Es gibt sie tatsächlich. CANVAS, Akademie und Trainingscenter für gewaltfreie, politische Umstürze. Hier kann gelernt werden, wie ein Volk selbst schlimmste Diktaturen erfolgreich stürzt
OTPOR (Widerstand) – später CANVAS
Gandijeva 76a in Belgrad. In einem schmucklosen Altbau aus den sechziger Jahren diskutiert in einem kleinen Konferenzraum mit wahrhaft riesigem Tisch ein blonder, jugendhaft wirkender Mann mit seinen Freunden Ideen und Vorgehensweisen politischen Widerstands. Hier werden die unterschiedlichsten Strategien geschmiedet für gewaltfreie Revolutionen in aller Herren Länder. Der junge Mann heißt Srdja Popovic, ist um die Vierzig und kann sich mit Fug und Recht als professionellen Revolutionär bezeichnen. Im Jahre 1998 hatte er gemeinsam mit Freunden die Widerstandsbewegung OTPOR (Widerstand) gegründet, um Slobodan Milosevic vom Thron zu stoßen. Die Aktion war ein voller Erfolg. Mit kreativem Widerstand und eine großen Anzahl medienwirksamer, jedoch risikoarmer Happenings, hatten er und seine Mitstreiter das Regime ein um’s andere mal der Lächerlichkeit preisgegeben. Weiterhin war es OTPOR damals gelungen, Polizei und Militär auf seine Seite zu ziehen. Nur zwei Jahre später, am 5. Oktober 2000, musste Milosevic nach lange anhaltenden Protesten und Massendemonstrationen den Hut nehmen. Popovic, der den Widerstand auf den Plan gerufen hatte, erwies sich als der gewaltlose Sieger.
Solutions for Revolutions
Revolutionsexperte Sdrja Popovic
2004 gründete die Agentur für politische Umstürze aus OTPOR heraus das ‘Centre for Applied Nonviolent Strategies’, kurz CANVAS genannt. Es verfolgt die gleiche Agenda wie sein Vorgänger. Popovic und seine Mitstreiter liefern nach wie vor Beratungen und Anleitungen zur Initiierung gewaltloser Massenproteste, an deren Ende das Ziel eines Regierungsumsturzes steht. Tatsächlich stehen die Revolutionsexperten weltweit hoch im Kurs. Bereits die Initiatoren der georgischen Rosenrevolution von 2003 hatten das CANVAS- Training durchlaufen. Auch die Orangene Revolution in der Ukraine (2004) oder die Zedernrevolution im Libanon (2005) hatten sich erfolgreich an Popovics Organisation gewandt. Diese besteht aus einem Netzwerk von internationalen Trainern, die Revolutionstechniken unterrichten. Hunderte von Aktivisten aus mittlerweile 37 Staaten haben seine Trainingskurse besucht. Darunter Mohamed Adel, ein Ägypter mit einer Aversion gegen einen gewissen Husni Mubarak. Popovic und zwei seiner Kolleginnen hatten Adel und seine Gruppe ägyptischer Revolutionäre gründlich geschult. Wie er wenig später nicht ohne Stolz verfolgen konnte, war es nicht zuletzt seine OTPOR- Fahne, weiße Faust auf schwarzem Grund, die über den Massenprotesten auf dem Tarirplatz wehte und den Ägyptern dabei half, den Diktator zu stürzen. Auch wenn Popovic den Sieg voll und ganz dem ägyptischen Volk zuschreibt, ohne ihn und CANVAS wäre der Erfolg bei weitem nicht so groß gewesen. Dies hatte ihm großen Respekt in der Gemeinde arabischer Staaten eingetragen.
So wurde sein Lehrbuch ‘Gewaltloser Kampf’, in dem 50 entscheidende Punkte zusammengefasst werden, ins persische Farsi sowie ins Arabische übersetzt und im nahen- und mittleren Osten mittlerweile mehr als 20.000 mal aus dem Netz herunter geladen. Die Kopien seines Lehrfilms ‘Wie man einen Diktator zu Fall bringt’ gibt es inzwischen auf jedem Basar im nahen Osten zu kaufen. Hinzu kommen an die 100.000 Flugmeilen, die Popovic jährlich zurücklegt, um Seminare in aller Welt zu geben. Der Flughafen Frankfurt ist für ihn mittlerweile zu einer Art zweiten Zuhauses geworden. Die Inhalte seiner Lehrveranstaltungen sind stets die selben. Wer sich auf Beratung und Unterstützung aus dem Ausland verlässt, so weiß er, hat verloren. Eine Revolution lässt sich nicht im Koffer mitbringen. Sie muss vielmehr sorgsam vor Ort zusammengerührt werden. Es gilt Menschen zu vernetzen, Auftritte und Happenings zu organisieren, gemeinsame Symbole, Lieder und Kampfparolen zu ersinnen, ängstliche Mitläufer in furchtlose Mitstreiter zu verwandeln und vieles mehr. Die wichtigsten Lehren seines Trainings beschränken sich jedoch auf einige wenige Punkte.
Das Wichtigste überhaupt ist Einheit. Nur wenn alle geschlossen zusammenstehen, kann der Umsturz gelingen. So haben auf dem Tarirplatz in Kairo Muslime und Christen sich gegenseitig beschützt. Wäre es Mubaraks Brigaden gelungen, die Demonstranten zu spalten, wäre die Revolution mit Sicherheit missglückt.
Das Allerwichtigste hingegen, so Popovic, ist Gewaltlosigkeit. Bei einem offenen Konflikt mit Armee und Polizei steht der Verlierer von vorne herein fest. Ein einziger Steinewerfer kann alles zunichte machen. Daher rät der Serbe, sich von gewalttätigen Gruppen fern zu halten und jeden Konflikt mit staatlichen Organen zu verhindern.
Stattdessen gilt es, die entscheidenden Institutionen umzuformen. Keine Revolution kann gelingen, wenn nicht wenigsten Teile von Polizei und Armee auf Seiten der Demonstranten stehen. Daher waren die Aktivisten auf dem Tarirplatz bis zuletzt darum bemüht, sich mit den Sicherheitskräften zu verbrüdern, indem sie diese mit Blumen und Kuchen verwöhnten.
Nicht weniger entscheident, die Unterstützung der Medien. Von der gekonnten Pressemeldung bis hin zu medienwirksamen Auftritten sollte alles getan werden, um eine möglichst positive Presse zu bekommen.
Erfolgreiche Proteste benötigen eine Corporate Identity, ein gemeinsames Identitätssymbol. Eine Farbe, ein Banner, unter dem sie sich vereinen können, gemeinsame Lieder und Slogans sind unverzichtbar.
Zuguterletzt jedoch sollten zwei Dinge nicht fehlen. Zum einen Humor, der das Regime lächerlich macht und zugleich Unterhaltungswert aufweist. Witze über den ‘Großen Diktator’, die so gut sind, dass sie zuverlässig weiter erzählt werden, Aktionen, die zum Schmunzeln anregen und vor allem eine Volksfeststimmung, die zum Mitmachen einlädt und animiert. Das sind die Zutaten, aus denen eine Revolution angerührt wird, möge sie munden.
Quellennachweis und weiterführende Links:
- CANVAS
- Trainingshandbuch Revolutionen engl.
- Der Standard
- DasBiber
- Wikipedia