Bernard Fleury – Die Demokratie rettet uns nicht vor dem Tod!

Bernard Fleury – Die Demokratie rettet uns nicht vor dem Tod!

Bernard Fleury an seinem Arbeitsplatz im Le-Maillon, Straßburg (c) Le-Maillon

Bernard Fleury ist Direktor des Straßburger Theaters Le-Maillon. Eine Kurzbiografie finden Sie im Anschluss an das Interview.

Herr Fleury, können Sie etwas über die Geschichte des Le-Maillon erzählen?

Klar, gern. Sie ist lang und kurz zugleich. Das Kulturzentrum Le-Maillon wurde 1978 im damals neuen Straßburger Viertel Hautepierre gegründet. Bernard Jenny war der erste Direktor, der durch seinen Bezug zum Theater aus dem Maillon ein « kulturelles Kettenglied » machen wollte, das auf die gesamte Stadt ausstrahlen sollte.Die darauffolgenden Direktionen unter Claudine Gironès und Nadia Derrar verpassten dem Maillon nationales und internationales Ansehen und zwar aufgrund seines künstlerischen Engagements aber auch aufgrund der offenen Beziehungen zwischen dem Publikum und den Künstlern. Seit 2002 bin ich Direktor im Le-Maillon.
Heute ist das Le-Maillon auf interdisziplinäres Theater, das sich auch international orientiert, ausgerichtet. Die Beziehungen vom Le-Maillon reichen in den Osten und nach Deutschland. Das Le-Maillon zeigt, im Gegensatz zum französischen Theater der Literatur, das sich von Molière ableitet, ein „Theater der Form“. Es ist eine Versuchsbühne und bietet auch eine Ergänzung zu den Produktionen an, die am TNS – dem Théâtre National Strasbourg – gespielt werden. Das Le-Maillon kooperiert eng mit Pôle-Sud und dem TNS in Straßburg. Mit Letzterem haben wir vor 6 Jahren das Festival „Premieres“ gestartet, das seither ein Fixpunkt zu Saisonende ist. Dieses Festival präsentiert neue Regisseure aus ganz Europa mit ihren ersten Arbeiten, oft Abschlussarbeiten, die sie an den Hochschulen am Ende ihres Studiums abliefern. In Frankreich wird ja, im Gegensatz zu Deutschland, Regie nicht an den Hochschulen unterrichtet. Das Programm dieses Festivals steht erst im Mai fest. Die Zeit bis dorthin ist recht turbulent.

Wie kann man sich die Suche nach geeigneten Stücken vorstellen?

Wir reisen natürlich viel, schauen uns viel an und wir arbeiten auch intensiv mit Barbara Engelhardt zusammen, die ja für die Zeitschrift „Theater der Zeit“ gearbeitet hat. Ca. 70% der Vorschläge für das Festival „Premieres“ kommen von ihr. Sie kennt alle Schulen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ungarn bestens. Das TNS selbst hat gute Kontakte nach Paris, Griechenland und Spanien und kann ebenfalls auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Im Le-Maillon haben wir gute Beziehungen nach Belgien, Deutschland, Italien, Polen und sogar nach Russland. So setzen wir unsere Netzwerke zusammen, um das Program des Festivals gemeinsam vorzubereiten. Wir sehen uns auch DVDs an und stecken ca. 1 Jahr in die Vorbereitung. Das Festival soll einen Blick auf die europäischen Bühnen und deren Vielfalt bieten. Es soll zeigen, womit sich die jungen Leute auseinandersetzen, es soll zeigen, was das Leben in der EU ausmacht, was die Jungen tatsächlich beschäftigt. Die Kunst, das Theater hat einen Stamm und viele, viele Äste – das können wir dabei zeigen, obwohl das Festival selbst ein Marathon ist.

Wie gestaltet sich darüber hinaus die Zusammenarbeit mit den anderen Bühnen in Straßburg wie jenen des TNS oder auch Pôle-Sud?

Wir haben, schon seit Längerem mit der „carte culture“ ein Instrument, das in allen Häusern den jungen Leuten einen einheitlichen Tarif anbietet. Wir hoffen sehr, dass diese Einrichtung bestehen bleibt. Sie bietet einen leichteren Zugang zu den Theatern und verbindet diese gleichzeitig mit der Universität. Wir offerieren gerade jungem Publikum unser breites Angebot in verschiedenen Projekten. Die Bühnen kooperieren aber auch mit der Technik untereinander, sie sind jedoch in keiner Weise uniform. Als nächster Schritt sollten auch die Theater im Großraum Straßburg, wie z.B. Schiltigheim, eingebunden werden. Es gibt aber auch Regisseure, wie zum Beispiel Jean-Yves Ruf, der am TNS studiert hat und sowohl im Le-Maillon als auch im TNS ein gemeinsames Projekt für die nächste Saison erarbeitet.

Wenn Stücke für das Saisonprogramm ausgesucht werden, was steht dabei im Vordergrund, die Verfügbarkeit, oder das Programmm in dem sie eingebunden sein sollen? Gibt es auch Gruppen, mit denen Sie immer wieder zusammenarbeiten?

Vor allem wollen wir Stücke zeigen, die interessant sind. Wir möchten unserem Publikum eine Begegnung mit zeitgenössischer Kunst ermöglichen, die zum Besten gehört, was es derzeit gibt. Im Le-Maillon arbeiten wir mit einer theatralischen Form, die auch sehr viel Poesie beinhaltet, deswegen zeigen wir auch immer wieder Zirkusinszenierungen. Technik und Poesie verbinden sich in dieser Gattung. Der Körper der Artisten ist gleichzeitig ihr Stoff, der verschmilzt mit der Technik und bildet eine ganz eigene Art von Poesie. Der Zirkus ist auch ein schönes Beispiel für die Interdisziplinarität, über die wir vorher schon gesprochen haben. Theater, Tanz und Musik finden hier zueinander.
Und es gibt natürlich feste Bindungen über viele Jahre hinweg, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Romeo Castelucci, aber auch zu Belgien haben wir enge Verbindungen, die schon über Jahre halten. Über die angebotenen Stücke hinaus arbeiten wir aber auch selbst an Projekten, wie zum Beispiel jenem unter dem Titel „Rosa, die Rote“. Mit der Volksbühne Berlin verbindet uns auch eine langjährige Freundschaft – „Ein Chor irrt sich gewaltig“ – diese Inszenierung kommt von dort zu uns nach Straßburg und auch Ivan Stanevs „Mord im Burgtheater“, den wir in dieser Saison hier zeigten, wurde vorher in Berlin aufgeführt. Wilfried Schulz vom Staatsschauspiel Dresden hat zum Beispiel zwei junge Regisseure engagiert, die er beim Festival „Premieres“ gesehen hat. Wir sind aber auch sehr stolz, dass Harriet Maria und Peter Meining aus Deutschland bei uns im Le-Maillon das erste Mal in Frankreich aufgetreten sind. Jetzt bekommen sie mit ihren norton.commander.productions am 31. Mai den George-Tabori-Preis verliehen, was uns natürlich enorm freut und auch stolz macht! Das bedeutet, dass wir sowohl mit unserem Saisonprogramm als auch dem Festival Premières in der Aktualität der deutschen als auch der französichen Bühnen gut behaupten.

Was bedeutet zeitgenössisches Theater, welche Rolle hat es in unserer Gesellschaft, nach Ihrer Meinung?

Theater behandelt immer die Grundfragen des Menschseins und bietet Kommunikation im Sinne der altgriechischen Polis. Theater hat auf alle Fälle eine politische Dimension. Die Demokratie ist sehr kompliziert, deswegen aber zugleich auch sehr interessant. Wir werden uns in der nächsten Saison intensiv in unserem Programm mit Grundfragen der Demokratie auseinandersetzen. Demokratie hat internationale Dimensionen und die Fragen über die Demokratie stellen sich ebenfalls international. Man kann von der Demokratie aber nicht alles erwarten. Sie verteidigt uns nicht vor dem Tod – wir sterben ja trotzdem. Das Theater ist aber eine sehr demokratische Kunstform, denn es geht um die Gemeinde, um das Verstehen, es geht um Gefühle – und im Theater geschieht eine Erziehung der Gefühle. Wir arbeiten schon lange mit einem Designbüro zusammen, das unser jeweiliges Programm visuell umsetzt – in gedruckter Form, aber auch im Internet. Auch das ist eine Kunstform, die in Zusammenhang mit unserem Theater steht und ich bin der Meinung, dass auch Kommunikation Kunst braucht, zeitgenössische Kunst.

Habens Sie im Laufe der Jahre Veränderungen festgestellt, was das Publikum in Straßburg betrifft? Die Zahl der Abonnenten des Maillon ist ja seit acht Jahren ständig gestiegen und in dieser Zeit ist eine Zunahme von 192% zu verzeichnen. Die Zuschauerzahlen insgesamt stiegen von 23.000 auf 33.000, das ist ja beachtlich !

Oh ja, auf alle Fälle. Wir haben ein sehr treues Publikum, das wir langsam aufgebaut haben. Heute haben wir fast alle unsere Vorstellungen voll. Das Publikum hat sich mit uns mit entwickelt und das nicht zuletzt aufgrund unserer Kommunikation, die ich soeben beschrieben habe. Bei uns in Straßburg ist es anders als in der Großstadt Paris oder in anderen Großstädten, beispielsweise. Wir haben das Glück, das wir unser Publikum sozusagen „persönlich“ kennen. Wir sind „frei“ von einem großen Bild, das sich ein Land mit seinen Hauptstadttheatern gerne gibt und können daher viel experimentierfreudiger arbeiten. Die Interdisziplinarität, der zeitgenössische Schwerpunkt sowie das Engagement für junge Künstler ist bei uns besonders stark ausgeprägt. Ganz im Gegensatz zur Anonymität des Großstadtpublikums haben wir eine echte Beziehung zu unserem Publikum aufgebaut. Der Saal, in dem wir meistens spielen, bietet 600 Menschen Platz. Das ist eine sehr gute Größe. Viel mehr ist für die Veranstaltungen, die wir zeigen, nicht wirklich verträglich, maximal 700 bis 750 Sitzplätze, aber nicht mehr. Es ist prognostiziert, dass wir in 5 Jahren unseren Thetatersaal erneuert haben werden. Wir sind ja zurzeit auf dem alten Messegelände, das wir mit dem Publikum sehr schätzen, das aber sehr unpraktisch für das Theater selbst ist. In der neuen Planung ist ein größerer Bühnenraum vorgesehen. Was wir auch brauchen würden, ist eine kleinere bis mittelgroße Bühne, die wir für Kammerspiele einsetzen könnten. Es wäre schön, wenn wir die Räume auch teilen könnten, dann hätten wir auch die Möglichkeit, Uraufführungen in Straßburg zu machen, was jetzt nicht geht, weil es einfach technisch zu teuer ist.

Welche Zukunftsprojekte hat das Le-Maillon?

Wir arbeiten an mehreren Projekten, zum einen daran, diesseits und jenseites des Rheins verstärkt zusammenzuarbeiten. Das Le-Maillon und das TNS werden sich viel stärker als bisher mit Freiburg sowie Mulhouse und Basel vernetzen. Im Moment ist es ja so, dass diesseits und jenseits des Rheins zwei parallele Autobahnen existieren, die in Basel enden! Aber auch mit Dresden soll der Austausch noch intensiviert werden, speziell mit dem Kulturzentrum Hellerau. Nicht nur mit Dresden, sondern auch mit Barcelona und Hamburg wird ein verstärkter Austausch stattfinden. Das Interessante daran ist ja auch, dass alle Städte, inklusive unserer, keine Hauptstädte sind, in denen, wie bereits beschrieben, ja andere Programmzwänge herrschen. Durch den Ausbau von Netzwerken sollen natürlich auch Mittel vernünftig eingesetzt werden. Das Theater ist ja ein Handwerk, und wie man so schön sagt, spart das Handwerk wenig!

Was würden Sie Ihrem Publikum gerne direkt sagen?

Man soll zum einen Teil seine Neugier behalten, aber mit dem anderen Teil in vollen Zügen genießen!

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview mit Bernard Fleury führte Michaela Preiner am 31.3.2010 im Le-Maillon in Straßburg

Kurzbiografie:
Bernard Fleruy diplomierte am Institut für politische Studien in Paris (1971) und arbeitete danach drei Jahre als Führungskraft in der Industrie bevor er sich 1976 im Kunstbereich zu engagieren begann. (Tanzkompagnie Félix Blaska, CCI-Centre Georges Pompidou) Nachdem er die Scène Nationale de Poitiers (1978-1990) gegründet und geleitet hatte, stellte er diese Erfahrungen dem „Office National de Diffusion Artistique“ zur Verfügung, dessen Generalsekretär er zwischen 1990-1996 war. Danach war er für die internationalen Beziehungen sowie als Direktor des Institut Français in Leipzig (1996-1998) zuständig. Diese zweifache Aufgabe, sowohl national als auch international befähigte ihn dazu aktiv als Direktorstellvertreter der Entwicklung des CDN von Nancy-Lorraine mitzuwirken, insbesondere bei der Entwicklung des Festivals „Passages“, das sich dem Theatergeschehen von Osteuropa widmet. Er übernahm schließlich die Direktion des Theaters Le-Maillon, einem Theater der Stadt Straßburg, um dort das Projekt der „Scène Européenne“ zu erarbeiten. Da Bernard Fleury fließend Deutsch und Englisch spricht, war er darüber hinaus für die internationalen Netzwerke IETM und THEOREM verantwortlich, die sich dem kulturellen Austausch in Europa verschrieben haben.


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