Autismus ?

Von Geburt an kämpfe ich mich durch’s Leben – allein, denn diese Sache Namens “Freundschaft” hat für mich noch nie lange funktioniert.

In der Schule war ich immer der Außenseiter. Zu still, zu in sich selbst zurück gezogen. “Die sagt ja nie was”, dieser Satz hängt mir heute noch nach. Mit anderen Kindern konnte ich nicht viel anfangen, heute mit Menschen allgemein auch nicht. Sie reden ununterbrochen, alle durcheinander. Eine Kakophonie an Stimmen. Einzelne Worte sind ab einer gewissen Menschenmenge nicht mehr zu verstehen, sie verschmelzen zu einem übermächtigen Rauschen.

Ich verstehe nicht, warum man immer und immer wieder jede noch so kleine Belanglosigkeit diskutieren muss. Sie stellen mir Fragen, doch die Antworten, die ich gebe, werden nicht akzeptiert. Sie hinterfragen alles was ich sage immer und immer wieder. So lange bis ich schließlich keine Antwort mehr finde.Leider kommt es auch immer wieder vor, dass ich etwas falsch verstehe. War das nun ernst gemeint, ein Witz? Ich kann es nicht einschätzen. Wie soll ich reagieren? Smalltalk oder Gespräche über private Themen sind ebenfalls schwierig. Wie schaffen es die anderen nur in solch einem Redefluss zu bleiben. Ich kann das nicht. Für jeden Satz brauche ich Zeit: Ich höre zu was gesagt wird. Versuche es zu verstehen. Überlege, was ich antworten soll. Meinem Gegenüber dauert das zu lange, er wird ungeduldig. Doch ich rede nur, wenn ich auch eine Antwort habe.Schleudern aber  Gedanken und Gefühle wild durcheinander, kann ich nicht reden. Das passiert mir immer wieder bei Streits, wenn ich unter Druck gerate oder wenn ich verletzt bin. Dann überfordert mich die Situation und ich kann nicht mehr reden, ich stehe einfach nur da. Die Gedanken drehen sich, aber ich bekomme keinen Ton raus.In der Zeit mit meinem Ex-Ehemann war das ganz schlimm. Meist eskalierte die Situation. Mein Schweigen wurde falsch gedeutet. Er schrie mich an. Und ich stand dem ganzen machtlos gegenüber, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Am liebsten hätte ich los geheult, doch auch das ging nicht, egal wie groß der Klos in meinem Hals auch war.Auch Telefonieren stellt für mich immer wieder ein Problem dar.  Wenn ich jemanden anrufen soll bedeutet das für mich Stunden lange Vorbereitung. In Gedanken gehe ich das Gespräch immer wieder und wieder durch. Was will ich? Wie könnte der Gesprächspartner reagieren? Was antworte ich? Und so weiter. Dabei steigt stets Angst in mir auf bei dem Gedanken daran, nicht alle Eventualitäten berücksichtigt zu haben. Was wenn der andere nicht so reagiert, wie ich wie ich dachte? Was wenn er etwas unvorhergesehenes sagt, oder gar fragt? Wie soll ich reagieren? Was soll ich sagen? Die Angst setzt sich wie ein Stein in meinem Magen fest. Mir wird schlecht. Ich fange an zu zittern.Das Ganze ging so weit, dass diese Unfähigkeit dazu führte, dass ich meine Arbeit nicht mehr korrekt ausführen konnte. Hinzu kam damals noch der allgemeine Lärm des Großraumbüros (20 Leute auf engstem Raum, die alle vor sich hin redeten (telefonieren) und miteinander sprachen). Die Situation bei der Arbeit wurde mehr und mehr unerträglich für mich. Ich wurde oft krank und in Folge dessen irgendwann zu meiner Vorgesetzten zitiert, die meinte, dass es ja nicht sein könne, dass ich so oft krank wäre. Ich solle gefälligst mal die Zähne zusammen beißen.Irgendwann ging es dann aber nicht mehr und ich brach zusammen. Damalige Diagnose “Depression”.Fast ein halbes Jahr war ich zu Hause und machte mir Gedanken darüber, was wohl mit mir nicht stimmt. Schließlich zog ich das Internet zu Rate. Wieso war ich so anders als die anderen da draußen?Das Internet spuckte schließlich einen Begriff aus, der mich nicht mehr los lies, bei dem alles zu stimmen schien: Autismus, Asperger Syndrom.

Ich hatte Angst. Dachte, was vielleicht viele gedacht hätten: “Autismus? Ich? Das kann doch nicht sein. Was werden die Leute sagen? Was werden meine Eltern sagen?”. Doch je länger ich mich damit beschäftigt, umso mehr schien es auf mich zuzutreffen.

Doch wie sollte man das nun offiziell machen? Der Arzt, bei dem ich wegen des Zusammenbruches war, sagte doch ich hätte eine Depression. Der nimmt mich sicher nicht ernst, wenn ich mit ergoogelten Symptomen daher komme und ihm auftische ich hätte Autismus. Und mein Hausarzt? Nein, das kann ich nicht. Die Angst, ausgelacht zu werden, mich damit lächerlich zu machen sitzt zu tief.

Also rappele ich mich wieder auf. Kämpfe mich alleine zurück ins Leben. Suche mir eine Arbeit und mache weiter wie bisher. Weiter bis der nächste Zusammenbruch kommt?

Nun, drei Jahre später ist es fast wieder soweit. Aus meinem ruhigen Bürojob im Einzelbüro wurde praktisch über Nacht eine Führungsposition im Großraumbüro. Die Wellen der Arbeitswelt schlugen unerwartet über mir zusammen. Einen Ausweg gibt es nicht – nur die Kündigung. Doch ich bin Alleinverdiener. Mein Mann ist seit langem krank: Mobbing am Arbeitsplatz, Verdacht auf ADHS. Ich kann nicht aufgeben, darf nicht aufgeben. Ich muss stark sein für uns beide. Auch wenn die Kraft mehr und mehr zu Neige geht.

Ich stecke alle Energie in die Arbeit. Wenn ich abends nach einem 10 oder 12 Stunden Tag nach Hause komme, schwirrt mein Kopf  wie ein Bienenstock und mein ganzer Körper vibriert wie eine angeschlagene Klaviersaite. Ich bekomme schreckliche Kopfschmerzen. Ich krieche ich praktisch auf dem Zahnfleich zur Tür herein. Total erschöpft und am Ende. Die Zeit bis zum nächsten Morgen reicht zur Regeneration kaum aus. Doch auch zu Hause kann ich mich nicht zurück ziehen. Haushalt und Ehemann verlangen volle Aufmerksamkeit. Meine Nerven liegen blank, sind zum zerreißen gespannt. Ich kann nicht mehr. Ich habe das Gefühl, jeden Augenblick zusammen zu brechen. Ich will nur noch weg.

In diesem Gefühlschaos begegnete mir eine alte Bekannte via Facebook. Ich sah es als Wink des Schicksals, dass sie wohl vor zwei drei Jahren selbst Ihre Autismusdiagnose bekommen hatte. Ich sprach sie an, bat sie um Rat. Es entwickelten sich viele interessante Gespräche und ich begann sie erneut als eine gute Freundin anzusehen. Doch dann, über Nacht änderte sich alles. Sie warf mich aus ihrer Facebook-Freundesliste, blockierte mich sogar. Einzig eine kurze Nachricht hat sie hinterlassen und ein tiefes Loch in meinem Herzen.


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