Ein Fanatiker sein heißt, dass man immer recht hat. Oder, sagen wir mal, dass man glaubt, immer Recht zu haben. Das ist dann wie beim Glücksspiel: man setzt für diese Überzeugung seine Einsätze. Als erstes setzt man seine Zeit, dann sein Geld und zuletzt seine Beziehungen. Irgendwann werden die Leute beginnen, den jeweiligen Fanatiker zu klassifizieren. Es gibt ja immer ähnliche Gruppen, die auf dieselbe Art und Weise Zeit, Geld und Beziehungen verbrauchen. Hiermit bekommt die ganze Sache einen Ismus-Namen. Der Fanatismus heißt jetzt zum Beispiel Islamismus, Bolschewismus, Alkoholismus, Katholizismus oder Konstruktivismus.
Höre hier die Geschichte von Robert Locher, einem solchen Fanatiker
Das begann eigentlich, als er drei Jahre alt war. Damals konnte der kleine Robi manchmal nicht sofort einschlafen, und er suchte Dinge um sich herum, die ihn beruhigten. Und ihn beruhigten zum Beispiel die Knöpfe. Besonders die Knöpfe am blauen Pyjama waren wunderbar, denn de waren groß genug um mit dem Daumen darauf hin und her und im Kreis herum zu gleiten. Das machte Robert nun immer öfter, und er brachte es darin auch zur Perfektion. Wenn er das grüne Pyjama tragen musste, das keine Knöpfe hatte, so konnte er auf die Knöpfe am Kopfkissen ausweichen, aber wenn dieses raue Knöpfe waren, so nahm er lieber ein Hemd ins Bett. Das war dann halt zerknittert am Morgen.
Als Robert grösser wurde, wurde auch seine Sammlung von Knöpfen immer grösser. Es waren unzählige große und kleine Knöpfe, die Einen gut zum einschlafen, die Andern gut zum aufwachen. Diese Knöpfen waren in Dosen, Schachteln, Tüten und Beutel; sie lagen auf dem Tisch herum und auf dem Boden, im Schrank und auf dem Klo.
Mit siebzehn begann Robert zu erkennen, dass in den Knöpfen ein weitaus grösseres Geheimnis steckte, als er zuvor auch nur geahnt hatte. Knöpfe verbergen eine tiefe Symbolik, eine tiefe Kraft und Knöpfe können uns als große Hilfe auf unserem Lebensweg manchen Zusammenhang verdeutlichen.
So beschloss Robert, die Magie der Knöpfe zu ergründen. Jede freie Minute investierte er in seine Leidenschaft. Auf der einen Seite begann er systematisch Knöpfe zu sammeln und auf der anderen Seite versuchte er auch alles zu lesen, was schon über Knöpfe publiziert wurde. Er lernte über die großen Geheimnisse der Zen Mönche, die in Japan ihre Knöpfe aus alten Knochen schnitzten, denn sie wollten kein Metall am Körper. Er forschte auch über die metallenen Knöpfe der kriegerischen Knochenbrecher im Europa des vorletzten Jahrhunderts. Ist nicht schon dieser Gegensatz ungemein aufschlussreich?
Robert hatte eine zeit lang eine Freundin, die ihn gerade wegen seinen Macken mochte. Aber die Knöpfe waren keine Macken mehr, sie waren Lebenssinn und Philosophie geworden. Die Freundin fand dann einen anderen Mann, der hatte zwar auch Macken, aber die waren nicht so arg.
Robert Locher schrieb mit sechsundzwanzig ein Buch über die Knopflehre, und fand dadurch bald interessierte Anhänger. Alles ließ sich so einfach mit Knöpfen erklären! Die Welt wurde klar und einfach. Dass das bisher noch niemand herausgefunden hatte! So wurde auch die Knopfgemeinde um Robert immer grösser und er wurde selber immer überzeugter, bis er einmal in der Nacht aufwachte und glasklar vor sich sah, dass die Lehre von den Knöpfen die einzig wahre Lehre war!
So gründete er die Knopfkirche und wurde ein kämpferischer Missionar, der allen, die es hören wollten und auch denen, die es nicht hören wollten, die Botschaft von den Knöpfen brachte. Die Anhängerschaft wurde grösser, und Knopfmissionare gründeten in vielen Ländern Vereinigungen – sie nannten sich „Knopfisten“. Bald schon warnten die Sektenbeauftragten die Bürger vor dem Knopfismus, der fanatischen Lehre, welche die hohe Geistlichkeit der Knopfiker inzwischen zur alleinseligmachenden Lehre erklärt hatten.
Leider wurden viele Knopfisten militant, und das war wohl dann auch der Grund, weshalb die Lehre der Knöpfe in den Untergrund verschwinden musste. Robert Locher starb schon mit achtunddreissig, eigentlich ganz profan, er hat beim links abbiegen mit dem Fahrrad nicht aufgepasst. Schade eigentlich. Heute ist die interessante Lehre von den Knöpfen kaum mehr bekannt.
Aber dafür haben wir zahlreiche andere –ismen, die wir noch genießen können.