Berlin: Mietproteste fordern konkrete Lösungen

Berlin: Mietproteste fordern konkrete LösungenDer Mietenprotest erreicht die Schlagzeilen. Die parallel durchgeführten Demonstrationen in Freiburg, Hamburg und Berlin wurden nicht nur auf den Lokalseiten verhandelt. Die taz hatte die Proteste und wohnungspolitischen Debatten als Aufmacher (“Mieter auf der Straße“) und Schwerpunktthema (“Sozialer Wohnungsbau: 4,78 Euro pro Quadratmeter“)  ihrer Wochenendausgabe, die Welt lässt den Mieterbund “vor sozialen Verwerfungen warnen” und auch die Tagesschau ließ es sich nicht nehmen, über die Mietproteste zu berichten:

Woher kommt das plötzliche Interesse am Thema? Stadtteilproteste gibt es nicht erst seit dem Wochenende, doch die Gründe für das Medienecho lassen sich relativ schnell zusammenfassen:

Die Wohnungsfrage hat in vielen Städten die immer wieder gerne beschworene Mitte der Gesellschaft erfasst. Im Tagesschaubeitrag etwa wird Wohnungsnot nicht am Beispiel von Zwangsräumungen oder Hartz-IV-Familien aufgezogen, denen das Jobcenter eine “Kostensenkungsaufforderung” geschickt hat, sondern  am Beispiel einer Studentin, die auch nach mehreren Wohnungsbesichtigungen noch kein Glück bei der Wohnungssuche hatte.

Die wohnungspolitischen Proteste haben sich in den vergangenen Monaten nicht nur verbreitert, sondern auch zugespitzt. Versuchte Hausbesetzungen, Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen und auch das Dauer-Protest-Camp am Kotti stehen für Bewegungsansätze, bei denen die Mieter/innen sich nicht auf einen symbolische Meinungsmobilisierung beschränken, sondern die Durchsetzung konkreter Ziele in die eigenen Hände genommen haben.

Ein dritter Grund für die gestiegene Aufmerksamkeit ist sicher auf die Verknüpfung der Straßenproteste mit politischen Forderungen zurückzuführen, die anders als das Proklamieren einer allgemeinen Unzufriedenheit oder Ablehnung eher auf eine mediale Resonanz stoßen, weil sie von Journalist/innen in die ihnen bekannten Strukturen des politischen Alltagsgeschäfts eingeordnet werden können. Entsprechend geben die Berichte zu den Protesten vor allem die Forderungen zur Mietgesetzgebung (Kappung der Mieterhöhungsmöglichkeiten, Kappung der Neuvermietungsmieten, Beschränkung der Umlage von energetischen Sanierungen) wider.

Konkrete Forderungen als Repolitisierung der Stadtpolitik

Doch so erfreulich das breite Medienecho auf die Proteste ist, die Mehrzahl der Berichte geht an der Realität der stadtpolitischen Bewegungen vorbei. Die wohnungspolitischen Proteste sind über die Phase der Hoffnung auf bessere Gesetze längst hinaus gewachsen. Insbesondere die Mobilisierungen zu unmittelbaren und ja in der Regel auch dringlichen Problemen fordern meist sehr konkrete Lösungen ein: Mehr Wohnungen für Studierende (Freiburg), Freigabe leerstehender Büronutzungen für Wohnzwecke (Hamburg) oder Mietobergrenzen für den Sozialen Wohnungsbau (Berlin).

Ein großer Teil der aktuellen Mietproteste beschränkt sich nicht mehr auf hoffnungsvolle Appelle an die Politik, von der eine wie auch immer geartete Lösung erwartet wird, sondern formuliert konkrete Forderungen und schlägt umsetzbare Modelle vor, mit denen eine soziale Wohnungsversorgung sichergestellt werden kann. Was auf den ersten Blick als Reformismus verstanden werden mag, ist letztendlich der selbstbewusste Anspruch,  Stadt selbst zu gestalten.

Beispiel Sozialer Wohnungsbau in Berlin: Seit über 165 Tagen halten die Mieter/innen vom Kottbusser Tor ihr Protest-Gecekondu besetzt und fordern für den Sozialen Wohnungsbau eine Mietpreis, der dem Namen gerecht wird. In der Frage der 4-Euro-Miete (pro Quadratmeter, nettokalt) haben die Mietaktivist/innen ein öffentliches Ultimatum formuliert (“Wir bleiben solange bis…”) und versuchen ihren Forderungen auf verschiedenen Ebenen (Lärmdemonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie Lobbyarbeit und Dialog mit Verwaltung und Politik) Nachdruck zu verleihen.

Berlin: Mietproteste fordern konkrete LösungenDie geforderte Mietenkappung konnte bisher noch nicht durchgesetzt werden, doch am kommenden Dienstag erfüllt sich zumindest eine Teilforderung von Kotti&Co.: Gemeinsam mit dem Berliner Bündnis Sozialmieter (sozialmieter.de) und unterstützt von den Hausgemeinschaften des mietenpolitischen Dossiers wurde in den vergangen Monaten ein Konferenz vorbereitet auf der die Mieter/innen gemeinsam mit Verwaltungsmitarbeiter/innen und eingeladenen Expert/innen Lösungen für verschiedene Probleme und langfristige Perspektiven für die immerhin noch über 140.000 Wohnungen des Sozialen Wohnungsbaus finden wollen. Im bereits veröffentlichten Konferenz-Reader (pdf) sind nicht nur fundierte Einschätzungen zum Sozialen Wohnungsbau, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge für die verschiedenen Probleme nachzulesen: “Nichts läuft hier richtig. Konferenz zum Sozialen Wohnungsbau“.

Es ist seit vielen Jahren die erste von Mieter/innen organisierte wohnungspolitische Fachtagung in Berlin, die von Parteien und Verwaltung als ernstzunehmender Ort der Lösungssuche anerkannt wird. Die Mieter/innen haben sich selbst in die politische Arena der Stadtpolitik eingeladen – was sie dort bewirken können, wird sich u.a. am Dienstag zeigen.



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