Alle Räder stehen still, wenn euer starker Arm das will!

Aus aktuellem Anlass mal ein paar Gedanken über Gewerkschaften. Zum Beispiel bei der Bahn. Da gibt es unter anderen die GDL. Die Gewerkschaft der Lokführer kennt man, spätestens seit sie im November 2007 den Zugverkehr mal eben für drei Tage komplett still gelegt hat. Das war ein Arbeitskampf aus dem Bilderbuch: Alle Räder stehen still, wenn euer starker Arm das will!

Jetzt haut die GDL wieder auf den Tisch. Dieses Mal wird sie wohl auf weniger Verständnis stoßen, zu genervt sind die Bahnfahrer von der Dauerkrise der Deutschen Bahn, die sich inzwischen ständig auch ohne Streik ganz von alleine lahm legt. Noch genervter die Berliner Bahnkunden, die auf die inzwischen ganz offiziell völlig marode S-Bahn angewiesen sind. Hier schaut man mal nicht mehr auf die Uhr, sondern ist froh, wenn überhaupt noch was fährt. So geht es zu in der hippsten der deutschen Metropolen, so geht es zu im modernen Kapitalismus. Das ist die neue Mobilität.

Und genervt sind auch so viele andere Menschen, die zu immer schlechteren Bedingungen immer mehr arbeiten sollen. Trotz einer Menge von Gewerkschaften, die doch eigentlich dafür da sein wollten, für die Interessen ihrer Mitglieder und überhaupt aller Betroffenen zu kämpfen. Aber was ist in deren Interesse? Dass es der Wirtschaft gut geht! (Und nebenbei auch, das Arbeitnehmer pünktlich zur Arbeit kommen, wenn sie denn noch eine haben. Derzeit gar nicht so einfach, mit der kaputten oder streikenden Bahn) Das hört man nicht nur immer und immer wieder von Arbeitgeberverbänden und der FDP, sondern auch von Gewerkschaftsführern. Und der Wirtschaft geht es gut, wenn die Löhne niedrig und die Unternehmensgewinne hoch sind. Das haben auch die Gewerkschaftsführer längst kapiert. Sogar ein FDP-Mann wie Brüderle lobte sie kürzlich dafür.

Somit sind die Gewerkschaften Teil des Problems geworden und nicht die Lösung. Zum Teil werden Gewerkschaften speziell dafür gegründet, um geltende Tarifverträge zu unterlaufen, wie die Christliche Gewerkschaft – genau, die Christen wieder, gegen Gott kann man bekanntlich nicht streiken. Immerhin hat diese „Gewerkschaft“ mittlerweile ihren Status als Arbeitnehmervertretung verdient verloren. Die deutsche Justiz hat dieser Farce doch tatsächlich Einhalt geboten.

Aber auch wenn die engagierteren unter den Gewerkschaften den Arbeitgebern gelegentlich ein paar Prozente mehr Lohn abtrotzen – wie es die Lokführer ab Montag wieder tun wollen, und dabei bemerkenswerterweise auch einen Flächentarifvertrag durchsetzen wollen, so dass ein einheitliches Lohnniveau für die Lokführer erreicht wird und die Konkurrenz der Unternehmen nicht über Billiglöhne statt findet – oder in anderen Fällen Gewerkschaften eher halbherzig um eine überfällige Lohnerhöhung bitten, so tun sie das in der Regel mit dem Hinweis, dass es doch auch für die Arbeitgeber von Vorteil ist, nicht nur besser bezahlte, sondern dadurch auch motiviertere, produktivere Mitarbeiter zu haben, mit deren Arbeit sie dann ein umso besseres Geschäft machen können. Puh, das war ein langer Satz. Aber es geht ja auch um komplexe Zusammenhänge.

Gewerkschaften als Dienstleister am Kapital

Denn wenn sich die Gewerkschaften letztlich als Dienstleister für die reibungslose Abwicklung von immer produktiverer Arbeit am Standort Deutschland aufführen, dann finde ich das bedenklich. Das ist genau das Problem, das ich mit allen Gewerkschaften habe, die es derzeit in Deutschland gibt. Sie mögen zum Teil tatsächlich noch Vertreter von Arbeitnehmerinteressen sein, mehr Lohn, Flächentarifverträge, weniger Überstunden und so weiter, wer will als Arbeitnehmer schon etwas dagegen haben.

Aber sämtliche Gewerkschaften sehen in ihren Mitgliedern eben genau das: Arbeitnehmer. Also Leute, die für andere arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und diesen Status wollen sie ihnen so angehm wie möglich gestalten. Das geht okay, wenn man davon ausgeht, dass es gar nichts anderes auf dieser Welt geben könne als ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis, also ein Verhältnis zwischen Ausgebeuteten und Aubeutern, zwischen Beherrschten und Herrschern. Die Gewerkschaften geben den Hofnarren, der den Herrscher bei Laune halten soll.

Und das machen sie mittlerweile sehr professionell und erfolgreich, während die Interessenvertretung ihrer eigentlichen Klientel nicht ganz so erfolgreich ist. Wie auch. Es handelt sich nämlich nicht um Verhandlungspartner auf Augenhöhe, wie immer wieder suggeriert wird, sondern um ein Abhängigenverhältnis. Der Arbeitnehmer ist darauf angewiesen, einen Arbeitgeber zu finden, damit er nicht auf Wasser und Brot gesetzt wird, worauf Hartz-IV hinausläuft.

Der Arbeitgeber dagegen kann sich auf dem Weltmarkt billige Arbeitskraft besorgen, so viel er für sein Geschäft braucht. Okay, fertig ausgebildete Lokführer gibt’s auf dem Weltmarkt wohl gerade nicht. Aber sonst gilt, auch wenn die deutschen Arbeitnehmer das nicht gern hören, dass sie nicht nur mit Italienern, Griechen und Türken konkurrieren, sondern inzwischen durchaus mit Indern und Chinesen. Deshalb wird es gerade im inzwischen europaweit führenden deutschen Niedriglohnsektor so ungemütlich. Wo bleibt da eine schlagkräftige Gewerkschaft für schlecht bezahlte Wachschutzleute, für Friseurinnen, Gebäudereiniger, Köche, Kellner, Kinderbetreuerinnen, Altenpflegerinnen uns so weiter, all diese Berufe, bei denen es Tarifverträge gibt, die einen Stundenlohn von weniger als 10 Euro pro Stunde vorsehen. Und auch bei 10 Euro pro Stunde hat man mit einem Vollzeitjob keineswegs ein Luxusleben.

Klar, die Welt ist, wie ist ist. Und natürlich ist eine schlagkräftige und kampfbereite Gewerkschaft derzeit besser als gar keine und ein ordentlicher Flächentarifvertrag mit einem ordentlichen Stundenlohn und so weiter besser als Niedriglohndumping. Aber noch besser wäre es doch, wenn die Leute nicht mehr für den Profit ihres Arbeitgebers arbeiten müssten, sondern für ihre eigene Versorgung mit allem, wonach ihnen so ist.

Ja, es gab mal Gewerkschaften, die kapiert haben, dass es einen Gegensatz zwischen Arbeit“nehmer“ und Arbeit“geber“ gibt, weil sich die einen an der Arbeit der anderen bereichern. Die sich entsprechend als Instrument für den Klassenkampf verstanden haben. Es gab mal Gewerkschaften, die ihre Leute kommunistisch geschult haben, die ihnen klar gemacht haben, in welcher Welt sie leben, und dass sie für ihre Interessen kämpfen müssen. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Auch in Deutschland gab es mal eine starke Arbeiterbewegung, noch 1930 war die SPD stärkste Kraft vor der NSDAP und die KPD lag deutlich vor dem konservativem Zentrum. Zwei Jahre später lag zwar die NSDAP vorn, SPD und KPD hatten zusammen aber noch ein Drittel der Stimmen. Und viele ihrer Wähler waren in Gewerkschaften organisiert. Die Nazis haben nach ihrer Machtübernahme aber alles daran gesetzt, die starke Linke und die Gewerkschaften zu zerschlagen. Den Kapitalisten hats gefallen, die haben glänzende Geschäfte mit dem Krieg gemacht. Und nach dem verlorenem Krieg haben die Alliierten den Rest besorgt, um den Weg in den totalen Kapitalismus zu ebnen. (Dazu gibt es übrigens ein interessantes Buch von Ute Schmidt und Tilman Fichter: „Der erzwungene Kapitalismus. Klassenkämpfe in den Westzonen 1945-48″, 1971, Wagenbach Berlin)

Aber diese Zeiten sind sowas von vorbei.



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