Berliner Zeitung, 27.08.2019
Interview mit Andrej Holm: Der Soziologe über den Mietendeckel (von Elmar Schütze)
Andrej Holm zum Mietendeckel: „Je billiger die Wohnung, desto geringer der Gewinn“
Herr Holm, die Reaktionen auf das Papier zum Mietendeckel aus dem Hause ihrer ehemaligen Senatorin Lompscher fielen zum Teil sehr harsch aus. Berlin werde damit angezündet, heißt es zum Beispiel in einem Zeitungsartikel. Sind Sie überrascht von der Heftigkeit?
Nein überhaupt nicht. Das Medienecho war erwartbar, die Stellungnahmen kurz vor der Schnappatmung auch. Die Drohung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs durch die Immobilien-Lobby gehört zur Choreografie von wohnungspolitischen Debatten. Das war ja auch schon so, als sich der Senat im Frühjahr erstmals auf die Eckpunkte eines Mietendeckels verständigt hatte, Schon da stand fest, dass es sowohl Obergrenzen für Mieten geben soll, im Zweifel aber auch Absenkungen, wenn diese Obergrenzen bereits überschritten sein sollten. Je konkreter die Aussicht wird, dass der Ertrag aus Wohnungen sinken wird, desto heftiger fallen die Reaktionen aus. Schließlich ist es ein Nullsummenspiel: Je leistbarer die Wohnungen sind, desto geringer fällt der Gewinn aus. Wir sollten dabei nicht vergessen, dass die Gewinne in Berlin in den vergangenen 15 Jahren stetig gestiegen sind. Jetzt soll dieser Trend für fünf Jahren unterbrochen werden. Nach bisherigem Mietrecht, darf die Miete alle drei Jahre erhöht werden. Für die meisten Vermieter entfällt also genau eine Mieterhöhung.
Es gab in diesen Tagen viel Kritik an den genannten Obergrenzen von 3,42 bis 7,97 Euro Monatskaltmiete pro Quadratmeter – je nach Alter und Ausstattung der Wohnung. Wie sehen Sie das?
Wie ich das sehe, orientieren sich die Zahlen an den Mietspiegelwerten von 2011. Damals gab es noch ein verträgliches Verhältnis zwischen Haushaltseinkommen und Mietpreisen. Seitdem hat sich das dramatisch verschoben. Im Übrigen entsprechen die Zahlen ganz grob dem aktuellen Durchschnitt. Der liegt bei 6,56 Euro pro Quadratmeter kalt.
Dennoch polarisieren Obergrenzen naturgemäß. Halten Sie es für politisch klug, sie dennoch zu nennen?
Natürlich muss man Obergrenzen nennen. Es ist ja in den vergangenen Wochen auch keine Geheimdiskussion um den Mietendeckel geführt worden. Alle wussten, was kommt. Deswegen bin ich von der polarisierten Debatte auch nur mäßig überrascht. Wobei ich schon eine Portion Unfairness erkenne, wenn jetzt die Senatorin ausgerechnet dafür abgestraft wird, dass ein ersten, unfertiger Vorschlag bekannt wird. Was wäre erst los gewesen, wenn man die Stadtgesellschaft später mit einem fertigen Gesetz überfahren hätte? Die Zeit der Hinterzimmerentscheidungen sind hoffentlich vorbei.
Dennoch stellt sich die Frage, wie die rot-rot-grüne Koalition angesichts des heftigen Gegenwinds mit dem Mietendeckel umgehen wird.
Also ich glaube, dass es sich keine der drei Parteien wird leisten können, ein Veto einzulegen. Der Mietendeckel ist populär, das wissen wir aus allen Umfragen.
Vielfach wird kritisiert, dass ein Mietendeckel das Klima für Investitionen vergiften würde, weil sich Wohnungsbau nicht mehr lohne. Wird es dazu kommen?
Das ist Unsinn. Tatsächlich verschlechtert dieser Mietendeckel die Aussichten auf hohe Gewinne aus Bestandsbauten, also auf Spekulation mit Altbauten. Das kann aber gleichzeitig dazu führen, dass umso mehr Investitionsmittel in den Neubau fließen. Diese Wohnungen sind ja vom Mietendeckel ausdrücklich nicht berührt. Das gilt übrigens auch für deren Wiedervermietung. Es wird also auch Investoren geben, die sagen: Wir konzentrieren uns jetzt auf den Neubau. Der sollte dann aber bedarfsgerecht sein. Es gibt in Berlin z.B. sehr viel kleine Haushalte, aber nur sehr wenige kleine Wohnungen.
Aber was passiert mit den großen Altbauwohnungen?
Bisher ist es doch so, dass alte und deshalb günstige Mietverträge als Goldstaub angesehen werden. Denken sie zum Beispiel an Witwen, die nach dem Auszug der Familie und dem Tod des Partners in viel zu großen Wohnungen leben, die sie allein zum Beispiel gar nicht mehr putzen können oder wollen. Aber sie können sich einen Umzug nicht leisten, weil ein neuer Mietvertrag so teuer wäre. Die hohen Neuvermietungsmieten wirken als Mobilitätsblockade – diese könnte durch den Mietendeckel gelöst werden.
Debatten gibt es auch über die Laufzeit des Deckels: fünf Jahre. Ist diese Begrenzung klug?
Ich halte fünf Jahre für ein gerechtfertigtes Maß. Es ist ja davon die Rede, dass die Berliner Mieter damit eine Atempause erhalten würde. Und das ist wichtig. Aber diese Zeit darf nicht einfach zum Durchschnaufen genutzt werden. Im Stadtentwicklungsplan Wohnen ist bis zum Jahr 2030 ja von 200.000 neuen Wohnungen die Rede, 100.000 davon sollen gemeinwirtschaftlich sein. Man sollte sich darauf verständigen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Dafür müssen die fünf Jahre mit Mietendeckel auch genutzt werden.
Sie sprechen von 100.000 gemeinwirtschaftlichen Wohnungen, also solchen, die besonders günstig sind. Gleichzeitig wächst Berlin weiter. Brauchen wir nicht auch mehr teure Wohnungen?
Es gibt keinen Mangel an teuren Wohnungen, aber einen deutliches Defizit an leistbaren Wohnungen. Ich erinnere noch einmal an die Zahlen: Mitte der 90er-Jahre gab es in Berlin 370.000 Sozialwohnungen, jetzt sind davon nur noch 100.000 übrig. Gleichzeitig wurden 220.000 Wohnungen von kommunale Wohnungsbaugesellschaften umgewandelt. Das heißt, dass wir in den vergangenen 25 Jahren einen Raubbau an den wohlfahrtsstaatlichen Strukturen erlebt haben. Jetzt ist es Zeit, auch mal wieder öffentliche Verantwortung für die Wohnversorgung zu übernehmen