Das Demokratieproblem der Linken

Von Stefan Sasse
Ich habe in der Vergangenheit öfter festgestellt, dass Linke vor allem deswegen für Volksabstimmungen sind, weil sie denken ihre eigenen Ziele damit durchsetzen zu können. Man zitiert dann gerne Zahlen wie fast 80% der Deutschen, die einen Mindestlohn wollen oder 90%, die den Rückzug aus Afghanistan wünschen. Stets ignoriert wurden satte Mehrheiten für Forderungen wie die Wiedereinführung der Todesstrafe (gerne auch nur für Sexualstraftäter), härtere Gesetze gegen Migranten oder Minarettverbote. Die Abstimmung um Stuttgart21 legt schonungslos offen, wo Demokratiedefizite in Deutschland liegen. Dass beispielsweise die Interessen des Großen Geldes über wesentlich mehr Durchsetzungskraft verfügen als die derjenigen, die über dieses Geld nicht verfügen war auch im Falle Stuttgart21 offenkundig, obgleich es sich noch in Grenzen hielt, vergleicht man es etwa mit der hyperaggressiven Lobbyarbeit von Steuersenkern in den USA (siehe Zeit). Etwas überraschender für manche mag sein, dass es auch ein krasses Demokratiedefizit auf der Linken offenbart hat, besonders was das Akzeptieren der Niederlage angeht. Anzeichen dafür gab es bereits im Vorfeld. Hermann Zoller, der für die NachDenkSeiten mehrmals über Stuttgart21 schrieb, beklagte im Vorfeld exzessiv die Wahlwerbung der Gegenseite. Seine Vorwürfe waren dabei völlig abstrus, bezogen sie sich doch praktisch ausschließlich darauf, dass die Gegenseite überhaupt Werbung machte. Was in einem demokratischen Prozess völlig normal sein sollte, wurde mit praktisch religiösem Eifer verfolgt. 
Dass keine Missverständnisse auftreten: ja, die Gegenseite verfügte über deutlich mehr Geld und Unterstützung als die S21-Gegner. Das prinzipielle Recht auf Werbung in eigener Sache aber besitzen beide Seiten, und selbstverständlich ist in einem Wahlkampf niemand verpflichtet, Positionen der Gegenseite aufzuklären. Absurderweise verlangte man gerade das. So attackierte Zoller (siehe hier) nicht nur die Plakate der Pro-S21-Bewegung und verlangte, dass diese nicht mit den 1,5 Milliarden Ausstiegskosten operierten, sondern griff auch die SPD dafür an, in Reaktion auf eine Info-Broschüre der Grünen diese Zahl erneut in den Raum zu werfen. Solcherlei Gefühlslagen finden sich auf Seiten der ach so kritischen Gegenöffentlichkeit ständig, wie etwa die Kommentarspalte beim Spiegelfechter unter meinem letzten S21-Artikel beweist. Auch Albrecht Müller beklagt "den Einsatz obskurer und irrationaler Schlagworte". Von ihm ist das besonders unaufrichtig, denn er ist ein Fachmann für politische Werbung. War die Selbstpräsentation der SPD als Partei des Friedens anno 1972 etwa weniger obskur und irrational? Als ob die CDU damals für Krieg eingetreten wäre. Es ist eben politische Werbung und kein wissenschaftliches Analyseblatt.
Und genau das ist das Problem. Der Linken geht es nicht um Volksabstimmungen per se, oder um Demokratie, oder um "kritisch" sein. Sie wollen gewinnen. Wo sie es nicht tun, wittern sie sofort Manipulation, Verrat und Korruption. Dabei ist der Fall bei S21 so klar wie nur wenige. Die Baden-Württemberger sind nun einmal mehrheitlich konservativ. Dass eine schweigende Mehrheit zum Bahnhofsbau existieren könnte, wie etwa Tanja Gönner das postuliert hatte, war keine völlig abwegige Behauptung, und sie hat sich als richtig herausgestellt. Das Wahlergebnis mit seinen fast 20% Differenz ist so eindeutig, dass der Vorwurf von "Manipulation" auf Wahlplakaten zur Erklärung dafür nicht nur absurd, sondern schlicht von einer weltfremden Arroganz geprägt ist. Über 10% der Baden-Württemberger sind in diesem Weltbild also so unglaublich dumm und einfältig, dass sie sich von ein paar "obskuren und irrationalen Schlagworten" auf Plakaten beeindrucken lassen? Wow. Ein Glück gibt es die linke Elite voller kritischer Subjekte, die einen unermüdlichen Kampf um die Köpfe führen. Das ist eine so lächerliche Hybris, dass ihre eigene Machtlosigkeit nicht wirklich verwundert. 
Vor allem die Verabsolutierung der eigenen Meinung als "Wahrheit" hat mit kritischem Denken nicht das Geringste zu tun. Nur ein Beispiel: kein Mensch weiß, wie hoch die Ausstiegskosten für S21 geworden wären. Wirklich niemand. Vielleicht 1,5 Milliarden, vielleicht nur 350 Millionen, vielleicht irgendwas dazwischen. Die 350 Millionen sind - vielleicht - die realistischere Zahl, aber ich habe in diesem Wahlkampf keine besonderen Bemühungen der "Ja-"Bewegung feststellen können, diese bekannt zu machen. Tatsächlich sah ich sie auf keinem einzigen Werbeplakat. Aber wie die meisten Menschen auch kann ich unmöglich nachprüfen, welche Zahl die realistischere ist, schließlich bin ich kein Stadtplaner. Ich kann nur die glaubhaftere Alternative wählen. Glauben aber ist nicht wissen. Deswegen die Forderung aufzustellen, die Gegenseite dürfe nicht mit der hohen Einschätzung Wahlkampf machen ist völlig absurd. Wie so oft geriert das so genannte "kritische Denken" der Linken zu einer reinen Ideologie-Show. Das Wort hat überhaupt keinen Wert mehr. Es ist mittlerweile nur noch ein Ausdruck, um "uns" von "denen" zu unterscheiden. Genau dasselbe ist das Geplapper von Demokratie und Mehrheiten. Nicht nur werden Mehrheiten nur dann akzeptiert, wenn sie sich mit den eigenen Positionen decken, auch demokratische Entscheidungen werden nur noch dann angenommen, wenn sie im eigenen Sinne ausfallen. Und das hat nichts mit Demokratie zu tun, und nichts mit aufgeklärtem, kritischen Denken. Es ist die Verabsolutierung der eigenen Position.

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