Das Haus für alle Lebenslagen

Heute möchte ich ein wichtiges und ernstes Thema ansprechen, das uns alle in irgendeiner Form betrifft oder irgendwann betreffen wird. Die meisten meiner lieben Leserinnen sind zwar, soweit ich weiß, zwischen 30 und 50 Jahre alt, aktiv und engagiert, und von diesem Thema derzeit nicht wirklich betroffen. Aber wir alle haben Eltern, deren Kräfte vielleicht langsam nachlassen. Wir selbst werden ebenfalls irgendwann in das Alter kommen, in dem es schier unmöglich erscheint, eine Stiege zu erklimmen oder alleine in die Badewanne zu steigen.
Worum es in diesem Post geht? Um die Adaptierung und Planung unserer Häuser, Wohnungen und Lebensbereiche, damit wir auch im Alter, in Krankheit oder mit einer Behinderung so autonom wie möglich leben können.
Gleich vorneweg eine ziemlich harte Wahrheit, mit der ich als Architektin immer wieder konfrontiert werde:
Die Entscheidung, ob ein älterer oder behinderter Mensch zu Hause betreut werden kann oder in ein Pflegeheim eingewiesen werden muss, liegt in 85% der Fälle am Zustand und an der Ausstattung seiner Wohnung.
Eine bittere Wahrheit. Denn in einer barrierefreien, gut ausgestatteten Wohnung können auch sehr alte oder behinderte Menschen mit mobilen Diensten gut versorgt werden. Eine Putzfrau, Essen auf Rädern oder ein anderer Essensdienst, eine mobile Krankenschwester oder Heimhilfe - und ein Mensch, der nicht auf eine 24 Stunden Hilfe angewiesen ist, kann durchaus in seinem eigenen Zuhause alt werden. Viele Kommunen gewähren auf diese Dienste finanzielle Zuschüsse, sodass auch Bezieher kleiner Einkommen diese Hilfen problemlos in Anspruch nehmen können.
Dazu möchte ich als Beispiel meine Großmutter anführen, die mittlerweile schon verstorben ist. Sie war eine sehr kluge und vorausschauende Dame, die diese Wahrheit schon früh erkannt hat.
Nachdem ihr Mann starb, als sie selbst 60 Jahre alt war, kaufte sie sich eine kleine Eigentumswohnung, die alle ihre Bedürfnisse erfüllte. Die Wohnung war nicht allzu groß (60m2), verfügte aber über zwei schöne Zimmer und einen großen sonnigen Südbalkon. Im Haus gab es einen Lift und der Blick aus der Wohnung ging in einen begrünten Innenhof. Trotzdem lag die Wohnung in einem belebten Stadtviertel, in dem alle Geschäfte des täglichen Bedarfs in unmittelbarer Umgebung zu Fuß zu erreichen waren.
Die Wohnung war nach heutigem Standard nicht barrierefrei gestaltet, aber sie war so angelegt und eingerichtet, dass auch ein sehr alter Mensch (und meine Großmutter wurde über 90 Jahre alt) gut damit zurechtkam.
In den letzten Jahren erblindete meine Großmutter völlig, trotzdem konnte sie bis 4 Monate vor ihrem Tod ganz alleine in ihrer geliebten kleinen Wohnung leben. Einer aus unserer Familie schaute mindestens alle zwei Tage bei ihr vorbei, sie hatte eine Putzfrau, eine Heimhilfe und bekam Essen auf Rädern. Außerdem trug sie ein Notfallarmband, mit dem sie schnell Hilfe herbeiholen konnte.
Möglich war die häusliche Betreuung nur deshalb, weil die Wohnung
  • auf einer Ebene lag
  • es keinerlei Stolperfallen gab
  • das Bad so ausgestattet war, dass die Heimhilfe die nötige Körperhygiene durchführen konnte
  • die Toilette so beschaffen war, dass sie ohne Hilfe schnell zu erreichen war
  • die Küche so ausgestattet war, dass die Zubereitung kleiner Mahlzeiten möglich war
  • es im Haus einen Lift gab
  • am Weg von der Wohnung auf die Straße keinerlei Stufen zu überwinden waren
  • es einen Freifläche gab (Balkon und Hof), der barrierefrei zu erreichen war
Meine Großmutter war nicht gehbehindert, trotzdem stellten Stufen für sie in den letzten Jahren ein fast unüberwindliches Hindernis dar.
Warum ich diesen Post schreibe? Weil es mir ein Anliegen ist, dass wir alle in unseren eigenen vier Wänden glücklich leben können, und zwar so lange wie möglich.
Die Planung für den dritten Lebensabschnitt - und das ist das wirklich wichtige - beginnt aber viel, viel früher. Wer in seinem mühsam ersparten und mit viel Liebe gebauten Haus alt werden möchte, muss diesen Umstand schon bei der Planung berücksichtigen. Auch dann wenn man das Haus Jahrzehnte früher baut.
Wessen Haus für einen Alterssitz ungeeignet ist, der sollte es rechtzeitig umbauten oder sich um ein neues Domizil umsehen. Rechtzeitig bedeutet hierbei spätestens im Alter zwischen 50 und 60! Denn sobald eine Betreuung notwendig wird oder ein Nachlassen der Kräfte eintritt, ist es leider meist zu spät. Eine so große Veränderung wie einen Umbau oder einen Umzug verkraftet man finanziell und kräftemäßig nur dann, wenn man nicht bereits durch einen anderen Umstand, beispielweise eine Krankheit oder ein anderes Leiden, geschwächt ist.
Was bedeutet das nun für uns konkret?
Als Kinder: sehen wir uns die derzeitigen Wohnsitze unserer Eltern einmal kritisch an. Können diese barrierefrei adaptiert werden? Und wenn ja, mit welchen Kosten und mit welchem Aufwand? Und wann sollen diese Adaptierungsarbeiten stattfinden? Oder ist ein RECHTZEITIGER Wohnungswechsel besser?
Allerdings darf man hier nie aus den Augen verlieren, dass wir unseren Eltern zwar einen Rat geben können. Unsere Eltern haben aber jedes Recht, ihre Entscheidungen alleine zu treffen - auch und vor allem in dieser Hinsicht.
Für uns selbst:
Wer gerade baut, sollte sich folgende Fragen stellen:
  • Ist ein Eingang des Hauses völlig ohne Stufen zu erreichen?
  • Kann ein barrierefrei erreichbares Geschoß folgendermaßen umgebaut werden: Küche, barrierefreiees Bad, barrierefreies WC, Aufenhaltsraum, Schlafraum auf EINER Ebene?
Der Einbau von Liften, gleich welcher Art, ist zwar fast überall möglich, meist aber mit sehr hohen Kosten verbunden. Ein einfacher Treppenlift, der allerdings nur für leicht gehbehinderte Personen geeignet ist, kommt je nach Einbausituation auf mindestens 12.000 Euro. Für einen richtigen Lift muss man alleine für die Liftkabine mit rund 40.000 Euro rechnen, dazu kommen dann noch sämtliche notwendigen Baumeisterarbeiten mit Liftschacht etc.
Das sind Ausgaben und Umbauten, die man leicht einsparen kann, wenn man das Haus von vorneherein so plant, dass es im Ernstfall barrierefrei adaptierbar ist.
Barrierefrei adaptierbar heißt, dass ich natürlich in ein neues Haus für eine junge Familie keine behindertengerechten Bäder einbauen lasse. Das wäre Unfug. Es bedeutet aber, dass ein bestehendes Bad im Bedarfsfall so umgebaut werden kann, in dem man beispielsweise die Badewanne entfernt, das Waschbecken unterfahrbar macht und eine bodenebene Dusche einbaut.
Wir alle stellen uns insgeheim vor, bei guter Gesundheit 90 Jahre alt zu werden und dann friedlich in unseren Betten einzuschlafen. Leider entspricht das nur in den seltensten Fällen den Tatsachen. Stellen wir uns der Realität und planen wir unseren dritten Lebensabschnitt ebenso sorgsam wie alles andere. Je leichter wir uns das Leben und vor allem das Wohnen im Alter schon in früheren Jahren einrichten, desto länger können wir autonom in unseren eigenen vier Wänden leben.
Mit lieben Grüßen
Marie

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