Es ist aufschlussreich zu verfolgen, wie sich in Beyers Texten langsam das Theoretische auflöst und etwas immer mehr Raum gewinnt, das sich nur aus dem Schreiben ergeben kann. Auf dem Umweg über die zwar abgeschlossene, in ihren atmosphärischen Umrissen aber noch zu erahnende Zeitgeschichte, die Welt der Väter und Großväter, entsteht ein Bewusstsein für die eigene Position: Die Romane Flughunde und Spione markieren einen bestimmten Weg. Die Nazizeit, die jüngste deutsche Geschichte ist für Beyer eine ästhetisch hoch aufgeladene Projektionsfläche. In “Erdkunde” sind nun Vergangenheit und Gegenwart gegenseitig so durchdrungen, dass sich die Kategorien von Zeit und Raum auf ungeahnte Weise verlieren. Marcel Beyer ist bei den Dingen selbst angelangt, und er hat dafür eine Sprache gefunden, die sich zunächst bedeckt hält, die sich vorsichtig herantastet, aber unwillkürlich ins Offene gerät. Die Rolle, die in der deutschen Lyrik lange die Natur eingenommen hat, wird jetzt langsam durch die Geschichte ersetzt: Marcel Beyers Erdkunde ist ein wichtiger Wegweiser dafür. / Helmut Böttiger, Südwestpresse
“Lyrik erleben”
Lyrikabend mit Marcel Beyer, Sabine Scho und Katharina Schultens, von Insa Wilke (Kölner Literaturhaus) moderiert
Mittwoch, 9. Mai, 19.30 Uhr, Deutschordensmuseum. Bad Mergentheim
Die drei Autoren lesen nicht nur aus eigenen Werken, sondern präsentieren auch Gedichte, von denen sie geprägt und beeinflusst wurden.