106. Kaspar Hauser singt

Das klassische, auch im deutschsprachigen Raum traditionsstiftende Modell für diese Anverwandlung der geschichtslosen und gleichwohl (oder gerade darum unwiderstehlich) bildmächtigen Figur hatte Paul Verlaines Gedicht «Gaspard Hauser chante» von 1873 geschaffen. Er schrieb das Gedicht, als er nach dem misslungenen Mordanschlag auf seinen Geliebten Rimbaud im Brüsseler Gefängnis eine zweijährige Haftstrafe verbüsste. «Je» am Anfang und «Gaspard» am Ende des Gedichts bilden eine bedeutungsvolle Klammer, die überdies das Ich mit der Kaspar-Figur in eins setzt. «Je suis venu, calme orphelin, / [. . .] / Vers les hommes des grandes villes: / Ils ne m’ont pas trouvé malin.» Sprachlos und verwaist, zurückgewiesen und verstossen von den Frauen, ja selbst vom Tod («La mort n’a pas voulu de moi»), hat sich dieses Ich ganz dem angeblichen Schicksal Kaspar Hausers anverwandelt: «Priez pour le pauvre Gaspard!», so endet Verlaines Gedicht.

1913, im Jahr vor seinem Tod, schrieb Georg Trakl sein Gedicht «Kaspar Hauser Lied», das sich nun einerseits eng an Verlaine anlehnt und doch anderseits Hausers Geschichte weniger egozentrisch und näher an der Überlieferung lyrisch nacherzählt. / Roman Bucheli, NZZ 28.4.



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