Bücherlese: Karl Ove Knausgård, Träumen

Bücherlese - aus meinen Bücherregalen: Karl Ove Knausgård, Träumen


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Ich muss ein Geständnis machen, ich habe es lange genug hinausgezögert: Ich mag Karl Ove Knausgård nicht. Womit ich natürlich nicht seine Person meine, sondern seine Schreibprodukte – oder doch: vielleicht beides, denn bei ihm ist beides ungewöhnlich stark in Deckung. Obwohl er Norweger ist (ich selber bin Halbnorweger) und obwohl er außerordentlich erfolgreich ist (in Norwegen und rund 30 weiteren Ländern) – ich mag sein autobiografisches Schreiben nicht, nicht seine Selbstbetrachtungen bis in feinste Verästelungen hinein, die geradezu Exzesscharakter haben, nicht die offen-entblößte Darstellung von Sex und Alkoholmissbrauch, nicht die ständigen Schwankungen von Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühlen. Ich bin auch nicht der Meinung, dass gerade die Detailgenauigkeit kurzweilig wirkt – ich finde viele Passagen ausgesprochen langweilig und sträube mich dagegen, mich der Sogwirkung, die seine – stellenweise durchaus geschickte – Schreibweise ausübt, hinzugeben.

Sein „autobiografisches Projekt“ umfasst in der deutschen Ausgabe sechs dicke Bände – im norwegischen Original lautet der Titel „Min Kamp“ (Mein Kampf), was natürlich kein deutscher Verleger übernehmen kann; im Deutschen wurden die Bände mit den folgenden Einzeltiteln versehen: Sterben – Lieben – Spielen – Leben – Träumen – Kämpfen. Ob die immer stimmig sind, sei dahingestellt.

Am meisten berührt hat mich „Sterben“, das ich auch gelesen habe (hier passt der Titel). Es handelt vom Tod des – alkoholkranken – Vaters. Karl Ove und sein Bruder machen sich daran, den Nachlass zu regeln – es bietet sich ihnen ein Bild des Grauens. Das Leben des beherrschenden Vaters erschließt sich nach und nach aus dem Rückblick. Die Brüder hatten ihn hassen gelernt; jetzt einigen sie sich darauf, sich die Leiche zeigen zu lassen, weil ihnen das erst die Gewissheit gibt, dass er tot ist und sie sich endlich befreien können. Die Befreiung ist aber ein langer Prozess, die Neigung zu Alkoholexzessen hat der Autor übernommen.

Aber hier geht es ja um „Träumen“. In diesem fünften Band schildert Knausgård die 14 Jahre (1988 bis 2002), die er in Bergen gelebt hat, da war er 20 bis 34 Jahre alt. Er hatte ein Stipendium für die Akademie für Schreibkunst bekommen und studierte im Anschluss nach einem Jahr Literatur an der Universität. Seine intensiven Bemühungen, Schriftsteller zu werden, blieben in der Zeit weitgehend erfolglos. Seine erste Ehe zerbricht, äußerlich gesehen an Seitensprüngen und weil das Schreiben seine einzige wirkliche Liebe ist.

Knausgård schreibt keinen besonderen Stil, die Schwächen wurden teilweise dem Übersetzer angelastet; das glaube ich nicht, vor Paul Berfs Übersetzerleistung habe ich großen Respekt. (Zwar hätte ich die Möglichkeit des Vergleichs, aber leider nicht die Gelegenheit, ein Originalexemplar fehlt mir.)

Ich finde keineswegs alles schlecht, da möchte ich nicht missverstanden werden. Z.B. ist der Anfang gelungen, er zieht die Leserin, den Leser sofort mitten hinein: in die Geschichte und in den Schreibprozess: „Die vierzehn Jahre, die ich in Bergen lebte … sind längst vorbei, geblieben sind von ihnen lediglich einige Episoden, an die sich manche Menschen eventuell erinnern, ein Geistesblitz hier, ein Geistesblitz da, und natürlich alles, was mir selbst aus jener Zeit im Gedächtnis geblieben ist. Doch das ist erstaunlich wenig … Ich führte ein Tagebuch, das habe ich verbrannt. Ich machte ein paar Bilder, von denen besitze ich noch zwölf ...“ Seine Beobachtungsgabe ist hervorragend (s. die Passage zum Lachen, S. 95 f.). Die schönen, tröstlichen Naturschilderungen, die sich durch das ganze Buch ziehen, gefallen mir. Andererseits: Die Minderwertigkeitsgefühle, die Selbstzweifel beherrschen das ganze Buch. In meinen Notizen während der Lektüre schrieb ich zu S. 763 „Irgendwann kann man die Minderwertigkeitsarie nicht mehr ertragen!“ Überzeugt von seiner Schreibkunst ist er fast nur nach reichlichem Alkoholgenuss – und das hat dann gleich wieder ein Übermaß, einen Grad an Selbstüberschätzung.

Noch einige wenige Beispiele aus meinen Notizen: S. 318: Was tut körperliche Arbeit dem Menschen gut, so auch diesem jungen Menschen. S. 365: Die Anknüpfung von Freundschaften ist ein interessanter Vorgang … S. 524 ff. zum Thema Schreiben als Beruf. S. 552 f. zum Thema Nähe / Distanz.

A propos Schreibkunst: Ist das wirklich Kunst? Ich glaube das nicht – es ist die Phase der bloßen Abbildung, die die Bildende Kunst längst hinter sich gelassen hat. Karl Ove Knausgård lasse „keine Peinlichkeit aus - und wird dafür gefeiert“ hieß es bei spiegel-online (20.06.2014 Thomas Andre) und in der Überschrift „Peinlich wie wir alle“. Der ersten Aussage stimme ich zu – es bringt auf den Punkt, was mir Verdruss bereitet – der Überschrift nicht, ich kann mich damit nicht identifizieren.

Hier ein früherer Artikel von mir zu Knausgård., Träume

Karl Ove Knausgård: Träumen. Roman.  Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand Literaturverlag: München 2015. 800 Seiten, EUR 24,99.

Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bild: Titelgestaltung des Verlages.

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