„Sind sie wieder auf Beobachtungsposten?" fragte ich letzthin etwas salopp unsere Nachbarin, die immer aus dem Fenster guckt. Ärgerlich korrigierte sie mich: „Ich beobachte nicht, ich schaue einfach."
Da musste ich an den Schriftsteller Peter Bichsel denken, der oft Stunden im Bahnhof oder im Kaffeehaus sitzt und einfach schaut. Er meinte „Nein, ich beobachte nicht, ich schaue. Beim Beobachten sieht man nichts, denn beobachtend man weiß schon, was passieren sollte." ( Quelle: Film "Zimmer 202″, hier im YouTube)
Das stimmt. Wenn ich in den Wald gehe,um Vögel zu beobachten, dann weiß ich schon, was kommen sollte: Vögel nämlich. Genauso der Detektiv, der unauffällig im Schatten eines Birnbaums steht und die Wohnungstür beobachtet: er weiß, dass er die bösen/falschen Besucher sehen sollte.
Schon seit der Schule lernen wir allerdings, immer die Dinge zu beobachten. Man soll nicht einfach aus dem Fenster gucken. Im Arbeitsleben beobachten wir dann je nach Beruf alles Mögliche: den Börsenkurs, die Veränderung des Lagerbestandes, den Verkehr, den Weltmarkt oder die Patienten. Heute helfen auch Überwachungskameras um die Menschen im Laden, am Bankautomaten oder beim Rotlicht zu beobachten. Und das genaue Beobachten zahlt sich aus.
Aber können wir noch sehen?
Nehmen wir Dinge wahr, die Andere beobachtend über-sehen?
Nehmen wir mehr wahr, als das, was wir bereits kennen?
Sehen wir etwas anderes, was eigentlich gar nicht dazugehört?
Bild: Ich erwarte Sie ... / 23cm x 29cm / Öl auf Baumwolle / 2007, Nr.07-007