41. Stück: “The Walking Dead” als Spiegel der Gesellschaft

Nach LostDexter und Breaking Bad möchte ich mich nun einer weiteren – wie ich finde genialen – US-Fernsehserie widmen. Heute geht es um die Zombie-Apokalypsen-Serie The Walking Dead. Inzwischen habe ich sie bis zum Ende der dritten Staffel geschaut, also kann es sein, dass ich ein paar Dinge verrate. In diesem Fall werde ich ein (Spoiler!) davorsetzen, damit niemandem die Spannung verdorben wird. Was mich an der Serie jedoch von Anfang an interessiert, ist, inwiefern die Geschichte sich als Spiegel der Gesellschaft lesen lässt.

Die “Was wäre wenn …”-Prämisse der Geschichte und der erzählten Welt schildert, wie Menschen sich in der extremsten aller Extremsituationen verhalten könnten, wenn nämlich von einem Tag auf den anderen die ganze Zivilisation zusammenbricht. Der amerikanische Drehbuchautor Robert McKee betont in seinem Werk Story, dass Figuren ihren wahren Charakter erst in Extremsituationen offenbaren, wenn sie sozusagen keine Möglichkeit mehr haben, ihn zu verstecken. Das heißt, so wie die Figuren sich in einer Extremsituation verhalten, sind sie wirklich. Extremsituationen sind hierbei immer solche, die das Leben bedrohen und wenn die für das Leben notwendigen Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen, Atmen) in Gefahr oder nicht unmittelbar verfügbar sind. In Lost gab es auch eine solche existentiell bedrohliche Extremsituation, die die Möglichkeit geboten hätte, mal grundsätzliche Gesellschaftsmodelle unter dem Deckmantel einer fiktionalen Geschichte zu analysieren und zu hinterfragen. Aber dann mussten sie ja unbedingt diesen Esoterik-Quatsch mit hinein nehmen und alles kaputt machen. Ja, ich bin nachtragend, ich weiß. Trotzdem, wie kann man nur so eine vielversprechende Ausgangssituation nicht dramaturgisch nutzen? Jedenfalls, so wie es bislang aussieht, gelingt genau das den The Walking Dead-Machern hervorragend. Frei nach Brechts “Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral” werden in dieser dramaturgischen Versuchsanordnung die unterschiedlichsten Figuren zusammen in eine Extremsituation geworfen und daraus entwickelt sich die Handlung. Da hätte sich bestimmt auch Jakob Michael Reinhold Lenz gefreut – den seinerzeit im Sturm und Drang keiner ernst nehmen wollte, Goethe schon mal gar nicht – dass seine Idee von echten Charakteren, die die Handlung nicht nur voran treiben, sondern gleichzeitig Spielbälle der Umstände sind, nun auch in amerikanische Fernsehserien Eingang gefunden hat.

Zur Ausgangssituation: Der Polizist Rick Grimes, der mit seiner Frau Lori und seinem Sohn Carl in einer amerikanischen Kleinstadt lebt, wird angeschossen und fällt ins Koma. Als er einige Wochen später aufwacht, ist das Krankenhaus nicht nur wie ausgestorben, sondern auch noch voller Zombies. Er schafft es, zu entkommen und wird auf der Suche nach seiner Familie beinahe von den Untoten erwischt. Im letzten Moment rettet ihm ein Nachbar das Leben und erklärt ihm die Situation: Plötzlich waren die ersten Zombies erschienen, die anfingen, die Menschen zu beißen und ebenfalls in Zombies zu verwandeln. Die meisten Bewohner, die noch leben, sind aus der Stadt geflohen, so auch Ricks Familie. Er bewaffnet sich und macht sich auf die Suche nach ihnen. Dabei stellt er fest, dass nicht nur in der Kleinstadt, sondern offenbar überall die Zombies Oberhand gewonnen haben. Es gibt keinen Strom mehr, kein Fernsehen, kein Radio, es werden keine Zeitungen mehr gedruckt, Internet gibt es auch nicht mehr, Handy-Empfang kann man vergessen, fließendes Wasser ebenfalls. Kurz: Die Welt ist zurückgeworfen in einen Zustand während der Steinzeit, nur dass die Menschen dies nicht mehr gewöhnt sind. Extremer und lebensbedrohlicher kann eine Situation nicht sein. Und hier zeigt sich dann natürlich, wer es schafft, sich an die neuen Umstände anzupassen und wer nicht. Und vor allem, auf welche Art und Weise.

Wenn die Welt von Zombies überrannt wurde, gibt es mehrere Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Erstens, man wird gebissen und selbst zum Zombie. Das würde beispielsweise mir passieren, und zwar zwei Sekunden nachdem die Zombieapokalypse ausgebrochen ist. Da wir aber bei The Walking Dead nicht bei “So isses” sind, sondern bei “Wünsch dir was”, und eine fiktionale Geschichte, in der alle Figuren gleich sterben ziemlich langweilig wäre, gehören die Hauptfiguren der Serie nicht zu dieser ersten Kategorie von möglichen Reaktionen auf eine Zombieseuche. Nun also angenommen, man überlebt erst einmal, dann gibt es zweitens die Möglichkeit, anderen zu helfen. Drittens gibt es die Möglichkeit, nach dem Motto “Nach mir die Sintflut” zu handeln, und sein eigenes Süppchen zu kochen und von den anderen Überlebenden erst einmal abzukapseln. So wie (Spoiler!) Michonne, die am Ende der zweiten Staffel erstmals in Erscheinung tritt. Sie hat sich an die neuen Umstände perfekt angepasst, hat herausgefunden, wie sie sich die “Beißer” (Zombies) vom Hals halten kann und das geht auch so lange gut, wie sie für sich allein sorgen muss. Probleme bekommt sie erst, als sie wieder anfängt, Menschen ins Herz zu schließen. (Spoiler Ende!) Viertens kann man durchdrehen und den Verstand verlieren, so wie das (Spoiler!) Ricks bestem Freund Shane passiert, was ihn dann ja nachher auch das Leben kostet und auch Rick selbst droht in der dritten Staffel wahnsinnig zu werden. (Spoiler Ende!) Fünftens kann man die Situation ausnutzen, um seinen schon lange gehegten Machtkomplex auszuleben, sofern man zu den wenigen gehört, die noch über ein paar übrig gebliebene Ressourcen verfügen. (Spoiler!) Diese Reaktionsmöglichkeit wird am besten von dem Governor verkörpert, der immer mehr Spaß daran findet, andere zu quälen, zu foltern, zu manipulieren oder sogar zu töten, damit er seinen Größenwahn und Gottkomplex voll entfalten kann. Da bin ich nun echt gespannt, wie das in der vierten Staffel mit ihm noch weitergeht. Leider muss ich mich da jetzt noch ein halbes Jahr gedulden. (Spoiler Ende!)

Was ich auch interessant finde, ist, wie sich hier verschiedene politische Konzepte einander gegenüber stehen. Denn mit dem Zusammenbruch der Zivilisation sind auch sämtliche Strukturen zerbrochen, die Welt ist in einen chaotischen, rohen, ursprünglichen Zustand zurückgeworfen worden und nun muss die übrig gebliebene Gesellschaft nicht nur ihre Werte neu definieren, sondern sich auch neu organisieren, um zu überleben. (Spoiler!) Am Anfang wird Rick zum Anführer seiner kleinen Truppe aus Atlanta und von der Farm gekürt. Wobei er nicht wirklich gewählt wird, aber es verlassen sich alle auf ihn und sind froh, dass sie jemanden haben, an dem sie sich orientieren können. Er merkt dann jedoch, dass er auch nicht mehr Ahnung hat als die anderen, wie man sich am besten in der Extremsituation verhält, sodass er beschließt, aus dieser Alleinherrschaft eine Art Demokratie zu machen, in der jedes einzelne Mitglied der Gruppe das gleiche Mitspracherecht hat, wie alle anderen. Mal sehen, ob das funktioniert, auch das erfahren wir leider erst in der vierten Staffel. Spannend ist in dem Zusammenhang auch die Rolle von Ricks Sohn Carl. Der ist nämlich mit dem Kuschelkurs seines Vaters gar nicht einverstanden und wirft ihm vor, Menschen seien gestorben, weil er “bösen” Menschen vertraut hat und sie hat laufen lassen. Den Fehler will er nicht begehen und nimmt somit keine Gefangenen. Er bringt sogar einen Jungen aus der Gruppe des Governors um, der sich gerade ergeben wollte. Hier findet sich die Idee des Kindersoldaten in der Figur wieder, denn der Kleine reagiert auf die Verrohung der Welt mit eigener Verrohung und der Vater muss dabei zusehen, wie er seinem Kind gegenüber in Erklärungsnot gerät und seine Moralvorstellungen plötzlich nicht mehr ausreichen.
Auf Seiten des Governors findet sich der Gegenentwurf zu Ricks kleiner Demokratie. Hier hat sich ein gemeingefährlicher Psychopath an die Spitze einer Stadt gestellt und das politische Modell einer Autokratie oder einer Diktatur etabliert. Zunächst sind die Menschen froh, in Sicherheit zu sein, genug zu Essen, zu Trinken, zum Wohnen, Schlafen und Duschen zu haben. Der Governor organisiert sogar regelmäßig Gladiatorenspiele mit den Zombies als wilde Tiere, um seinVolk bei Laune zu halten. Das funktioniert auch prima und so genau interessiert es auch niemanden, dass der Kerl größenwahnsinnig, kaltblütig und skrupellos geworden ist. Erst, als es offensichtlich wird, dass er auch seine eigenen Leute foltert und grundlos tötet, dämmert es ihnen allmählich. (Spoiler Ende!)

Das ist immer das Spannende an fiktionalen Geschichten, erst recht, wenn noch fantastische Elemente mit hineinkommen, die den fiktionalen Charakter noch stärker betonen. Dann können unter dem Deckmantel des “ist doch alles nur ausgedacht” grundsätzliche menschliche und gesellschaftspolitische Themen zur Debatte gestellt werden. Gute Science-Fiction-Geschichten funktionieren nach dem gleichen Prinzip.

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