Wir halten die Grenzen unseres Denkens für die Grenzen der Welt. Schopenhauer
“Sie sind überall”, meinte Armin bei meinem letzten Besuch. Natürlich ging es wieder um die Fremden unter uns, um die Aliens, die seiner Ansicht nach unerkannt auf der Erde leben.
Ich schaute mich in der Kantine des Sanatoriums um. Alle waren normal verrückt, keiner wirkte fremd. Auch die Frau hinten in der Ecke nicht, die dauernd ihrem Hund rief.
„Hier sind sie auf jeden Fall nicht“, meinte ich.
„Du siehst sie nicht, aber sie sind auch hier.“
Schon Goethe hat gesagt: Es hört doch jeder nur, was er versteht. Offenbar sieht auch jeder nur, was er begreift. Ob die Frau mit ihrem imaginären Hund Armin angesteckt hatte? Oder der junge Mann am Tisch schräg hinter ihm, der sich angeregt mit einem unsichtbaren Gesprächspartner unterhielt? Trotzdem war mir ein bisschen mulmig. Was, wenn er Recht hätte? Was, wenn Fremde schon seit langer Zeit unter uns leben und unser Geschick lenken? Leonardo da Vinci oder Nostradamus, zum Beispiel, hätten Fremde sein können, gestrandete Zeitreisende vielleicht.
„Was tun denn die Fremden hier?“, wollte ich wissen. „Studieren sie uns? Oder ist die Erde etwa ein Zoo für Besucher aus einer anderen Dimension? Und wer sind sie überhaupt: Engel, Götter oder bloß Reisende aus einer anderen Welt?“ Ich hätte noch viele ähnliche Fragen stellen können, aber ich wusste, dass es nichts brachte. Die Fremden existierten nur in Armins Kopf.
Armin grinste. „Ich weiß, du glaubst mir nicht. Aber die Fremden leben hier, genauso wie du und ich. Das Schicksal beider Ethnien ist miteinander und mit der Erde verknüpft.“
Interessant, was er sich da ausgedacht hatte. Unser Schicksal sollte von unsichtbaren Fremden abhängen. Doch dann stutzte ich. Vielleicht hatte der alte Fuchs Recht. Milliarden von Menschen glaubten an einen oder mehrere Götter, die nie einer gesehen hat und verknüpften ihr Schicksal mit ihnen. Kriege wurden und werden im Namen eines unsichtbaren Gottes geführt, Menschen seit jeher wegen dem Glauben an Unsichtbare umgebracht oder versklavt.
„Wie sieht denn diese Verknüpfung aus?“, wollte ich wissen. „Gibt es Kontakte, Abmachungen, vielleicht sogar Verträge?“
Armin prustete und lachte so laut, dass die Frau einen Moment ihren imaginären Hund vergaß und der junge Mann mit der Hand auf uns deutete und noch intensiver auf seinen unsichtbaren Gesprächspartner einredete.
„Nein, nein, so simpel ist es nicht. Sie sind auf einer anderen Ebene mit uns verbunden. Die Fremden sind unsere Seelenträger.“ Dann wurde er schlagartig wieder ernst und flüsterte im Verschwörungston: „Wenn wir sterben, bewahren sie unsere Seelen auf.“
Mir lief es bei dieser Vorstellung kalt den Rücken hinunter. Armin wurde immer verrückter.
„Sie nehmen sie und bringen sie in ihren Garten.“, fuhr er fort.
„Ein Seelengarten? Was zum Teufel tun ….“
„….Psst, den Teufel solltest du aus dem Spiel lassen. Es ist schon so schwierig genug. Sie pflegen sie dort und lassen sie gedeihen.“
„Gedeihen?“, schrie ich und sprang auf. Der Stuhl polterte zu Boden. In der Kantine wurde es mucksmäuschenstill. „Unsere Seelen sind keine Pflanzen!“ Die Vorstellung erschien mir unerträglich.
Armin hob den Stuhl auf und drückte mich sanft in den Sitz. Ich saß da wie begossener Pudel Was war nur in mich gefahren? Wie konnte ich mich nur dermaßen aufregen wegen einer Spinnerei?
In diesem Augenblick kam eine ältere Dame zu uns an den Tisch und brachte mir einen Tee.
„Ihnen geht es nicht besonders gut. Das wird Ihnen helfen.“ Dann lächelte sie freundlich und ging wieder zurück Richtung Küche.
„Ist sie….ist sie….?“
„Ja, sie ist eine Fremde.“
„Aber sie wirkte so vertraut.“
„Nichts ist uns so vertraut, wie das Fremde unter uns.“
Auch das Fremde in uns, dachte ich und schlürfte den Tee.
Gute Träume liebe Leser, und achtet auf das Fremde. Es könnte unsere einzige Hoffnung sein. Euer Traumperlentaucher.
Bild: Multiversum von JoJo