Ansichten über Clowns

Und wenn schon! Wen schert es denn, dass er voller Betrübnis, satt an Harm ist? Er sollte seine privaten Mißgeschicke mit Wangenrot und Lippenstift übermalen, unter Camouflage verhehlen, seinen vielleicht familiären Kalamitäten eine Perücke überstreifen. Raus in die Manege, das Publikum hat bezahlt, es hat Anspruch auf Unterhaltung! Zweifelsohne, ihm ist heute nicht nach Clownerie, Sorgen reiben ihn auf, traktieren seine Laune; doch die Zuschauer lechzen nicht nach Schwermut, sie wollen prusten und gackern, wollen sich kugeln - dafür haben sie bezahlt, das macht sie zu Kunden mit Anspruch auf Gaudium. Ein Schelm, der eine bettlägerige Tochter daheim hat oder dessen Ehe zielsicher kollidiert: wer will so einen sehen? Komisch soll er sein, seinem Publikum Lacher bereiten - es wird ihm auch nicht schaden, Lachen ist Medizin; professionell soll er sich verhalten, damit die Gaffer nicht buhen, nich pfeifen oder mit den Sitzkissen werfen. Und so schlurft er geknickt an den Rand des Zirkunsrund, wartet auf die Ankündigung, wartet auf seinen Namen, stürmt unter Beifall ins Getümmel und ist komisch, unbeschreiblich komisch... komischer als üblich! Die Grockmarceaupopows, sie fuhren reiche Lachensernte auch dann ein, wenn sie einen Verwandten an den Tod verloren: Komödie spielen, auch wenn einem nach Tragödie zumute ist - das ist Clownsgeschäft.

Der Zirkus stirbt; immer weniger Zirkusse gibt es. Zu altmodisch ist er, ein teures Metier sowieso - die Menschen dürsten nicht mehr nach Jonglage und artistischem Nervenkitzel: alles schon gesehen, alles altertümlich und antiquarisch. Mit den Zirkussen stirbt die traditionelle Clownerie, dieses arg spaßhafte Fach, das auch traurigen Männer abverlangte, zum Pläsier des Publikums Albernheiten zu verströmen. Service nennte sich das heute. Der klassische Clown stirbt aus - er hat seine fröhliche Maske ins Geschäftsleben verlagert. NichAnsichten über Clownst auf Bühnen, auf denen Faxenmacher unter der Bezeichnung Comedian diese ehrwürdige Branche verhunzen - nein, clowneske Blenden begrüßen uns heute immer dann, wenn Service groß oder drüber geschrieben wird. Und Service ist beinahe alles; selbst der plumpe Handwerker in Latzhosen, der einen reichlich brackig miefenden Siphon austauscht ist heute Bestandteil eines Serviceteams. Er soll aus diesem Grunde lächeln, wenn er im Schlick fremder Leute herumstiert; immer freundlich bleiben, sich stur nichts anmerken lassen - und eigene Sorgen, womöglich der Umstand, dass das Gewühle in der Scheiße anderer Leute nicht mal den Lebensunterhalt sichert, sind tunlichst zu überschminken. Dienstleister sein heißt Clown zu sein, heißt Unmut und Sorgen, Traurigkeit und Verzagtheit mit Make-Up zu übertünchen.

Beinahe möchte man in Coulrophobie verfallen, der krankhaften Angst vor nach Clownsart geschminkten Konterfeis - mit Grüßen und erwiesener Reverenz von Pennywise! Überall grinsen sie, schmunzeln sie, allerorten Freundlichkeit, als wäre über Nacht der Himmel der Werktätigen ausgebrochen. Und damit alle einstimmen in dieses Oratorium glücklich dreinschauender SorgenfAnsichten über Clownsalten, in diese Diktatur des Lächelns und der zuversichtlichen Physiognomie, pflanzen sie in alle Winkel Schulungscenter, in denen man lernt, bedrückte Gesichter zu modellieren, sie zu Lachfratzen zu kneten. Lachseminare bieten sie an! Denkt positiv, lehren sie! Optimismus als Grundkapital einer pessimistischen, einer melancholischen Gesellschaft. Und sind die Nöte noch so groß: noch mehr frohlocken, noch mehr kichern - Dosis erhöhen! Glückshormonausschüttung forcieren! Frust muß heute niemand mehr haben - das heißt, haben kann man ihn schon, aber zeigen sollte man ihn nicht: für ein wohligeres Klima! Für allgemeine Zufriedenheit! Man braucht doch kein Soma, keine chemischen Glückssurrogate mehr, wenn man die Menschen zur gut sichtbaren Freude diktieren, sie in eine clowneske Tyrannei drängen kann?


Die Clownerie ist Staatsräson, die Harlekinade willkommener Konsens. Der traurige, der gramgebeugte Mensch, er ist nicht aus der Geschichte ausgebürgert - man setzt ihm nur die Clownsnase auf. Seine Menschlichkeit, seine Schwäche, seine Ängste zu überschminken, das läppert Profit - und es macht zuversichtlich. Denn wo gelächelt wird, da waltet schließlich das Glück, die Erfüllung und Zufriedenheit. Die freundliche Dame an der Kasse des Discounters, einen Anstecker auf ihrem Busen, auf dem zu lesen ist, sie sei gerne freundlich, diese Dame lächelt clownesk: sie muß geradezu selig sein in ihrer geringfügigen Beschäftigung. Oder die Pflegekraft, wie freundlich sie trotz krummen Buckel und krummer Bezahlung doch ist: Glück ist halt doch keine Frage des Geldes oder der Gesundheit! Sie lächeln alle mehr oder minder, die prekären Clowns wie die bessergestellten, die Clowns mit Verantwortung wie die ohne. Mit der Professionalität eines Unterhaltungskünstlers wird die eigene Befindlichkeit unterdrückt, selbst die größte Sauerei angelächelt. Nimmt es da wunder, wenn Depressionen und chronische Melancholien zunehmen?

Nörgelige, wenigstens aber doch neutrale, weder grinsende noch wütende Kassenkräfte: das wären Aushängeschilder einer gesünderen Gesellschaft! Leiharbeiter, die nicht dankbar lächelnd jeden Leibeigenendienst stemmen, die stattdessen verärgert dreinschauen: das wirkte gesund! Klempner, die Siphone vom Morast befreien, dabei aber angeekelt statt dienstleisterisch fröhlich blickend: was für eine rüstige Branche das doch wäre! Der unaufhörliche Freundlichkeitswahn, diese dienstleisterische Attitüde, die in alle Nischen vordringt, er unterjocht das innere Befinden der Maskierten; er macht klar, dass die eigene Verfassung hinter der Fassade zurückzustehen habe. Komm Clown, in den Ring mit dir, das Publikum bezahlt uns; der Kunde, der früher mal König war, der jetzt Gott ist - Könige kann man enthaupten, Götter nicht! -, er hat einen Anspruch auf hochgezogene Mundwinkel. Verbirg beim Auftritt deine Sorgen...


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