Berufsausbildung in Tschechien: Die Wirtschaft hofft auf den großen Wurf

Berufsausbildung in Tschechien: Die Wirtschaft hofft auf den großen Wurf
Die Unternehmen im Nachbarland wünschen sich mehr Praxis in der Ausbildung – Wirtschaftsgespräch mit Bildungsminister Dobes am 22. November in Prag
Regensburg/Horsovsky Tyn (ce-press - internet-zeitung) – Die Unternehmen in Tschechien fragen sich: Wann endlich hält mehr Praxis Einzug in die Berufsausbildung? Bisher sind Theorie und Praxis in der Tschechischen Ausbildung strikt getrennt. Die Folge: Die Schüler werden nicht rechtzeitig an den Arbeitsmarkt und die Bedürfnisse der Unternehmen herangeführt. Die Politik verspricht seit Jahren Besserung, doch passiert ist bisher wenig. Jetzt unternehmen tschechische Betriebe und die Niederlassungen deutscher Firmen in Böhmen einen neuen Versuch: „Die meisten Unternehmen unterstützen eine stärkere Vernetzung von schulischer und betrieblicher Ausbildung in Tschechien“, sagt Zdenek Muzik, Vorsitzender der Bezirkswirtschaftskammer in Pilsen. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK), nach der fast 60 Prozent von über 2.000 befragten Firmen im Nachbarland die Einführung einer dualen Ausbildung begrüßen.
Mehr Praxis in der Ausbildung: Viele Betriebe in Tschechien unterstützen Ausbildungspartnerschaften zwischen Unternehmen und Schulen. Foto: ce-press
„Eine duale Ausbildung beruht darauf, dass in den Berufsschulen vermittelte Kenntnisse parallel direkt in den Ausbildungsbetrieben angewendet und vertieft werden“, sagt Bernard Bauer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der DTIHK. Der Vorteil gegenüber Schulwerkstätten und gelegentlichen Praktika: „Es wird regelmäßig genau das gelernt, was die Betriebe brauchen“, so Bauer. Auf Initiative der DTIHK diskutiert der tschechische Bildungsminister Josef Dobeš am 22. November in Prag mit renommierten Vertretern aus Wirtschaft und Bildung über die Bedeutung der Ausbildung für die Wettbewerbsfähigkeit der tschechischen Wirtschaft.
„Der Praxis-Anteil in der Ausbildung muss verstärkt werden“, sagt Martin Korsinek, tschechischer Geschäftsführer beim Automobil-Zulieferer Grammer am Standort Tachov. Dort pflegt das Werk mit über 400 Mitarbeitern bereits eine Kooperation mit der örtlichen Schule für Maschinenbau. Selbst bei der Gestaltung der Lehrpläne für die zukünftigen Facharbeiter habe man eng zusammengearbeitet, so Korsinek. „Derzeit kommen die Schüler nur für ein paar Wochen in die Betriebe, das ist zu wenig“, sagt der Geschäftsführer. Gute Schüler motiviere man dazu, auch während ihres Studiums weiter im Betrieb zu arbeiten und dort auch ihre Abschlussarbeit zu schreiben. „So können wir uns besser kennenlernen“, sagt Korsinek.
Auch bei der tschechischen Firma Lintech in Pilsen aus dem Bereich der industriellen Produktkennzeichnung plädiert man für mehr Praxis im tschechischen Ausbildungssystem. „Dann hätten wir mehr Gelegenheit, Mitarbeiter nach den Bedürfnissen unseres Betriebes auszubilden“, sagt Lucie Svajnerova vom Marketing bei Lintech. Die Auswahl von Nachwuchskräften aufgrund der kurzen Praxis-Phasen im aktuellen Ausbildungssystem sei nicht einfach.
„Wir haben große Probleme, genügend junge Menschen für unsere Ausbildungsberufe zu motivieren“, sagt Ilja Sedlacek, tschechischer Geschäftsführer beim Kunststofftechnik-Unternehmen Inotech am Standort Tachov mit 150 Mitarbeitern. Politik und Wirtschaft müssten gemeinsam daran arbeiten, die Ausbildung in Tschechien attraktiver zu machen. Anders als große Unternehmen wie Skoda, könnten sich kleine und mittelständische Betriebe den Aufbau eigener Schulen nicht leisten.
Einige Betriebe in Tschechien sind allerdings bereits dabei, Ausbildungskooperationen mit Berufsschulen aufzubauen. In einem Modellprojekt will das Werk des Pharmaprodukte-Produzenten Gerresheimer in Horsovský Týn seinen Facharbeiter-Nachwuchs künftig in Zusammenarbeit mit der Berufsschule Domažlice ausbilden. Auch die Initiative „Wir sind Europa!“, ein von der Europäischen Union gefördertes, gemeinsames Projekt der Industrie- und Handelskammer Regensburg für Oberpfalz/Kelheim und der Bezirkswirtschaftskammer Pilsen, hat viel Unterstützung beim Anschub des neuen Ausbildungsmodells geleistet.
„Wir wollen gemeinsam mit der DTIHK weitere Ausbildungspartnerschaften zwischen Firmen und Berufsschulen in Tschechien fördern“, sagt Richard Brunner, Leiter der Chamer Geschäftsstelle der IHK Regensburg für Oberpfalz/Kelheim und zuständig für die Initiative „Wir sind Europa!“. Die Kooperationen trügen zu einer Verbesserung der Praxistauglichkeit der Berufsausbildung bei, wie sie von vielen Unternehmen gewünscht wird.
Mehr Informationen zum Wirtschaftsgespräch der DTIHK mit dem tschechischen Bildungsminister Josef Dobes im Internet unter http://www.tschechien.ahk.de.

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