37. Meine Anthologie: Beim letzten Verse stech ich

Ballade, welche das Duell betrifft, das Herr von Bergerac ausfocht mit einem Wicht  

Abseits werf ich meinen Filz
und, damit ich Luft mir schaffe,
auch den Mantel; denn nun gilt’s!
Rüstiger als ein Schlaraffe
greif ich meine blanke Waffe,
und zu meinem Gegner sprech ich:
Sieh dich vor, geputzter Affe!
Denn beim letzten Verse stech ich.

In Ermanglung edlern Wilds
wünsch ich, daß ein Stich dir klaffe
in der Leber oder Milz.
Schau, mein Arm, der kräftig straffe,
strebt nun, daß er dich erraffe.
Mein verhöhntes Antlitz räch ich,
daß es keiner mehr begaffe;
denn beim letzten Verse stech ich.
Wirst du grünlich wie ein Pilz?
Gleich der zitterndern Giraffe?
Muster eines Jammerbilds!
Zeigst du, daß dein Mut erschlaffe,
eh’ mein Pulver ich verpaffe?
Heut dein warmes Herzblut zech ich
aus kristallener Karaffe;
denn beim letzten Verse stech ich.
Beichte schnell! Wo ist ein Pfaffe?
Deinen Widerstand zerbrech ich:
Finte! Quart! Da hast du’s Laffe!
Denn beim letztenVerse stech ich.

 

Aus dem Versdrama „Cyrano de Bergerac“ (1897) von Edmond Rostand.

Die Passage unmittelbar vor der „Ballade“ ist ebenfalls interessant. Aus ihr könnten deutsche Lehrer (oder Germanisten) lernen, daß ein Franzose auf die Frage, was eine Ballade ist, etwas anders antworten wird. Ganz korrekt sagt Wikipedia:

In der deutschen Literatur ab dem späten 18. Jahrhundert versteht man unter „Ballade“ ein mehrstrophiges erzählendes Gedicht, das häufig mittelalterlich-märchenhafte, aber auch antike oder zeitgenössisch-rezente Stoffe aufgreift und sich oft durch die Hinführung der Handlung zu einem pointierten Schluss auszeichnet.

Oder sagen wir fast ganz korrekt; denn in der deutschen Literatur gibt es spätestens seit Brecht eine auf die französische Tradition zurückgehende Ballade, die sich vielleicht der Villonrezeption um 1900 verdankt. Hier steht nicht das „Urei“ (so Goethes berühmte Definition) und nicht das Erzählende im Vordergrund, sondern die Versform, die Rostand seinen Bergerac so erzählen läßt:

Valvert. 
Was soll das?

Cyrano. 
Äh, mir kribbelt’s in der Klinge.

Valvert 
(ziehend). 
Gut!

Cyrano. 
Kunstgerecht werd ich Sie nun bedienen.

Valvert 
(verächtlich). 
Poet!

Cyrano. 
Jawohl, Poet   in solchem Grade, 
Daß ich beim Fechten aus dem Stegreif Ihnen 
Eine Ballade dichten will.

Valvert. 
Ballade?

Cyrano. 
Sie denken wohl: Was ist das für ein Tier?

Valvert. 
Ich …

Cyrano 
(schulmäßig hersagend). 
Die Ballade hat drei Strophen von acht Zeilen …

Valvert 
(stampft ungeduldig mit dem Fuße auf). 
Der Mensch …

Cyrano. 
Und eine Zueignung von vier.

Valvert. 
Sie …

Cyrano. 
Reim und Stoß werd ich zugleich erteilen. 
Beim letzten Vers die Abfuhr!

Valvert 
(spöttisch). Oder nicht!

Tatsächlich sind bei Balladen von Brecht oder z.B. Biermann diese Versform samt Geleit oder „Envoi“ gemeint, und diese Form steht auch hinter der „Gauner- und Ganovenweise“ Paul Celans (aus dem Band „Die Niemandsrose“) zugrunde.

In Rostands Original heißt die Refrainzeile (ein weiteres wichtiges Merkmal der französischen Ballade) nicht „beim letzten Verse“, sondern ganz exakt „Am Ende des Envoi stech ich“.

Aus dem Original:

Cyrano, fermant une seconde les yeux.

Attendez!… Je choisis mes rimes… Là, j’y suis.

Il fait ce qu’il dit, à mesure.

Je jette avec grâce mon feutre,
Je fais lentement l’abandon
Du grand manteau qui me calfeutre,
Et je tire mon espadon;
Élégant comme Céladon,
Agile comme Scaramouche,
Je vous préviens, cher Mirmidon,
Qu’à la fin de l’envoi, je touche!

Premier engagement de fer. 

Vous auriez bien dû rester neutre;
Où vais-je vous larder, dindon?…
Dans le flanc, sous votre maheutre?…
Au coeur, sous votre bleu cordon?…
- Les coquilles tintent, ding-don!
Ma pointe voltige: une mouche!
Décidément… c’est au bedon,
Qu’à la fin de l’envoi, je touche.

Il me manque une rime en eutre…
Vous rompez, plus blanc qu’amidon?
C’est pour me fournir le mot pleutre!
- Tac! je pare la pointe dont
Vous espériez me faire don: –
J’ouvre la ligne, – je la bouche…
Tiens bien ta broche, Laridon!
A la fin de l’envoi, je touche.

Il annonce solennellement:

Envoi

Prince, demande à Dieu pardon!
Je quarte du pied, j’escarmouche,
Je coupe, je feinte…
Se fendant.
000000000000000Hé! Là donc!

Le vicomte chancelle, Cyrano salue.
A la fin de l’envoi, je touche.




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