Getöteten nicht noch weiter ansteigt. Jeder vorsätzlich getötete Mensch ist einer zu viel. Mein Beileid den Angehörigen; ich will mir garnicht vorstellen, wie das sein muss.

Ich weiß nicht genau, was ich mit diesem Text jetzt eigentlich sagen möchte.
Vielleicht nur das: Ich weigere mich, in Angst zu leben. Ich weigere mich, den Idealen unserer Gesellschaft abzuschwören, „nur“ weil ein paar wenige Spinner meinen, es könne in irgendeiner Art und Weise lobenswert sein, Menschen zu töten. Ich weigere mich, nicht mehr an das Gute zu glauben und zu versuchen, in allen Dingen ein besserer Mensch zu werden. Ich weigere mich, vor lauter schlimmen und schlechten Nachrichten und Berichten über kindermordende Eltern, gewissenlose Mörder, Kindersklaven haltende Unternehmen, grausame Folter, vermeidbaren Hunger und ähnliche Scheußlichkeiten die Augen vor all dem zu verschießen, was gut und richtig ist in dieser Welt. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen mit der einzigen „Waffe“, die niemals Schaden anrichtet: Liebe. Sie ist unser wahrer Wohlstand.

Ich wüsche Euch allen eine frohe und friedvolle Adventszeit!


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