Wie misst man Glück?

Lange Zeit wollte man glauben, dass mehr Wachstum automatisch zu mehr Wohlstand und Fortschritt führen müsse. Deshalb setzte man als Indikator für das Wachstum und den Wohlstand in einer Gesellschaft das Bruttoinlandsprodukts (BIP) ein. Das BIP gibt den Gesamtwert aller Güter an, (darunter fallen sowohl Waren als auch Dienstleistungen), die innerhalb eines Jahres innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft hergestellt bzw. verbraucht wurden. Je mehr ein Volk zu verbrauchen hat, desto besser müsste es ihm gehen, das ist jedenfalls die Theorie.

Nun zeichnet sich aber ab, dass das keineswegs zutrifft. Nur weil viel produziert und verbraucht wird, schnellt das Lebensglück nicht in die Höhe – denn der ganze Kram muss ja produziert werden, was Zeit und Energie verbraucht. Und am Ende ist nicht gesagt, dass alle davon profitieren. Außerdem ist ein rasanter Wirtschaftswachstum auch mit durchaus unangenehmen Folgen verbunden, direkt erfahrbar als Lärm, Dreck und Stress. Also Faktoren, die die Lebensqualität mindern und nicht steigern.

Nun ist es ja keineswegs so, dass ich etwas gegen einen gesunden Materialismus hätte. Der Mensch muss essen, und am besten möglichst gut, und lieber auch was Gutes trinken. Eine schöne Wohnung in einer angenehmen Umgebung steigert die Lebensqualität ungemein, und auch, wenn sich mit schönen Dingen für den täglichen Gebrauch umgeben kann. Und klar, man braucht auch bequeme, warme Kleidung für den Winter hat und natürlich schöne Sommersachen, in denen man sich wohl fühlt. Warum nicht Leinen und Seide, wobei ich auch nichts gegen moderne Kunstfasern habe, wenn sie angenehm zu tragen sind und lange halten.

Und was ist gegen ein solides Tafelbesteck einzuwenden, was man von Generation zu Generation vererben kann? Hier schimmert schon durch, dass ein vernünftiger Materialismus nicht unbedingt mit einem Wachstum um jeden Preis korrespondiert. Lieber solide, gute Sachen, die ein Leben lang halten, statt Wegwerfware, die zwar das BIP steigert, aber nicht das Lebensgefühl. Im Gegenteil, der ganze Müll, der auf diese Weise produziert wird, macht die Welt hässlicher und ungesünder. Und obwohl das seit Jahrzehnten bekannt ist, wurde verbissen am BIP als Indikator für Glück und Wohlstand der Nationen fest gehalten. Auch die Vernichtung von Umwelt zugunsten von Straßen, neuen Industriegebieten und so weiter wirkt sich positiv auf das BIP aus, obwohl die Lebensqualität der betroffenen Menschen dadurch sinkt.

Seit Anfang des Jahres gibt es immerhin einen offiziellen Versuch, das zu ändern: Es wurde die Enquete-Kommission  “Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität” eingerichtet. Das heißt zwar für das tägliche Leben noch gar nichts – es gibt ja eine illustre Reihe von Enquete-Kommissionen, ohne dass das praktische Leben dadurch irgendeine Veränderung erführe, aber immerhin, es gibt immerhin eine Wahrnehmung dafür, dass es ein Problem gibt. Das neue Gremium soll laut Aufgabenstellung des Bundestages das bislang total ökonomisch ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen um ökologische, soziale oder kulturelle Kriterien ergänzen. Die Frage ist, was dabei konkret rauskommt. So wie man die Regierung kennt, wird es nicht allzuviel sein. Aber heutzutage ist man über jede Regung froh, die andeutet, dass es da oben auch intelligentes Leben geben könnte.

Der Ausschuss ist gut bestückt, er hat 34 Mitglieder, 17 Bundestagsabgeordnete und 17 Wissenschaftler. Diese sollen Kriterien für das BIP weiterentwickeln und ergänzen und einen, wie die Vorsitzende, Daniela Kolbe (SPD-Bundestagsabgeordnete aus Leipzig, Diplom-Physikerin, 30 Jahre) sagt, “neuen Indikator für gesellschaftlichen Fortschritt” erarbeiten.

Ziel ist, dass in die Messung des Wohlstands nun auch die Verteilung des Reichtums, der allgemeine Lebensstandard oder das Bildungsniveau einbezogen werden sollen. Spannend wird, wie (und ob) die negativen Folgen des Klimawandels oder der Verknappung von Ressourcen einbezogen werden. Auch die Arbeitsqualität, die Lebenserwartung, Bildungschancen und sozialen Sicherheit sollen eine Rolle spielen – und, das finde ich besonders spannend, die subjektive Zufriedenheit der Menschen. Hier laufen die Kritiker schon zu Hochform auf, weil Zufriedenheit in der Bevölkerung sehr unterschiedlich wahrgenommen und definiert werde und somit kaum messbar sei. Wobei ich persönlich ja eher davon ausgehe, dass sich der Durchschnittsmensch seine persönliche Situation lieber schönredet, als nüchtern zu analysieren, dass er ziemlich beschissen dran ist. Insofern müssen sich die Enquetemitglieder keine ernsthaften Sorgen machen – wer gibt schon zu, dass es ihm nicht eigentlich doch irgendwie gut geht?

Insofern ist nicht zu befürchten, dass es mit dem reformierten Fortschritts-Indikator im Volkswohlbefinden künftig noch stärker bergab geht, als Politik und Wirtschaft dass auch nach den bisherigen Kriterien hinkriegen. Zu einer wirklich neuen Politik, zu einem fairen sozialen Ausgleich, zu mehr und besseren kulturellen Angeboten, zu weniger Arbeit und weniger Stress, mehr ökologischer Nachhaltigkeit, kurz zu mehr Zufriedenheit und Glück, werden die Ergebnisse sicherlich nicht führen. Vermutlich nicht mal zu der breiten gesellschaftlichen Diskussion, die Daniela Kolbe sich als Ergebnis ihrer Arbeit wünscht.



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