Unter dem Titel “Miete, Mischung, Mehrwert – Warum Kotti und Co uns alle angeht” haben die Migrations- und Stadtforscher/innen zu einer Veranstaltung geladen, die in den letzten Woche zwei öffentliche Briefe zur Unterstützung der Mietproteste von Kotti&Co. veröffentlicht hatten (siehe: “Ein Angebot, das wir nicht ausschlagen können” / ”Für eine soziale Mieten- und Wohnungspolitik“).
Im gut gefüllten Veranstaltungsraum des Museum Kreuzberg wurde gestern Abend dann nicht nur die breite Unterstützung für Kotti&Co zelebriert, sondern auch eine inhaltliche Diskussion über den Sinn und Unsinn einer “Sozialen Mischung” angeregt.
Den Mieter/innen von Kotti&Co. ist im Laufe ihres Protestes immer mal wieder das Argument der “Durchmischung” begegnet – in der Regel wenn es darum ging, die Mietsteigerungen zu rechtfertigen oder eine Verdrängung zu verharmlosen. Wir haben diese Erfahrungen als Anlass genommen, um uns mit dem Konzept der Sozialen Mischung auseinanderzusetzen. Britta Grell, die die Veranstaltung mit organisierte, hat vorab ein Interview im Neuen Deutschland gegeben: “Gut gemischt ist halb verdrängt?“.
Frage: Liegt man falsch, wenn man bei sozialer Mischung an sozialen Ausgleich denkt?
Britta Grell: Das Leitbild »soziale Mischung« suggeriert ganz unterschiedliche Dinge. Für einige hat es etwas mit Ausgleich oder sozialer Gerechtigkeit zu tun nach dem Motto: »Die Stadt ist für alle da und nicht nur für die Reichen.« In der Stadtentwicklungsdebatte merkt man aber schnell, dass damit auch entgegengesetzte Interessen vertreten werden, wenn zum Beispiel behauptet wird, es bedürfe einer Aufwertung von armen Nachbarschaften durch den Zuzug von besser gestellten Schichten, damit es allen, auch den benachteiligten Bevölkerungsgruppen, besser geht. Damit legitimiert man unter Umständen die Verdrängung von Arbeitslosen oder Migranten.
Ein paar Gedanken aus meinem Input gibt es hier zu lesen:
„Unser Problem ist nicht die Mischung, sondern die Miete.“
In sozialwissenschaftlichen und stadtpolitischen Debatten wird seit langem über die sozialräumlichen Polarisierungstendenzen in den Städten diskutiert. Insbesondere die Konzentration sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen wird dabei als Problem wahrgenommen. Strategien richten sich entsprechend auf die soziale Durchmischung der Bevölkerung. Stadtplaner sehen die gemischte Stadt als Ideal und auch viele Initiativen gegen Gentrifizierung argumentieren mit dem “drohenden Verlust der Mischung“.
Der Begriff der „Sozialen Mischung“ hat als stadtplanerisches Ideal und sozialpolitisches Versprechen einen von vielen Seiten geteilten Wohlklang. Das Verwundert: Denn bisher gibt es keine empirische Evidenz dafür, dass die Umkehr der räumlichen Ausgrenzung tatsächlich eine Lösung für Armut und Ausgrenzung bietet. Dinge von den wir zu wissen glauben, ohne das entsprechende Wissen zu haben, können als Mythos beschreiben werden – in diesem Fall spreche ich vom “Mythos der Sozialen Mischung”.
Mit meinem Beitrag auf der Veranstaltung am 26. Oktober 2012 habe ich, habe ich ein paar Gedanken vorgestellt, um diesem „Mythos der Sozialen Mischung“ auf den Grund zugehen. Dazu habe ich einen kurzen Blick in die Geschichte geworfen, eine kritische Perspektive auf die Realität hinter den sozialen Verheißungen der Mischung gerichtet und die mögliche Interessen hinter der Mischungs-Rhetorik beleuchtet. Die im Beitrag vorgestellten Beispiele und Zitate sind für alle Interessierten in einem bereits 2009 veröffentlichten Beitrag detailliert und mit Quellenangaben nachzulesen: “Mythos Soziale Mischung“.
Als Ergebnis meines kleinen Rückblicks in die Geschichte der Stadtpolitik und die Praxis der Sozialen Mischung habe ich drei Thesen in den Raum gestellt, die uns helfen können, die Rhetorik der Sozialen Mischung einzuordnen:
- Wer von Mischung spricht verwandelt insbesondere die als „Problemgruppen“ definierten Gruppen in Objekte der Stadtplanung. Soziale Mischung ist die Marschmusik einer repressiven und autoritären Neuordnung der Städte.
- Soziale Mischung hat keinen nachweisbaren Effekt auf die sozialen Lagen und ist ein bequemes Lösungskonzept, da es ohne eine Auseinandersetzung mit den ökonomischen und politischen von sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung auskommt.
- Soziale Mischung wird regelmäßig dort angerufen, wo es durch die Verdrängung von ärmeren Bevölkerungsgruppen einen wohnungswirtschaftlichen Mehrwert zu akquirieren gibt.
Soziale Stadtpolitik braucht keine Mischungskonzepte von oben, sondern Umverteilungen und Aneignungsstrategien von unten. In dieser Perspektive sind Kotti&Co. mit ihren Forderungen und Protesten weniger ein Problem der Stadtplanung, sondern der Lösungsansatz einer repolitisierten Stadtgesellschaft.
Oder einfacher ausgedrückt, wie es die Mieterinnen von Kotti&Co. auf der Veranstaltung so schön formuliert haben:
„Unser Problem ist nicht die Mischung, sondern die Miete.“