Der Fall (des) Guttenberg

Ich bin immer gerne zur Schule gegangen. Denn schon auf dem Schulweg traf ich viele Freunde und hatte Spaß. Nur in der Schule geblieben bin ich äußerst ungern. Denn dort war ja Unterricht. Doch dank der mir angeborenen Aufmüpfigkeit konnte ich des öfteren mit blauem Brief unterm Arm den Unterricht vorzeitig verlassen. Und wenn das nicht geschah, verbrachte ich nicht selten die Unterrichtszeit zumindest vor der Tür des Klassenzimmers. Kurz gesagt: aus meiner Schulzeit gibt es nicht viel, auf das ich stolz sein könnte - am wenigsten meine Leistungen.
Ehrlich gesagt gibt es nur eines, das mich mit Stolz, gleichzeitig aber auch mit Scham erfüllt, da es sich keineswegs um eine herausragende Leistung handelt, sondern lediglich um eine Selbstverständlichkeit: während meiner gesamten Schulzeit habe ich kein einziges Mal abgeschrieben oder Spickzettel benutzt. Aufgrund meines rebellischen Images wurde ich aber dennoch regelmäßig genau dessen verdächtigt.
Bei Herrn zu Guttenberg schien es einige Zeit lang genau umgekehrt zu sein. Er war der Vorzeige-Streber der bundesdeutschen Politiklandschaft und sah sich plötzlich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Was zunächst unvorstellbar war, bestätigte sich nun aber und der einstige Akademiker ist seit gestern "nur" noch adliger Verteidigungsminister.
Die Fragen, ob es sich um vorsätzlichen Betrug handelte oder nicht und ob die journalistischen Reaktionen hierauf (positiv wie negativ) angemessen sind oder nicht, kann und sollte man sich wahrscheinlich auch durchaus stellen. Die Beantwortung derselben überlasse ich allerdings jedem einzelnen. Interessanter scheint mir in diesem Zusammenhang der Kommentar Nikolaus Blomes, Leiter des BILD-Hauptstadtbüros, zu sein. Dieser meinte in der "hartaberfair"-Sendung vom 23.2., man könne sich durchaus darauf einigen, dass der Untergang des Abendlandes auch diesmal - trotz zu Guttenbergs Dissertation - ausfallen würde. Diese Aussage hat mich nun doch etwas beschäftigt.
Meine bislang noch recht begrenzte Lebenserfahrung erlaubt es mir wahrscheinlich nicht, darüber zu urteilen, ob es um die viel beschworenen Werte in diesem unserem Lande in der Vergangenheit besser bestellt war als heute. Aber ein allgemeines Siechtum derselben innerhalb der Gesellschaft ist für mich schon seit langem erkennbar. Und somit frage ich mich, ob der erwähnte Untergang des Abendlandes nicht längst schon weit vorangeschritten ist. Ein Indiz hierfür könnte die Tatsache sein, dass seit den ersten Plagiatsvorwürfen die Sympathiewerte des Verteidigungsministers sogar noch gestiegen sind. Vielleicht weil man den Raub geistigen Eigentums als Kavaliersdelikt betrachtet und sich nur umso mehr mit dem Plagiator identifizieren kann?
Als weiteres Symptom dieses Werteverfalls kann man wahrscheinlich auch die Tatsache betrachten, dass die erste Reaktion Europas auf die Entwicklungen in der arabischen Welt die Sorge um den Ölpreis ist.
Ich muss sagen: ich gefalle mir gar nicht in der Rolle des Moralapostels. Aber wenn diesen Job jetzt bereits Leute wie ich machen, dann muss das Abendland in der Tat schon tief gesunken sein...

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