Lieber David Foster Wallace,
bitte verzeihen Sie, dass ich mich brieflich an Sie wende. Ich nehme an, Sie haben auch jetzt noch Besseres zu tun, als Fanpost zu lesen. Nach ausführlicher Diskussion mit mir selbst habe ich beschlossen, Sie zu siezen, auch wenn Ihnen als Amerikaner dies ohnehin mumpe sein dürfte. Das Du scheint mir, auch wenn Sie sich so rücksichtslos wie ungefragt in meinem Kopf und meinem Herzen einquartiert haben und ich außerdem zu flapsigen Formulierungen neige, eine Schippe zu distanzlos.
Ich schreibe Ihnen überhaupt nur, lieber David Foster Wallace, weil ich nach der Lektüre Ihres Essays A supposedly fun thing I’ll never do again* überzeugt davon bin, niemals auch nur einen einzigen geraden Satz aufschreiben zu können. Dass ich nicht als Romancier geboren wurde, war mir soweit klar und beschert mir weder Minderwertigkeitskomplexe noch Alpträume. Aber das Beobachten und Kommentieren kann ja wohl so schwer nicht sein? Anscheinend doch. Im Vergleich zu Ihnen, nehmen Sie das ruhig für bare Münze, bin ich blind, taub und grenzdebil. Ich möchte auf der Stelle alles, was ich je geschrieben habe, zerreißen und mich in Grund und Boden dafür schämen. Halten Sie mich ruhig für theatralisch.
Eines weiß ich sicher: auf ein Kreuzfahrtschiff voller Amerikaner kriegt mich nicht einmal der Teufel persönlich, und für diese Erkenntnis bin ich Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet. Sie sind schon ein Phänomen, mein Lieber (jetzt sind wir schon bei „mein“ und „Lieber“), weil Sie es nämlich auf irgendeine geheimnisvolle Art schaffen, Ihre Beobachtungen, die selbstverständlich genau auf die Zwölf sind, ebenso traurig wie extrem witzig zu formulieren.
Das Thema Tragik in der Komik und vice versa usw. ist ja ein alter Hut, aber ich kenne sonst niemanden, der diese beiden Pole so weit voneinander entfernt und trotzdem zusammen in einen Satz packt. Sie verleihen selbst der Beschreibung einer Unterdrucktoilette eine Metaebene – das ist geradezu unverschämt von Ihnen, denn wenn ich über ein Klo schreibe, klingt es lediglich vulgär oder gestelzt (Sehen Sie? Das Wort „Klo“ war schon der erste Fehler!). Ich muss Ihnen ja wohl kaum sagen, dass Sie ein Genie sind, denn das sagen alle anderen ja ständig, und Sie mögen das bestimmt überhaupt nicht.
Lieber David Foster Wallace, es ist schrecklich schade um Sie. Ich wünschte, wir hätten uns früher kennen gelernt. Dann würde ich dies hier in schlechtem Englisch und per Hand schreiben, es in den nächsten Briefkasten werfen und wochenlang auf Antwort warten wie damals, als ich mit 12 einen Liebesbrief an Joey von den New Kids On The Block verfasst habe oder wie damals, als ich mit 13 die vermeintliche Telefonnummer von Michael J. Fox ausfindig machte und ihm Liebesschwüre auf den Anrufbeantworter stotterte.
Ich hoffe, es geht Ihnen gut.
Sincerely yours,
the axe
* Die Übersetzung ist wirklich sehr brauchbar, auch wenn der grauenhafte Titel Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich anderes vermuten lässt.