Vor einigen Wochen las man, dass Alexander Schweitzer neuer Gesundheitsminister von Rheinland-Pfalz werden soll. Er löse damit Malu Dreyer ab, die zur Ministerpräsidentin gewählt wird. So war es an mehreren Stellen zu lesen und zu hören: ... die zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Mag sein, dass es sich dabei um einen formaldemokratischen Akt handelt. Dennoch ist der Floskel zu entnehmen, dass dieser demokratische Akt der Wahl eines Landesoberhauptes gar nicht erst angezweifelt wird; man hat sich in der postdemokratischen Wirklichkeit, die Wahlen als abgemacht und für eine sozusagen rituelle Verrichtung hält, sprachlich passend eingerichtet.
Dass Dreyer gewählt werden soll oder könnte, wurde unterschlagen. Man hatte sie sprachlich für schon gewählt erwähnt. Ihre Wahl war schon sprachlich zur Tatsache vor der Wahl gemacht. Geschenkt, dass es sich um einen förmlichen Akt handelt. Bedeutet aber Demokratie nicht auch, die Entscheidung von Wählenden abzuwarten? Die Sprache hier verrät, dass Demokratie heute bedeutet, Wahlen für einen lästigen Akt zu erachten, auf den man auch verzichten könnte, wenn er verfassungstechnisch nicht vorgesehen wäre. Die Verächtlichkeit schmiedet sich in Sprache, schleicht sich in Sätze. Nicht unbedingt bewusst, wohl aber im Affekt, unbedacht und scheu. Im Crouchs Sinne ist das die sprachliche Erfüllung der Postdemokratie. Das geschieht nicht brachial, sondern in Nebensätzen, fast unscheinbar, wohl aber geprägt und prägend.
Was war nun zuerst da: Ei oder Henne? Will heißen: die Sprache, die die Demokratie ausgehebelt hat oder die ausgehebelte Demokratie, die die Sprache beeinflusst? Wohl darf man von einer Wechselwirkung sprechen. Die Sprache schleift sich ideologisch ein, sie macht Zustände, formt aus Worten Taten. Sie bildet das ab, was materiell oder ideologisch erfahrbar ist. Sprache und die allgemeine Stimmung, die man auch Zeitgeist nennen könnte, korrelieren. Sie bedingen sich einander und durchdringen sich gegenseitig. Wenn sich eine abschätzige Stimmung gegen die Demokratie auftut, so greift die Sprache diese Impulse durchaus auf. Gleichwohl ist sie es, die die Abschätzigkeit forciert.
Natürlich ist es nicht so, dass die Ausdrucksweise von jedem Sprechenden ideologisch benutzt wird. Wenn es im Vorfeld heißt, dass Dreyer gewählt wird, dann muss das nicht von einem Menschen so ausgedrückt werden, der die Demokratie für ein lästiges Instrument hält. Es sind eingeschliffene Sprachverbindlichkeiten, die gleichberechtigt neben anderen Möglichkeiten der Umschreibung stehen. ... die gewählt wird oder ... die gewählt werden soll werden hier als zwei gleichlautende Aussagen, als synchrone und gleichwertige Optionen angesehen. Dass sie aber durchaus verschieden verstehbar sind, wird dabei nicht mehr wahrgenommen. Das ist den üblichen sprachlichen Einschleifungen anzulasten. Wer sich für die sprachliche Variante der Demokratieabschätzigkeit entscheidet, ist deswegen noch kein Antidemokrat und dennoch wirkt man an der sprachlichen Zerrüttung demokratischer oder parlamentarischer Prozesse mit und spielt der postdemokratischen Ritualisierung in die Hände.