Bus fahren

Ich wartete auf den Bus. Verspätung, seit schon fast einer Stunde. Ich aß Pflaumen, schluckte die Kerne. Zwei Jungen suchten nach dreckigen Schuhen. Beide – augenscheinlich Brüder – trugen Trikots der ecuadorianischen Fußballmannschaft. Träume. Nur ein Herr wollte seine Schuhe geputzt haben.

Vater und Sohn gingen an den Ticketschalter, ein Päckchen aufgeben. In Ecuador werden Päckchen auch mittels Bussen transportiert. Der Junge – er mag um die Zehn gewesen sein – hatte mit schwarzem Edding auf die Handfläche, zwischen Daumen und Zeigefinger, ein Herz mit Pfeil aufgemalt. Viele Männer junge, alte haben an selber Stelle Tätowierungen – Blässliche, unsauber Gestochene. Einmal trug einer, ein gebrochenes Herz auf der Wange, direkt unter dem linken Auge.

Brummen. Knirschender Kies. Leute sprangen auf. Der Bus lenkte ein. Ein Bus, wie so viele andere in Ecuador: Beklebt mit religiösen Abbildern, Loyalitätsbekundungen zu Jesus – und Logos westlicher Marken.

Ich hatte das Glück neben einer übergewichten alten Dame in Tracht zu sitzen. Mein Bewegungsradius ähnelte einem eingeschweißten Maiskolben. Das i-Tüpfelchen meiner misslichen Lage markierte ihr genüssliches – vom Schmatzen und Krümeln begleitetes – Kauen auf frittiertem Schweinefett. Ich schaute aus dem Fenster: Regen. Ich schaute zum Fernseher: Ein aus dem Knast entlassener Fleischklops prügelte anderen Fleischklöpsen in Boxkäfigen die letzten zwei Gehirnzellen heraus. Danach lief Klamauk. Mein Blick sprang aus dem Fenster. Anbrechende Nacht. Riobamba, Cuenca, 200 km Distanz. Acht Stunden sollte diese Fahrt dauern, seit über vier Stunden war ich schon unterwegs. Danach lief Predators von Robert Rodriguez (Machete dagegen war grandios!). Unterhaltung scheint hier entweder sinnloseste Gewalt oder infantilen Klamauk zu bedeuten.

Wir machten irgendwann Halt. Ich kaufte mir gerösteten Mais mit frittierten Kochbananen. Die Länge einer Pause steht in Abhängigkeit der Portionsgröße, welche widerum von der Essgeschwindigkeit des Busfahrers relativiert wird. Der Busfahrer: Dieser Mann ist eine Stechuhr. Nein! Diese Stechuhr ist ein Mann! Sobald die letzte Kelle in seinem Schlund verschwindet, gilt es zum Bus zu rennen. Also, lasst sie fallen, eure Gabeln, eure Löffel. Lauft! Lasst sie fallen eure Hühnchenkeulen, eure Hoffnungen auf Sättigung, eure an der Brust saugenden Säuglinge – Ja, auch die! Der letzte stirbt! Lasst sie fallen, eure Tassen, eure Kartoffeln, eure Gläser, eure Servietten, das herauskramende Geld, die zurechtrückenden Stühle. Werft sie um, die Tische, die Serviererinnen, die Köche, die im Weg stehenden Gauner, Pflanzen, Stehlampen, Schlampen. Und wenn ihr auf dem Donnerbalken sitzt: Wischt euch den Arsch zu Hause ab, später ist dafür Zeit, nicht jetzt! Auf keinen Fall dürft ihr in diesen entscheidenden Schicksalsminuten Zeit verschenken. Die Stechuhr! Tick tack tick tack. Scheißt euch meinetwegen in die Hose! Aber lauft! Lauft! Pisst im Laufen! Die Stechuhr ist gnadenlos. Schneller! Der letzte stirbt! Der Zeitplan darf nicht überschritten werden, wir sind bereits drei Stunden zu spät.



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