«Das ist noch nicht mal die Hälfte der Wahrheit»

Es donnert weiter im Gebälk, auch wenn die Talkgäste bei Günther Jauch ein Ende der Wulff-Debatte herbeisehnen. Warum sie sich dennoch zur Gesprächrunde unter dem Titel Der Problem-Präsident – wie glaubwürdig ist Christian Wulff? eingefunden haben … wer weiß das schon? Zu diskutieren gibt es jedenfalls Tag für Tag Neues. Wenn nicht der Bundespräsident selbst dazu beiträgt, indem er verlauten lässt, die Affäre aussitzen zu wollen und darauf hofft, dass in einem Jahr alles verstummt ist, dann gießen seine Politikerkollegen Öl ins Feuer. Wie etwa Sigmar Gabriel von der SPD, der Bundeskanzlerin Merkel zur gemeinsamen Suche nach einem Nachfolger gerne zur Verfügung stünde.

Bei Jauch wird noch einmal im Urschleim gewühlt. Da kommt der Privatkredit zur Sprache, der nach Wulffs bekannt gewordenen Drohanrufen bei verschiedenen Medienverantwortlichen schon fast in Vergessenheit geraten ist. Und auch Wulffs alte Freundin Angela Solaro ist zu Gast, um eine Lanze für ihn zu brechen. Im Gästehaus der Unternehmerin hatte der Präsident unentgeltlich einige Urlaube auf Norderney verbracht. Das ist weder anstößig noch interessant – jedenfalls vor dem Hintergrund des aktuellen Stands der Debatte.

Diese nennt die besagte Freundin bei Jauch «eine Pressekampagne» und beschuldigt damit jene Journalisten, die an der Quelle sitzen. Auch an der Quelle von Wulffs Anrufen bei eben dieser Presse. Es sind Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der Bild, und Georg Mascolo, Chefredakteur von Der Spiegel. Ersterer kennt die Nachricht, die der Bundespräsident dem Bild-Chef Kai Diekmann am 12. Dezember auf der Mailbox hinterlassen hat, im Wortlaut. Und er bestätigt noch einmal, dass Wulff den Bericht über seine Kreditaffäre nicht etwa nur verschieben, sondern verhindern wollte.

Wulff hat auch beim Springer-Chef angerufen

«Mir ist es in 20 Jahren Journalismus noch nicht passiert, einen solchen Anruf zu bekommen», sagt Blome. Was Wulff selbst darüber in seinem TV-Interview bei ARD und ZDF preisgegeben hat, sei noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Fast die ganze Wahrheit soll ab heute im Spiegel stehen. Anders als die Bild-Zeitung, die nach einer Absage von Wulff auf eine Veröffentlichung verzichtete, zitiert das Nachrichtenmagazin Passagen aus dem Anruf in seiner aktuellen Ausgabe. Laut Mascolo hat es einen ähnlichen Anruf auch bei Springer-Chef Mathias Döpfner gegeben, in dem Wulff gedroht haben soll, es werde im Falle eines Berichts Krieg zwischen dem Bundespräsidialamt und dem Medienkonzern geben.

Woher Der Spiegel das weiß? Da wäscht wohl bekanntermaßen eine Hand die andere. CDU-Politiker Bernhard Vogel, der Wulff 2010 wählte, in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar für ihn warb, hält das für alles andere als «fair». «Man ist doch noch Herr seiner eigenen Anrufe», betont er und verteidigt den Präsidenten damit, dass ihm der Gaul durchgegangen sei und die Sache mit seiner öffentlichen Entschuldigung vom Tisch sein sollte. Mit dieser Meinung steht er in Jauchs Runde allerdings ziemlich alleine da.

Sowohl die Journalisten Blome und Mascolo als auch Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt und Autor Ferdinand von Schirach schreiben einen Großteil der Medienaffäre Wulffs eigenem Fehlverhalten zu. Statt einmal reinen Tisch zu machen, habe er sich in Halbwahrheiten verfangen und so immer wieder neue Fragen und Widersprüche provoziert. Von Schirach attestiert ihm aber nicht nur «ein glitschiges Verhältnis zur Wahrheit», sondern auch eine falsche Wahrnehmung seines Amtes. Er übersetzt die präsidiale Argumentation in Wulffs TV-Interview so: «Ich bin nicht eurer Vorbild, ich bin euer Abbild.» Er sei aber weder das eine noch das andere.

Wie sehr hat die Wulff-Affäre seinem Amt geschadet?

Überhaupt vertritt von Schirach an diesem Talkabend die dezidierteste Positon («Bei anderen Leuten mag das menschlich sein; ein Bundespräsident darf das nicht, das gehört zu seinem Amt.»). Er kommt jedoch kaum zu Wort und wird bei der Frage, ob wir einen Bundespräsidenten überhaupt brauchen, von Jauch abgekanzelt. Diese ist angesichts des Schadens, den das Amt durch Wulffs Verfehlungen nimmt, durchaus berechtigt. Doch sie bleibt unbeantwortet – genauso wie die Frage, wie unabhängig er, der schon als «Bundespräsident von Merkels Gnaden» bezeichnet wird, jetzt noch ist.

Fest steht, und da muss man Blome von Bild beipflichten: «Die Geschichte ist noch nicht auserzählt.» Einen Schlussstrich zu ziehen, hat Wulff selbst in der Hand. Bisher hat er sich weder besonders geschickt angestellt, die Vorwürfe der Vorteilsnahme aus der Welt zu schaffen, noch seinen Umgang mit den Medien zu erklären. Dabei hätte aus der Diskussion um die Integrität Wulffs ganz leicht eine um die Macht der Bild-Zeitung beziehungsweise des Springer-Konzerns werden können. Diese verpufft allerdings selbst bei Jauch so schnell, als wäre sie gar nicht da gewesen.

Der Moderator erklärt am Ende scherzhaft, dass das wohl nicht seine letzte Talkrunde zum Thema Wulff gewesen sei. Für die Zuschauer war sie es ganz sicher nicht. Schon heute Abend zieht Frank Plasberg bei Hart aber fair nach. Dort ist Wulff Der Pattex-Präsident. Ob er mit seiner Aussitz-Taktik tatsächlich Erfolg haben wird? Dass die Sache in einem Jahr vergessen ist, darf jedenfalls ernsthaft bezweifelt werden. Schließlich ist die Wulff-Affäre bereits als Filmstoff im Gespräch. Dann kann er wirklich sagen: Die bösen Medien waren’s!

Bestes Zitat: «Es ist gut, wenn er sich entschuldigen kann, aber schlecht, wenn er sich dauernd entschuldigen muss.» (Katrin Göring-Eckardt über das Amt des Bundespräsidenten)

Quelle:
Nachrichten -
Medien Nachrichten -
Jauch-Talk – «Das ist noch nicht mal die Hälfte der Wahrheit»


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