Man ist entsetzt
Soso, 290 Künstler fordern Herrn Seehofer zum Rücktritt auf. Okay, das ist ihr gutes Recht. Ich frage mich nur: Was tut es zur Sache, dass sie Künstler sind?
Die „Erklärung zur Politik des Bundesinnenministers Horst Seehofer“ erhebt (soweit ich sehe) keinen künstlerischen Anspruch. Sie könnte genauso vom Bundeskevin von Kevin Kühnert oder irgendeinem Oppositionspolitiker stammen.
Nun kann man durchaus unterschiedlicher Meinung sein, was Kunst ist und soll. Aber egal ob man sie engagiert oder romantisch, beschaulich oder utopisch, alltäglich oder revolutionär versteht: eine gewisse zusätzliche Ebene bringt sie immer rein. Sie bringt uns dazu, die Dinge mit anderen Augen zu sehen.
Bei der Rücktrittsforderung der 290 Künstler ist dies nicht einmal ansatzweise der Fall. Der Text wimmelt von Phrasen, die wir schon zwanzigtausend Mal gehört haben:
„… dem internationalen Ansehen des Landes schadet … in Geiselhaft nimmt … seiner politischen Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland bewusst ist … sich humanitärer Werte bewusst ist … den Weg in eine zukunftsfähige deutsche Gesellschaft …“
Da ist keine zusätzliche Ebene. Das ist ganz normale, unspektakuläre Tagespolitik.
Wie gesagt: Künstler haben – wie alle anderen Bürger auch – selbstverständlich das Recht, sich tagespolitisch zu engagieren. Aber wenn sie in der Präambel explizit ihre Autorität „als Künstlerinnen und Künstler“ in Anspruch nehmen, dann sollten sie diesen Anspruch bitte auch einlösen. Sprich: der Diskussion eine Ebene hinzufügen, die über die Phrasendrescherei der Tagespolitik hinausgeht.
Aber das passiert nicht. Die Künstler treten nicht als Künstler in Erscheinung. Und so bleibt nur der bittere Geschmack des selbstgefälligen Dünkels, mit dem 290 Privilegierte ganz offensichtlich der Meinung sind, dass ihr moralisch-politisches Urteil per se mehr zähle als das anderer – eben weil sie Künstler sind. Und dass stinknormales partei- und tagespolitisches Engagement gleichsam geadelt sei, wenn es nur aus güldenem Künstlermunde kommt.
Die vielbeschworene „Spaltung der Gesellschaft“ (die selbstverständlich auch im besprochenen Text nicht fehlen darf) wird auf diese Weise ganz bestimmt nicht überbrückt. Horst Seehofer wird nach Lektüre des Texts gewiss nicht zurücktreten. Und jeder AfD-Wähler wird sich aufs Schönste bestätigt fühlen, dass die linksgrünversifftensteuergeldalimentiertensogenannten »Künstler« genau jene überheblichen Idioten sind, für die er sie schon immer gehalten hat.
Jeder igelt sich bequem in seiner Blase ein. Welcome to German Biedermeier. Utopie geht anders.