Es ist Februar in Deutschland. Das Ende des Winters ist schon beinahe in Sicht. Die Tage werden länger, erste Frühblüher strecken vorsichtig die Köpfe aus der Erde. Seit kurzem findet man ganz ungewöhnliche Gewächse im Land:
Bäume, die Socken anstelle Blätter tragen!
Der Sockenbaum wurde in 38 deutschen Städten gesichtet – Eine Protestaktion angeregt von Rene Neumann aus Berlin – Foto: © Heidi Langer / politropolis.de
Nein, keine Angst. Es handelt sich nicht um genmanipulierte Pflanzen mit chronisch kalten Wurzeln. Es sind die guten alten Eichen, Buchen, Linden und Birken, die man dieser Tage vielerorts an öffentlichen Plätzen in ungewöhnlicher Gewandung zu sehen bekommt. Bisher wurden derartige Sichtungen aus 38 verschiedenen Städten gemeldet. Und es werden mehr.
Schuld daran ist Rene Neumann aus Berlin, ein hart arbeitender Gastwirt und Familienvater, nach dessen Überzeugung die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland “schlimmer zum Himmel stinkt, als jede noch so übel müffelnde Socke”. Und weil Herr Neumann ein kreativer Mensch ist und sich seinen Mitbürgern gegenüber verantwortlich fühlt, rief er die Aktion „Socke am Baum – Gegen kleine und große Ungerechtigkeiten im Land“ ins Leben. Eine Facebook-Gruppe wurde gegründet, sowie ein Forum mit dem Namen “Soziales Netzwerk“.
Ziel seiner ungewöhnlichen und innovativen Aktion ist – wie ihr Name schon sagt – auf die sozialen Missstände in Deutschland aufmerksam zu machen. Dabei soll die Socke den löchrigen, immer leerer werdenden Sparstrumpf der Bürger unseres Landes symbolisieren. Und zwar aller Bürger, unabhängig von Herkunft, Religion, Parteizugehörigkeit und Gesinnung. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand. Denn, so glaubt nicht nur Herr Neumann, diese Probleme in unserem Land betreffen uns alle. Und nur gemeinsam können wir sie lösen.
Die Liste dieser Missstände, die er auf seinen Flyern anprangert, ist lang. Sie umfasst das geltende Steuerrecht, ebenso wie Missstände in der Pflege, Alters- und Kinderarmut, die Ungerechtigkeiten bei den Themen Migration, Hartz 4 und Leiharbeit und beinhaltet nicht zuletzt die Existenzängste, unter denen immer mehr unserer Mitbürgern leiden. Und sie ist beliebig erweiterbar.
Die schlimmsten Probleme unseres Landes sieht Herr Neumann als Selbstständiger und Vater einer kleinen Tochter in der Steuerverschwendung bzw. der Ungleichbehandlung von Großkonzernen und Mittelstand bezüglich der Abgaben- und Subventionshöhe, dem Umwelt- und Klimaschutz, der nicht immer gegebenen Umsetzung des Grundgesetzes ohne Rücksicht auf Herkunft und gesellschaftliche Stellung, den Schwächen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem und nicht zuletzt der Bürokratie, welche viele Bürger nur noch verwirrt, statt ihnen zu helfen.
Und natürlich darin, dass der Bürger als solcher viel zu wenig und nur indirekt Einfluss darauf nehmen kann, was in seinem Namen beschlossen und umgesetzt wird.
Herr Neumann gehört keiner Partei und keiner Religion an. Und er will mit seinen Socken auch keine Parteipolitik machen, denn, so argumentiert er, schließlich würden er und die Menschen um ihn herum tagtäglich von der Politik im Stich gelassen. Sich vor den Karren bestimmter Ideologien spannen zu lassen lehnt er ebenfalls ab. Er will helfen. Er will die Menschen zusammenführen, Knotenpunkte schaffen, „Begegnungskreuzungen“, wie er es nennt. Er will die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Probleme im Land lenken und auf friedlicher und freiwilliger Basis etwas gegen diese Probleme tun.
Mit seiner ungewöhnlichen Aktion hat er schon beachtliches erreicht. Mittlerweile ist die Zahl der Städte mit Sockenbäumen auf stolze 38 angewachsen – nicht übel, wenn man bedenkt, dass der Startschuss erst am 1. Februar dieses Jahres fiel und Herrn Neumann lediglich seine Entschlossenheit samt seines Computer zur Verfügung standen, um sein Vorhaben zu planen und auf den Weg zu bringen. Und immer mehr Menschen bekunden ihr Interesse und beteiligen sich. Weil die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit abholt und sie sich angesprochen fühlen. Und sie beteiligen sich, weil sie endlich etwas Gehör finden wollen. Die Aktion ist friedlich, freiwillig und vor allem gewaltfrei.
“Socke am Baum” Eine bundesweite Aktion, die gerade bis zum 1. Mai 2014 verlängert wurde. – Grafik: © Rene Neumann
Für die Zukunft der „Sockenbäume“ hat Herr Neumann ehrgeizige Pläne. Die Gründung einer Stiftung beispielsweise, in der sich Menschen unabhängig von politischen Überzeugungen, Religion und Herkunft treffen und Projekte unterstützen können, die ihnen wichtig sind. Er will Zusammenhalt und Aktionsbereitschaft schaffen in einem Land und zu einer Zeit, wo gerade diese Dinge immer mehr ins Hintertreffen geraten, eine neutrale unabhängige Plattform für alle Menschen bereitstellen und ihnen so die Möglichkeit bieten, sich auf ihre Gemeinsamkeiten zu besinnen und Lösungen zu entwickeln für Probleme, die viele von ihnen gleichermaßen betreffen. Und er will ihnen dabei helfen, mehr Verantwortung sich selbst, ihren Mitmenschen und dem Land gegenüber zu übernehmen. Denn wenn man seine Meinung nicht ausspricht, wird auch niemand sie hören. Und wenn man sich und seine Interessen nicht selbst vertritt, wird es auch niemand anders tun.
Auch meine Socke hängt am Baum. Denn auch ich gehöre zur Bevölkerung dieses Landes, auch ich rege mich über die Missstände auf, auch ich will, dass sich etwas ändert. Und das erreiche ich nicht, indem ich brav vor dem Fernseher sitze und mir das Dschungelcamp ansehe. Ich erreiche es auch nicht, indem ich mich abends bei einer Flasche Bier gemeinsam mit meinem Nachbarn darüber aufrege. Solange ich meinen Unmut über die Probleme und Missstände nicht aus dem stillen Kämmerlein in die Öffentlichkeit trage, werde ich nichts bewirken.
Wenn ich mich nicht selbst bewege, bewege ich auch nichts.
Ein Beitrag von Heidi Langer
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Fotos und Grafik: © Heidi Langer und Rene Neumann
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