Auf dem Weg zur Erleuchtung (Teil 2)

Nun,  es war ja sicherlich wieder mal nur unschwer zu erraten, wer da hinter “Herr Champi” steckte. Wir hielten tatsächlich vor der “Begegnungsstätte Erleuchtung”, und ich hatte mir eine gute Erklärung einfallen zu lassen, wieso genau ich jetzt diesen Laden kannte. Mit uns zeitgleich traf der RTW ein. Tim und Marek hatten auch keine weiteren Informationen, und so öffneten wir vorsichtig die Tür. Drinnen war alles dunkel, nur das Klimbim des Glockenspiels ließ mich wissen, dass dies der richtige Ort war.
“Hallo?” rief ich vorsichtig in die Dunkelheit. Ich hörte ein Rascheln in der hinteren Hälfte des Ladens und ein paar Stimmen, die sich aufgeregt unterhielten. Dann war wieder alles ruhig. Schließlich bewegte sich ein Vorhang zur Seite und Shanti lief schnellen Schrittes auf uns zu. Freundlicherweise machte er dabei das Licht an. Er war barfuß und wieder ganz in weißen Leinen gekleidet. Um den Kopf trug er diesmal ein weißes Tuch. Er sah grandios bescheuert aus.
“Du?” fragte er ungläubig, als er mich sah. Ich drehte mich zu meinen Kollegen um.
“Jungs, darf ich vorstellen, Fritz Mayer. Fritz, das Rettungsteam.” Ich machte eine ausladende Geste in jeweils die eine und die andere Richtung.
“SHANTI!” entfuhr es Fritz Mayer sehr nachdrücklich und unspirituell.
“Shanti, whatever.” sagte ich und machte eine abwertende Handbwegung.
“Ich bin nämlich erleuchtert.” fügte er erklärend für das Rettungsteam hinzu. Jetzt sind diese Herren ja sicherlich einiges gewöhnt, dennoch guckten alle drei etwas ungläubig. Marek fing sich als erster. “Also, Fritz Shanti, was ist denn hier das Problem?”
“Nur Shanti, bitte.” Shanti klang ein wenig beleidigt. Wir übergingen diese Bemerkung und sahen ihn auffordernd an. Immerhin standen wir schon seit einigen Minuten in diesem nach Räucherstäbchen stinkenden Loch und konnten, von einigen F.-Diagnosen bei Shanti mal abgesehen, noch nichts wirklich Pathologisches erkennen.
Shanti führte die Fingerspitzen vor der Brust zusammen und holte erst einmal tief Luft. “Also… ich halte heute einen Erleuchtungskurs ab. Ihr könnt auch gerne noch mitmachen, wenn Ihr wollt.” Er sah uns erwartungsvoll an.
“Och, nee, du… lass mal…” sagte Phillip. Ich sah ihn dankbar an. Shanti bedachte ihn mit einem Blick, der eher in die Richtung “böse Verwünschungen” ging.
“Einer unser Teilnehmer… nun, sagen wir mal, er hat ein tiefes Meditationsstadium erreicht.” Shanti hob den Finger. “Das ist überhaupt kein Grund zur Besorgnis, das passiert ausgewählten Geschöpfen, wie mir selbst, öfter mal… Aber meine Gehilfinnen.. nun, sie meinen, dass man sich zusätzlich noch Hilfe aus dem Diesseits holen sollte. Auch wenn ich das für völlig übertrieben halte!”
“Der Typ sagt schon seit einer halben Stunde nichts mehr.” eine Frau war aus dem Nebenraum getreten und kam auf uns zu. Dabei legte sie einen Arm halb um Shantis Schulter. Sie trug einen langen bunten Rock und ein bauchfreies Oberteil, dazu eine undefinierbare Anzahl an Ketten mit Glasperlen. Im Haar trug sie ein buntes Band. Sie war wesentlich hübscher, als ich es Shanti zugetraut hätte. “Vielleicht hätte er das Zeug nicht nehmen sollen.”
“Zeug?” Jetzt war ich alarmiert. “Welches Zeug?” Shanti fühlte sich jetzt sichtlich unwohl und schob den Arm von der jungen Frau von seiner Schulter.
“Ich weiß nicht, was, er hat das selbst mitgebracht.”
“Sicher doch.” sagte Marek spöttisch.
“Ich bin übrigens Indira.” Sie ging zu jedem der drei Jungs und gab ihnen einen Kuss auf die rechte und auf die linke Wange. Mit tätschelte sie lediglich den Kopf. Verblüfft und regungslos standen wir so mit unserer kompletten Notfallausrüstung in diesem kleinen Raum und starrten Indira an. “Jetzt stresst Euch mal nicht so, er atmet ja noch, das habe ich extra überprüft. Obwohl der jetzt nicht so mein Typ ist, aber von solch irdischen Gelüsten haben wir uns eh verabschiedet, nicht wahr, Shanti?”
“Ich praktiziere Tantra, genauer gesagt Maithuna. Deshalb bin ich ja auch erleuchtet.” erklärte Shanti feierlich.
“Was ist das?” fragte Tim.
“Das willst du gar nicht wissen.” sagte ich. “Aber, einfach erklärt, er ist sozusagen impotent.”
“Das ist ja wohl die HÖHE!” rief Shanti entgeistert. “Du hast überhaupt keine Ahnung. Ich bin erleuchtet, ich muss mich nicht in solch niederen physischen Abgründen herumtreiben.”
“Ey, Indira, also, ich praktiziere kein Tantra, oder Maidingsda.” sagte Tim mit einem breitem Grinsen. Phillip schlug sich mit der Hand an den Kopf. Es blieb kein Zweifel, wer in dieser Runde der Feingeist war und wer der Prolet. Dann bewegte sich erneut der Vorhang und eine weitere weibliche Gestalt näherte sich uns. Sie war ähnlich gekleidet wie Indira. Auch sie legte einen Arm um Shantis Schulter. Bei genauerem Hinsehen jedoch traute ich meinen Augen kaum. Es war – Blondie.
“Na, Blondie, machste jetzt auch Tantra?” fragte Tim, noch immer breit grinsend. Ich war zu perplex um etwas zu sagen.
“Anna!” rief sie aus, als sie mich sah. “Hast du noch immer keinen vernünftigen Job gefunden?” fragte sie herablassend.
“Wenigstens praktiziere ich kein Maithuna.” gab ich giftig zurück. “Und ich weiß, wie man es schreibt. Im Gegensatz zu dir, nehme ich an?” Sie verzog spöttisch die Mundwinkel.
“Wo ist eigentlich Paul?” fragte sie, nachdem sie sich suchend umgesehen hatte.
“Ich bin da!” Tim hob die Hand. Blondie lächelte ihn dankbar an.
“Paul, wer ist Paul?” fragte Shanti irritiert.
“ES REICHT JETZT!” rief ich, langsam wütend werden. “Wo ist der Patient? Ich hab langsam genug von dieser Räucherstäbchen-New-Age-Tantra-Geschichte.” Indira zuckte mit den Achseln.
“Da hinten ist er.” Sie ging voran und schob den Vorhang zur Seite. Wir folgten im Gänsemarsch. Ich betrat zuerst den Raum. Etwa sieben Personen saßen im Kreis um eine Klangschale und lächelten verzückt. Sie alle trugen Leinenklamotten. Eine Person lag am Boden, Arme und Beine ausgestreckt, offensichtlich noch lebend, aber den Blick starr an die Decke gerichtet.

Und jetzt ratet mal, wer das war, und was er wohl intus hatte??? Mehr dazu demnächst.


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