Cyber-Mobbing und das süße Facebook-Gift

Cyber-Mobbing und das süße Facebook-Gift

Homevideo ist ein Film, der unter die Haut geht. Das Drama um den 15-jährigen Jakob, vor Kurzem mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, ist beklemmend und authentisch zugleich. Und es verdeutlicht eindrucksvoll, zu welchen Grausamkeiten Jugendliche im Zeitalter des Internets technisch und menschlich fähig sind. Erwachsene stehen dem Phänomen Cyber-Mobbing oft mit Ohnmacht und Unverständnis gegenüber. Über Verantwortung und Auswege aus eben dieser erwachsenen Unmündigkeit ging es Anne Will mit ihrer Sendung Wir machen dich fertig – Mobbing im Internet.

Wie realitätsnah der Fall von Jakob ist, dokumentierte der Lehrer Wolfgang Kindler. Er berichtete von einem nahezu identischen Sachverhalt an einer Nachbarschule. Dort hatte die Freundin eines Schülers eine Masturbationsszene ins Netz gestellt. In diesem Fall habe sich das anschließende Mobbing aber schnell erledigt, da der Schüler sehr gut integriert gewesen sei, so der Mobbing-Experte. «Das Opfer im Film war ein sehr typisches Opfer, mit geringem Selbstbewusstsein und isoliert», schilderte Kindler wesentliche Kennzeichen von gemobbten Jugendlichen.

Sowohl Kindler als auch der Jugendpsychiater Michael Winterhoff konstatierten allerdings keinen quantitativen, sondern einen qualitativen Anstieg von Mobbing unter Jugendlichen. Die Gründe dafür? Vielschichtig.

Anti-Mobbing-AG und Medienpädagogen

Winterhoff gab einer veränderten Elterngeneration die Schuld, die durch eine ständige eigene Unruhe emotionale Entwicklungen wie Unrechtsbewusstsein bei den Kindern gar nicht mehr ermögliche. Christian Schertz sah eine Hauptursache in der technischen Entwicklung. «Seit zehn Jahren ist es möglich, dass jeder jeden und zu jeder Zeit filmen und fotografieren kann», so der Medienanwalt. Einer technisch sehr gut geschulten Jugend stünden Eltern gegenüber, die oft gar keine Ahnung hätten. Lisa Loch schließlich, einst selbst Mobbing-Opfer des Entertainers Stefan Raab, bemängelte die Haltung an den Schulen. Viele Lehrer würden in entsprechenden Situationen wegschauen.

Ähnlich vielfältig wie die Bestandsaufnahme fiel die Diskussion möglicher Lösungsansätze aus, die den ganzen Abend hindurch vom Schlagwort Medienkompetenz begleitet wurde. «Das Internet hat die ganze Welt geändert. Wir müssen mit neuen Kompetenzen dafür lernen, die bisher noch nicht da sind», formulierte es Internet-Aktivistin Anke Domscheit-Berg. Die Eltern, so forderte die Mutter eines elfjährigen Sohnes, müssten sich selbst hinreichend auskennen, um ihren erzieherischen Aufgaben nachzukommen.

Wolfgang Kindler nahm seinen eigenen Berufsstand in die Pflicht. Viele Lehrer seien nicht gut geschult, so der Pädagoge, der selbst eine Anti-Mobbing-AG leitet. Mit dieser freiwilligen Initiative  versucht er seine Schüler früh in die Verantwortung zu ziehen, denn: «Schüler können Schüler am besten helfen.»

«Wir brauchen Erzieher und Sozialpädagogen an den Schulen», forderte darüber hinaus Michael Winterhoff und plädierte für einen offenen Umgang mit Mobbing. Wichtig sei es darüber zu reden und sich Hilfe von außen zu holen, so der Psychiater.

«Es wird langsam Zeit, dass wir alle auf die Barrikaden gehen»

Das eindrucksvollste Plädoyer der Runde war jedoch Michaela Horn vorbehalten. Die Mutter aus Österreich hatte im Mai 2010 ihren 13-jährigen Sohn Joël verloren, der sich nach sexuellen Beleidigungen auf seiner Facebook-Seite umbrachte. Das Leben einer ganzen Familie sei durch die Diffamierung von Jugendlichen zerstört worden, brachte sie unter Tränen hervor und und verlangte vom Gesetzgeber mehr Eingriffe im Internet. «Es wird langsam Zeit, dass wir alle auf die Barrikaden gehen», so Horn, empört über den Netzwerkriesen Facebook und dessen mangelnde Kooperation bei der Aufklärung der Umstände des Selbstmords von Joël.

Mit der Kritik am dem sozialen Netzwerk aus den USA stand sie nicht alleine da. «Der nationale Gesetzgeber muss Facebook dazu zwingen, den Privatsphäre-Schutz zu vergrößern», forderte Schertz. Bis dahin müsse man den Jugendlichen mitgeben, wie sie mit Facebook umgehen sollten: «Überlegt genau, was ihr von euch preisgebt im Internet, denn ihr kriegt dieses Zeugs nie wieder zurück», so sein Appel. Auch Domscheidt-Berg prangerte die große Verantwortung von Facebook an, denen die sozialen Netzwerke momentan nicht nachkommen würden.

Bezeichnenderweise hatte sich Anne Will von Facebook und anderen Netzwerke Absagen für die Sendung eingehandelt.

Bestes Zitat: «Es ist ein bisschen wie bei Medikamenten: Man kann sich daran vergiften, aber in der richtigen Dosierung sind sie gut.» Anke Domscheidt-Berg über Facebook und den richtigen Umgang mit dem Sozialen Netzwerk.

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«Anne Will» – Cyber-Mobbing und das süße Facebook-Gift

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