1897 gab es schon mal ein 60jähriges Thronjubiläum im British Empire. Die Welt am Sonntag berichtet:
Seit dem Januar 1877 war die Queen [Victoria] zugleich Kaiserin von Indien. Wilhelm, Sohn des preußischen Kronprinzen Friedrich, wurde wieder einmal nur durch Spott Herr seines Neides auf England, das Land seiner Mutter, Victorias Erstgeborener Vicky, und nannte die Großmutter gerne „Kaiserin von Hindustan“. …
Einem Reporter der „Daily Mail“ verschlug es die Sprache, wie das imperiale England da so fassbar vor seinen Augen vorbeizog: „Man beginnt zu verstehen wie nie zuvor, was das Empire wirklich bedeutet“, floss es ihm aus der Feder. „Wir schicken einen Boy nach hierhin, einen Boy nach dorthin, und er zähmt die Wilden und bringt ihnen bei, zu marschieren und zu schießen, und er glaubt an sie und stirbt für sie und die Queen. Einfache, dumme, uninspirierte Leute, so nennt man uns, und doch tun wir das für jeden Wilden, dem wir begegnen.“
Ein Echo dieser Worte findet sich in Rudyard Kiplings zwei Jahre später veröffentlichtem berühmtem Gedicht „The White Man’s Burden„, mit dieser Eingangsstrophe: „Weißer, trag deine Bürde, / schick deine Besten fort, / die Söhne in die Fremde / den Eingebor’nen dort / zu dienen, sie versorgen, / die wild und störrisch sind, / die neuen, finst’ren Völker, / halb Teufel noch, halb Kind.“ …
Hybris und Nemesis: Das war das Signal für Rudyard Kipling, der in der Welt als Lobsänger des Empire galt, doch der dem diamantenen Jubiläum eines der prophetischsten Gedichte der englischen Sprache widmete, dunkel in seiner Farbe. Eigentlich hatte Kipling „The White Man’s Burden“ zu diesem Anlass schreiben wollen, doch legte er das für später beiseite und veröffentlichte stattdessen in der „Times“ vom 17. Juli 1897 ein mit „Recessional“ überschriebenes Sonett, Schlussgesang gleichsam auf den diamantenen Gottesdienst des Empire.
Mit wuchtigen Worten beschwor er seine Landsleute, nicht dem Hochmut zu verfallen und im Sonnenglanz der Macht christlicher Demut zu entraten: „Gott unsrer Väter, altbekannt, / Herr unsrer überdehnten Schlachtreihen, / unter dessen furchtbarer Hand wir ausüben / Herrschaft über Palme und Kiefer – / Herr Gott der Heerscharen, bleib dennoch bei uns, / dass wir nicht vergessen – dass wir nicht vergessen.“ (Übersetzung Gisbert Haefs, Haffmans Verlag). Jede der folgenden Strophen endete mit diesem magischen Refrain: „lest we forget – lest we forget.“ Der Dichter ahnte den Untergang, die Strafe: „Fern gefordert schmelzen unsere Flotten; / auf Düne und Festland erlischt das Feuer: / Weh, all unsrer gestriger Pomp / ist gleich dem von Niniveh und Tyros! / Richter der Völker, verschone uns dennoch, / dass wir nicht vergessen – dass wir nicht vergessen!“