Big Brother is watching you! Schonmal gehört? Keine Ahnung gehabt, dass der Spruch nicht von der Fernsehserie stammt? Mehr Klassiker lesen! Oder beim nächsten Mal eine Klassiker-Challenge mitmachen, so wie die von Lynie. Wahlweise dürft ihr aber auch gerne mit mir zusammen die BBC-Liste der 100 most-loved Novels lesen, da kommt man um den ein oder anderen Klassiker auch nicht drum rum. Besonders aber: Lest dieses Buch, das so wichtig ist, dass es auf Wikipedia sogar einen Artikel auf Esperanto darüber gibt!
Zur Story Man schreibt das Jahr 1984, nach einem atomaren Weltkrieg wurde die Erde unter den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien und Ostasien aufgeteilt. Alle drei haben sich mittlerweile zu totalitären Diktaturen gemausert, die auf einem pervertierten sozialistischen Grundgedanken aufbauen. Zwei der Mächte befinden sich regelmäßig im Krieg, so dass die Bevölkerung konstant unter Versorgungsnot leidet. Wir begleiten einen Anwohner des Staates Ozeanien bei seiner Suche nach etwas Privatsphäre in einem 24/7 Überwachungsstaat. Winston Smith ist Ende 30, ein einfaches Parteimitglied und hat sich gerade verbotenerweise ein Tagebuch zugelegt. Als er beginnt, seine Gedanken darin festzuhalten (ein Verbrechen, das für sich allein genommen schon mit der Todesstrafe geahndet wird), ändert sich sein Leben auf einmal schlagartig und er lernt sogar eine Frau kennen, die seinen Freiheitsdrang nachempfinden kann. Die beiden schaffen es, für wenige Stunden im Monat den riesigen Bildschirmen zu entkommen, die in jedem Haus, in jedem Zimmer präsent sind und auf denen jede ihrer Worte und Bewegungen direkt an die Gedankenpolizei übertragen werden. Beide Wissen, dass sie nur eine begrenzte Zeit haben, bis sie schließlich wahrscheinlich doch erwischt, gefoltert und von der Regierung "eliminiert" werden.
Meine Meinung Bei Ersterscheinen des Buches spielte die Geschichte noch 35 Jahre in der Zukunft - im Jahr 1984. Dieses Jahr liegt nun schon eine Weile zurück und Orwells Dystopie hat sich dankenswerterweise für die Leser dieses Blogs nicht erfüllt. Wir haben nie in einer Diktatur mit 24 stündiger staatlicher Überwachung, Gehirnwäsche und mehr oder weniger geheimen Exekutionen gelebt. (Wären wir 70 Jahre früher geboren worden, müsste dieser Satz leider bedeutend anders aussehen.) Das es uns so gut geht, heißt nicht, das das Buch nicht immer noch erschreckend brisant ist, wenn man den Blick ein bisschen über den Tellerrand herausschweifen lässt. Es geht um Krieg, es geht um Hass, es geht um Gehirnwäsche. (Gehirnwäsche? Moment, dann können wir Deutschland da leider doch nicht ganz ausnehmen. Hallo Bildzeitung!*) Der ganze Roman hat nur knapp 250 Seiten, aber es sind so viele hochintelligente, tiefgründige Ideen darin, dass ich unmöglich alles in dieser Rezension abdecken kann, was ich gerne besprechen würde. Ich werde deswegen ein paar Punkte herauspicken, die sich mir am deutlichsten eingeprägt haben. (Ich hab das Buch schon letzte Woche beendet, aber musste es erst mal sacken lassen.) Auf Youtube gibt es leider keinen offiziellen deutschen Trailer für den Film aus dem Jahr 1984, aber dieser Fanmade Trailer gibt die Stimmung des Buches ganz gut wieder.
Gibt es eine Vergangenheit, wenn sich niemand an sie erinnert?
Winston arbeitet im Ministerium für Wahrheit, in dem sich die Menschen damit beschäftigen, alle Medien so anzupassen, dass die Partei immer die Wahrheit sagt. Das bedeutet, wenn vor zwei Monaten die Partei behauptet hat, es würde nie zu einem Krieg mit Eurasien kommen und dieses Ereignis tritt dann doch ein - dann werden in ganz Ozeanien alle Medien eingesammelt die in der Vergangenheit die Wahrheit geschrieben haben und werden angepasst. Damit wird die Vergangenheit, soweit sie auf Papier existiert, geändert oder ausgelöscht. In Ozeanien sind die Menschen so gut darin trainiert, diese Unstimmigkeiten zu ignorieren, das es zu jeder Zeit nur diejenige Vergangenheit gegeben hat, die sich in den Medien befindet. Wenn also Ozeanien gerade einen Krieg mit Eurasien angefangen hat, dann hat dieser Krieg schon immer bestanden und Eurasien war schon immer und wird auch für immer der Feind bleiben. Wer etwas anderes behauptet, macht sich strafbar. Die Menschen hier müssen die Technik "Doppeldenk" beherrschen, in der es notwendig ist, alles was die Partei behauptet nicht nur zu sagen, sondern auch zu glauben. Für jemanden, der 100 Jahre später in allen Zeitungen dieser Zeit das gleiche liest, für den wird eine erfundene Vergangenheit genauso real wie jedes reale Ereignis. Was also passiert mit der Vergangenheit, wenn sie schwarz auf weiß in allen Medien und gleichzeitig in allen Köpfen aufgehört hat zu existieren und durch etwas anderes ersetzt wurde?
Was passiert mit unseren Gedanken, wenn wir keine Wörter mehr dafür haben?
Ein Thema, dass mich schon damals im Deutsch LK nicht mehr losgelassen hat, ist die Frage, wie Sprache das Denken bestimmt. Kann jemand, der kein Wort für "Hass" hat, dem damit das ganze Konstrukt Hass völlig unbekannt ist, mit der gleichen Leidenschaft hassen wie jemand, dem es von klein auf anerzogen wurde, bestimmte Dinge zu hassen? In Ozeanien beantwortet mann diese Frage mit nein und hat deswegen eine neue Sprache eingeführt: "Neusprech". In Neusprech gibt es nur so viele Wörter wie unbedingt notwendig, mit dem Hintergedanken, dass man tiefgehendes, schattiertes Denken unterbinden kann, wenn man den Menschen weniger Wörter zur Verfügung stellt. "Gedankenverbrechen" gegen die Partei sollen damit fast unmöglich gemacht werden. In Neusprech gibt es zum Beispiel keine Gegensatzwörter mehr. Aus "gut", "sehr gut" und "schlecht" wird "gut", "doppelgut" und "ungut". Damit kann man höchstens noch sagen "Die Partei ist ungut", aber für jeden weitergehenden Gedanken würde das Vokabular fehlen. Und das ist der eigentlich faszinierende Gedanke: Wenn wir keine Wörter mehr haben um unsere Gedanken darin einzupacken - was bleibt dann noch außer einem dumpfen Gefühl im Bauch, das irgendetwas nicht stimmt?
Ich hab noch so viel mehr Gedanken und Fragen zu diesem Buch, aber wenn ich nicht bis nach Timbuktu rezensieren möchte, muss ich jetzt hier Schluss machen. Ich würde mich aber freuen, wenn ihr mir, nachdem ihr das Buch gelesen habt, (oder auch gerne davor) eure Gedanken zum Buch oder zu meinen letzten Fragen schickt, oder zu den folgenden:
Fazit
Lesen.
Ernsthaft.
Nie wieder Krieg! Ich habe euch hier eine Dokumentation über George Orwell herausgesucht, ab Minute 50 geht es um 1984, ansonsten um Orwells Vergangenheit (er ist direkt nach Veröffentlichung des Romans gestorben). Und, meine Güte, der Mann hatte kein einfaches Leben! "Ich schreibe während über mir hochzivilisierte Menschen versuchen, mich umzubringen. Die meisten von ihnen würden nicht im Traum darauf kommen, einen Mord im privaten Leben zu begehen. Auf der anderen Seite, wenn es einem von Ihnen gelingt, mich mit einer gut platzierten Bombe in Stücke zu reißen, wird er deswegen kaum schlechter schlafen." Lasst uns froh sein, dass wir in einer Zeit und Zone leben, in der Krieg und Diktatur nur noch eine Erinnerung sind. Und dafür arbeiten, dass es so bleibt!
* Zum Abschluss möchte ich heute gerne einen speziellen Gruß an die Redaktion der Bildzeitung schicken, die es letzten Monat schon wieder geschafft hat, eine Studie zur Immigrantenintegration so gehörig zu verfälschen, dass sich damit mal wieder ordentlich Hass und Vorurteile erzeugen lassen. Aber dazu ist die Bild ja schließlich da. Eine Zeitung, die direkt aus dem Jahr 1984 zu stammen scheint.
Zur Story Man schreibt das Jahr 1984, nach einem atomaren Weltkrieg wurde die Erde unter den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien und Ostasien aufgeteilt. Alle drei haben sich mittlerweile zu totalitären Diktaturen gemausert, die auf einem pervertierten sozialistischen Grundgedanken aufbauen. Zwei der Mächte befinden sich regelmäßig im Krieg, so dass die Bevölkerung konstant unter Versorgungsnot leidet. Wir begleiten einen Anwohner des Staates Ozeanien bei seiner Suche nach etwas Privatsphäre in einem 24/7 Überwachungsstaat. Winston Smith ist Ende 30, ein einfaches Parteimitglied und hat sich gerade verbotenerweise ein Tagebuch zugelegt. Als er beginnt, seine Gedanken darin festzuhalten (ein Verbrechen, das für sich allein genommen schon mit der Todesstrafe geahndet wird), ändert sich sein Leben auf einmal schlagartig und er lernt sogar eine Frau kennen, die seinen Freiheitsdrang nachempfinden kann. Die beiden schaffen es, für wenige Stunden im Monat den riesigen Bildschirmen zu entkommen, die in jedem Haus, in jedem Zimmer präsent sind und auf denen jede ihrer Worte und Bewegungen direkt an die Gedankenpolizei übertragen werden. Beide Wissen, dass sie nur eine begrenzte Zeit haben, bis sie schließlich wahrscheinlich doch erwischt, gefoltert und von der Regierung "eliminiert" werden.
Meine Meinung Bei Ersterscheinen des Buches spielte die Geschichte noch 35 Jahre in der Zukunft - im Jahr 1984. Dieses Jahr liegt nun schon eine Weile zurück und Orwells Dystopie hat sich dankenswerterweise für die Leser dieses Blogs nicht erfüllt. Wir haben nie in einer Diktatur mit 24 stündiger staatlicher Überwachung, Gehirnwäsche und mehr oder weniger geheimen Exekutionen gelebt. (Wären wir 70 Jahre früher geboren worden, müsste dieser Satz leider bedeutend anders aussehen.) Das es uns so gut geht, heißt nicht, das das Buch nicht immer noch erschreckend brisant ist, wenn man den Blick ein bisschen über den Tellerrand herausschweifen lässt. Es geht um Krieg, es geht um Hass, es geht um Gehirnwäsche. (Gehirnwäsche? Moment, dann können wir Deutschland da leider doch nicht ganz ausnehmen. Hallo Bildzeitung!*) Der ganze Roman hat nur knapp 250 Seiten, aber es sind so viele hochintelligente, tiefgründige Ideen darin, dass ich unmöglich alles in dieser Rezension abdecken kann, was ich gerne besprechen würde. Ich werde deswegen ein paar Punkte herauspicken, die sich mir am deutlichsten eingeprägt haben. (Ich hab das Buch schon letzte Woche beendet, aber musste es erst mal sacken lassen.) Auf Youtube gibt es leider keinen offiziellen deutschen Trailer für den Film aus dem Jahr 1984, aber dieser Fanmade Trailer gibt die Stimmung des Buches ganz gut wieder.
Gibt es eine Vergangenheit, wenn sich niemand an sie erinnert?
Winston arbeitet im Ministerium für Wahrheit, in dem sich die Menschen damit beschäftigen, alle Medien so anzupassen, dass die Partei immer die Wahrheit sagt. Das bedeutet, wenn vor zwei Monaten die Partei behauptet hat, es würde nie zu einem Krieg mit Eurasien kommen und dieses Ereignis tritt dann doch ein - dann werden in ganz Ozeanien alle Medien eingesammelt die in der Vergangenheit die Wahrheit geschrieben haben und werden angepasst. Damit wird die Vergangenheit, soweit sie auf Papier existiert, geändert oder ausgelöscht. In Ozeanien sind die Menschen so gut darin trainiert, diese Unstimmigkeiten zu ignorieren, das es zu jeder Zeit nur diejenige Vergangenheit gegeben hat, die sich in den Medien befindet. Wenn also Ozeanien gerade einen Krieg mit Eurasien angefangen hat, dann hat dieser Krieg schon immer bestanden und Eurasien war schon immer und wird auch für immer der Feind bleiben. Wer etwas anderes behauptet, macht sich strafbar. Die Menschen hier müssen die Technik "Doppeldenk" beherrschen, in der es notwendig ist, alles was die Partei behauptet nicht nur zu sagen, sondern auch zu glauben. Für jemanden, der 100 Jahre später in allen Zeitungen dieser Zeit das gleiche liest, für den wird eine erfundene Vergangenheit genauso real wie jedes reale Ereignis. Was also passiert mit der Vergangenheit, wenn sie schwarz auf weiß in allen Medien und gleichzeitig in allen Köpfen aufgehört hat zu existieren und durch etwas anderes ersetzt wurde?
Was passiert mit unseren Gedanken, wenn wir keine Wörter mehr dafür haben?
Ein Thema, dass mich schon damals im Deutsch LK nicht mehr losgelassen hat, ist die Frage, wie Sprache das Denken bestimmt. Kann jemand, der kein Wort für "Hass" hat, dem damit das ganze Konstrukt Hass völlig unbekannt ist, mit der gleichen Leidenschaft hassen wie jemand, dem es von klein auf anerzogen wurde, bestimmte Dinge zu hassen? In Ozeanien beantwortet mann diese Frage mit nein und hat deswegen eine neue Sprache eingeführt: "Neusprech". In Neusprech gibt es nur so viele Wörter wie unbedingt notwendig, mit dem Hintergedanken, dass man tiefgehendes, schattiertes Denken unterbinden kann, wenn man den Menschen weniger Wörter zur Verfügung stellt. "Gedankenverbrechen" gegen die Partei sollen damit fast unmöglich gemacht werden. In Neusprech gibt es zum Beispiel keine Gegensatzwörter mehr. Aus "gut", "sehr gut" und "schlecht" wird "gut", "doppelgut" und "ungut". Damit kann man höchstens noch sagen "Die Partei ist ungut", aber für jeden weitergehenden Gedanken würde das Vokabular fehlen. Und das ist der eigentlich faszinierende Gedanke: Wenn wir keine Wörter mehr haben um unsere Gedanken darin einzupacken - was bleibt dann noch außer einem dumpfen Gefühl im Bauch, das irgendetwas nicht stimmt?
Ich hab noch so viel mehr Gedanken und Fragen zu diesem Buch, aber wenn ich nicht bis nach Timbuktu rezensieren möchte, muss ich jetzt hier Schluss machen. Ich würde mich aber freuen, wenn ihr mir, nachdem ihr das Buch gelesen habt, (oder auch gerne davor) eure Gedanken zum Buch oder zu meinen letzten Fragen schickt, oder zu den folgenden:
- Wann verrät man einen geliebten Menschen?
- Kann man jedes Kind dazu bringen, seine Eltern zu verraten?
- Wie kann man so machthungrig sein, dass man eine Welt ohne Liebe hinnimmt und sogar begrüßt, nur um seine Macht zu festigen?
Fazit
Lesen.
Ernsthaft.
Nie wieder Krieg! Ich habe euch hier eine Dokumentation über George Orwell herausgesucht, ab Minute 50 geht es um 1984, ansonsten um Orwells Vergangenheit (er ist direkt nach Veröffentlichung des Romans gestorben). Und, meine Güte, der Mann hatte kein einfaches Leben! "Ich schreibe während über mir hochzivilisierte Menschen versuchen, mich umzubringen. Die meisten von ihnen würden nicht im Traum darauf kommen, einen Mord im privaten Leben zu begehen. Auf der anderen Seite, wenn es einem von Ihnen gelingt, mich mit einer gut platzierten Bombe in Stücke zu reißen, wird er deswegen kaum schlechter schlafen." Lasst uns froh sein, dass wir in einer Zeit und Zone leben, in der Krieg und Diktatur nur noch eine Erinnerung sind. Und dafür arbeiten, dass es so bleibt!
* Zum Abschluss möchte ich heute gerne einen speziellen Gruß an die Redaktion der Bildzeitung schicken, die es letzten Monat schon wieder geschafft hat, eine Studie zur Immigrantenintegration so gehörig zu verfälschen, dass sich damit mal wieder ordentlich Hass und Vorurteile erzeugen lassen. Aber dazu ist die Bild ja schließlich da. Eine Zeitung, die direkt aus dem Jahr 1984 zu stammen scheint.